14/03/2023

Die Kolumne Wolkenschaufler von Wenzel Mraček zu Lebensraum, Kunst und Kultur(-politik) erscheint jeden 2. Dienstag im Monat auf GAT.

14/03/2023
©: Zita Oberwalder

Ausstellungsansicht ZEITENWENDE. THE ALMOST DEAD ARTIST : THE ALMOST ALIVE ARTIFICIAL INTELLIGENCE, Kunsthaus Graz
© Richard Kriesche, Bildrecht Wien 2023, Foto: Kunsthaus Graz/M. Humpel

©: 0
©: Wenzel Mraček

Zeitenwende

Inzwischen nicht wirklich Neues, aber wieder treibt mich das schon bald leidige Thema Kunst und künstliche Intelligenz. Mir scheint, ich werde von Maschinen verfolgt, vielleicht gar schon gesteuert, während ich seit einer Woche damit beschäftigt bin, meinen Computer wieder auf Vordermann zu bringen, nachdem man mir von eigentlich freundlicher Stelle einen Virus oder Trojaner übermittelt hat. Weil: Alles hängt ja mit allem zusammen und im globalen Dorf stecken wir einander mit Maschinenkrankheiten an.

Beginnen wir am anderen Ende des Dorfes. Im New Yorker MOMA läuft derzeit eine Ausstellung unter einem Titel, den man vielleicht mit unbeaufsichtigt übersetzen könnte. UNSUPERVISED ist die rezente Episode aus Machine Hallucinations, dem seit 2016 fortgeführten Projekt des aus Istanbul stammenden Künstlers Refik Anadol. Einer internationalen Dorfgemeinschaft zeigt Anadol auf riesigen Projektionsflächen bewegte ineinander verlaufende, plastisch wirkende Farbflächen. Diesen animierten Bildern liegen Millionen von Naturfotografien zugrunde, digitalisierte Bilder aus der MOMA-Sammlung und anderen Museen, die der Künstler durch ein KI basiertes Visualisierungsprogramm schickt. Die Ergebnisse des Verfahrens gleichen einer abstrahiert wiedergegebenen, gigantischen Summe diverser Bilddaten, die – mit Ambient-Sound versehen – in eine Form gebracht werden, wie sie einem Update der auf Flohmärkten unverkäuflichen Lavalampe gut ansteht.

„Mann der Stunde“ wird Refik Anadol allenthalben genannt und auf seiner Website weist er sich als „Pionier auf dem Gebiet der Ästhetik der maschinellen Intelligenz“ aus. Im Vorjahr war in der Münchener Pinakothek der Moderne eine mit den MOMA-Arbeiten vergleichbare „digitale Datenskulptur“ zu sehen. In der Presseaussendung dazu ist zu den Ambitionen des Künstlers zu lesen, dass Anadol die „Besucher:innen in einen Zustand der ‘Immersion’ (des Versinkens) versetzen [möchte], um die traditionellen Grenzen der Betrachtung zu überschreiten und das Bewusstsein zu erweitern. Die Gegensätze zwischen Fläche und Raum, Realität und Fiktion, Physis und Virtualität lösen sich auf“. Ich verstehe das so: Die bewegten Bilder und der Sound sollen eine psychedelische – wie seinerzeit von LSD hervorgerufene – Wirkung bei Betrachtern hervorrufen. Das sollen die Maschinen leisten?

Das MOMA schreibt (oder ließ schreiben?), dass Anadol mit seinen Arbeiten „Datenästhetik auf der Grundlage kollektiver visueller Erinnerungen“ erforscht. Bemerkenswerte Ansprüche immerhin. Ob er aber mit seinen Forschungen inzwischen zu darstellbaren Ergebnissen gelangt ist, wissen wir nicht und mehr als durch Maschinen erzeugtes psychedelisches Rauschen bleibt außerhalb unserer Wahrnehmung. Das Unbeaufsichtigt des Titels könnte insofern also auch darauf hinweisen, dass – nach Eingabe diverser Parameter durch des Künstlers Team – alles weitere der Maschine überlassen wird. Und damit macht die Maschine etwas, gegenüber dem sich Menschen den Kopf zerbrechen, ob das nun (auch) Kunst ist. Offenbar sagt’s der Künstler und deshalb muss es Kunst sein, weil der Künstler ein Künstler ist, der hauptsächlich Kunst macht, deshalb ist es auch Kunst und mit Kurt Vonnegut schreibe ich hier undsoweiter hin.
Immerhin weist Anadol auf die Art seiner Maschinen hin. Wieder sind es Generative Adversial Networks, GANs. Im Grunde zwei Mustererkennungsprogramme, bei denen eines nach Vorgabe von Parametern Daten generiert (die in Bild, Text, Sound etc. übersetzt werden), während das andere nach Vergleichbarem in Datenbanken sucht, bis es zum Match eines Teils der Daten kommt.
Hans Kupelwieser – damals Professor am Institut für zeitgenössische Kunst der TU Graz – hat 2004 in der Neuen Galerie im Rahmen seiner Ausstellung Postmediale Skulpturen eine frühe, kleine Version dieser Art gezeigt, die ich für KORSO beschrieben habe. Auf einem Bildschirm sichtbar war der konstruktive Kampf zweier Computerprogramme, vergleichbar dem so genannten unendlichen Rapport, einer sich scheinbar immerwährend erweiternden Struktur auf Grundlage eines aus Stahl geschnittenen Namenszuges des Künstlers: Während das eine Programm Strukturen aufbaute, löschte das andere Teile dieses Vorgangs. Dem zeitlichen Ablauf entzogen, wurden im gleichen Raum Inkjet-Drucke als Momentaufnahmen dieses Vorganges und „scheinbar losgelöst von der schaffenden Funktion eines Autors/Künstlers“, habe ich das damals genannt, als Tafelbilder gezeigt. – Eine Funktionsweise, die im Grunde macht, was heutzutage GANs tun. Und ChatGPT, weil’s gerade „in aller Munde“ ist, dürfte wohl auch so funktionieren.

Hier ein Exkurs: In seiner [Die] Antiquiertheit des Menschen von 1956 fand der Philosoph Günther Anders zu dem Bild, dass wir vor, von uns selbst errichteten, Maschinen (meint über den engeren Begriff hinausreichend auch gesellschaftliche, politische Strukturen) in „prometheischer Scham“ knieten. (Gibt es neben dem phonetischen auch einen etymologischen Bezug zwischen Scham, genieren und Genie?) Wir könnten quasi nur mehr an kleinen Schrauben von Systemen drehen, während die globale Maschine nicht mehr durchschaubar, nicht mehr zu steuern sei. „Die Maschine“ hätte somit die Kontrolle über uns übernommen, Beispiele en detail wären das Social Credit System in China oder die Smart Cities in Korea, die ja auch mittels GANs (Gesichtserkennung, Identifizierung, Überwachung) betrieben werden.
Exkurs im Exkurs: In Ursula Pia Jauchs Biografie des Philosophen Julien Offrey de La Mettrie, der 1748 L’Homme Machine publizierte (wenn mit Descartes die Tiere keine Seele hätten und deshalb Maschinen seien, dann trifft das gleichermaßen auf den Menschen zu, denn Tiere zeigten – wie der Mensch – Empathie; der Mensch ist also auch eine Maschine; dass La Mettries Schrift ein ironischer Konter auf Descartes ist, wurde lange Zeit nicht begriffen), führt die Schweizer Philosophin das so schlichte wie einleuchtende Kriterium für den Vergleich zwischen menschlicher und künstlicher Intelligenz an: Maschinen k(o)ennen keine Ironie.

Ohne Bezug zu Jauch, La Mettrie oder Anders hat Hannes Ringlstetter in seiner Sendung auf BR-Fernsehen das gerade exemplarisch demonstriert. Aus Stichworten sollte ChatGPT Witze „verfassen“. Erwartungsgemäß waren die Ergebnisse „unter jeder Sau“, sage ich, hat Ringlstetter so, glaube ich, nicht gesagt.

Jetzt endlich auf die andere Seite des globalen Dorfs, denn „sonder Zahl sind die Wege zu meinem Dorf“ wie weder Jesus gesagt hat noch Marshall McLuhan. Im Pressetext des Kunsthauses Graz zu Richard Kriesches aktuellem Projekt ZEITENWENDE ist zu lesen:
„ChatGBT wurde in den letzten Wochen als der Durchbruch der Künstlichen Intelligenz gefeiert, da es in der Lage ist, auf komplexe Fragen zu antworten und auf menschenähnliche Weise zu kommunizieren.“ Kriesche, heißt es, „knüpft an seine Forschungen zu Künstlicher Intelligenz seit den 1990er-Jahren an“. Als konzeptuelles Kunstwerk müsste man Richard Kriesches Ausstellung bezeichnen, die im Grunde in der Präsentation seiner Fragen und der von KI generierten Antworten um den Inhalt des Konzepts besteht, nämlich ChatGBT nach dem Inhalt seines Konzepts zu befragen (das war jetzt kein Copy-Paste-Fehler).

Aus dem Englischen übersetze ich, und keine Maschine:

Anforderung/Frage: bitte schreibe mir einen Text für ein Plakat zu Richard Kriesches kommender Ausstellung, „ZEITENWENDE – der nahezu künstlerisch tote Künstler : die nahezu lebendige Künstliche Intelligenz“ […]
Antwort von ChatGBT: Besuchen Sie Richard Kriesches kommende Ausstellung, „ZEITENWENDE – der nahezu künstlerisch tote Künstler : die nahezu lebendige Künstliche Intelligenz“. Erforschen Sie den Wendepunkt unserer Zeit – den Gegensatz zwischen Künstler und KI, beide lebendig und doch auf ihre Weise fast tot. Entdecken Sie die Macht der Kunst und der künstlichen Intelligenz in dieser besonderen Ausstellung.

Präsentiert wird dieser und zwei weitere Texte in Form eines Triptychons – „vom Altar inspiriert“. Das Kunstwerk des Künstlers besteht damit wohl im Konzept (quod erat demonstrandum), während die Frage um Autorschaft nicht so einfach zu beantworten sein dürfte.

Die Maschine schreibt zu Kriesches Ausstellung dann aber noch auf Handouts:
Ich denke, die Erkenntnis sollte sein, dass die Technologie und die Außenwelt einen enormen Einfluss auf unser Leben haben, und das ist etwas, das wir berücksichtigen müssen, um unseren Platz in der Welt zu verstehen. Es ist auch wichtig, darüber nachzudenken, wie unsere Nutzung der Technologie unsere Beziehungen zueinander und zu uns selbst beeinflusst. Schließlich ist es wichtig, daran zu denken, dass die Kunst uns helfen kann, über diese Veränderungen nachzudenken und sie besser zu verstehen.

Deshalb attestiere ich der Maschine, dass sie weder Witz noch Weisheit kann, während die Kunst kann! Aber so stehen wir selbst enttäuscht und sehn (!) betroffen / den Vorhang zu und alle Fragen offen. Und nach meinem zu urteilen, werden sich Computer ohnehin nicht durchsetzen.

____

Richard Kriesche, ZEITENWENDE

THE ALMOST DEAD ARTIST : THE ALMOST ALIVE ARTIFICIAL INTELLIGENCE, noch bis 19. März im Kunsthaus Graz.

Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
GAT+