25/02/2020

Der 1923 in Budapest geborene Architekt am Übergang von der zuversichtlichen Moderne in die Ungewissheit der post-industriellen Gesellschaft ist am 20. Februar 2020 in Paris gestorben.

Nachruf von Johannes Fiedler

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25/02/2020

Yona Friedman, Ville Spatiale, 1959 (MOMA)

©: Yona Friedman

Ein Visionär am Übergang von der zuversichtlichen Moderne in die Ungewissheit der post-industriellen Gesellschaft.

In Budapest und Haifa als Architekt ausgebildet, kam Yona Friedman ab Mitte der 1950er-Jahre in den Dunstkreis des CIAM und wurde bald eine jener Stimmen, die die Dogmen der Moderne infrage zu stellen wagten. Mit dem Konzept einer Spatial Town präsentierte er im Jahr 1956 erstmals eine großmaßstäbliche Trag- und Versorgungstruktur, die vielfältige und wechselnde Nutzungen und Objekte aufnehmen kann – ein Gegenmodell zum allumfassenden Gestaltungsanspruch der Moderne. Er ging nach Paris und beteiligte sich am damals schon erstaunlich global angelegten Diskurs zur Zukunft des Wohnens und der Stadt. Als Strategie gegen das sich abzeichnende Auswuchern der Städte folgten unter der Bezeichnung Ville Spatiale zahlreiche Vorschläge für großmaßstäbliche Überbauungen. Die Idee der Raumstadt, erstmals von Friedrich Kiesler formuliert, wurde dann auch für Yona Friedmans Schaffen emblematisch. In einem Interview anlässlich der Verleihung des Friedrich-Kiesler-Preises in Wien im Jahr 2018 sagte er: "Kiesler widmete sein Leben der Idee der unendlichen Räume und des 'Endless House'. Ich habe mein Leben der unendlichen Stadt gewidmet." (Der Standard, Wojciech Czaja, 3. Juni 2018)

Was die Megastrukturen betrifft, fand er sich in den früher 1960er-Jahren in Gesellschaft mit den Metabolisten und Brutalisten – etwa mit Kenzo Tage in seinem Projekt für die Bucht von Tokyo – und er war Wegbereiter für die Plug-In-Cities von Archigram. Auch nach Graz drangen diese Ideen vor – in den Arbeiten von Domenig/Huth (Ragnitz, 1966) und Bernhard Hafner (Raumstadt/Lineare Stadt, 1966). Da wie dort blieben die Megastrukturen allerdings ohne Chance auf Verwirklichung – trotz einer damals noch weitgehend unhinterfragten Fortschrittsgläubigkeit. In seinem Buch Das Ende der Zuversicht (Siedler, 1983) schreibt Wolfgang Pehnt dazu: "Offenbar schätzte die Großindustrie die Risiken einer Vorfinanzierung gewaltiger Primärstrukturen und organisatorischen Schwierigkeiten von Ausführung und Verwaltung richtig ein. Andererseits verlor diese Art von Stadtfuturologie sehr bald ihre zukunftsfrohe Attraktivität, da die Raumfahrtindustrie und die Technologie der Energieerschließung sehr bald die Phantasie der Zukunftsplaner überholten. Wer die Lebensbedingungen auf den Bohrinseln des Ekofisk-Erdölfeldes zur Kenntnis nahm, dem mussten übrigens auch an der Wünschbarkeit der riesigen Gerüststrukturen Zweifel aufkommen…".

Für Friedman stand aber nie die Technologie im Vordergrund oder die geometrische Raffinesse, wie etwa bei seinem Zeitgenossen Buckminster Fuller. Friedman zeigte bei allen seinen Arbeiten ein großes Interesse an den sozialen Prozessen der Raumschaffung und Raumaneignung – bis hin zur totalen gestalterischen Abstinenz. Auch hier ergibt sich mit den partizipativen Projekten Eilfried Huths ein deutlicher Konnex nach Graz. Früh widmete er sich den aufkommenden Herausforderungen der post-industriellen Gesellschaft. Im Manifest der Groupe Internationale de l'Architecture Prospective (GIAP), die er 1965 gründete, werden diese angesprochen, etwa: "…die wachsende Bedeutung der Freizeit, die Bedeutung des Zeitfaktors und der Geschwindigkeit in der Kommunikation – sie bringen die traditionellen Strukturen der Gesellschaft zum Einsturz."

Als inspirierender Kommunikator war er stets gefragt. In den 1960er Jahren lehrte er an mehreren US-amerikanischen Universitäten und stellte sich später als Berater in den Dienst der Vereinten Nationen. Um Realisierungen um jeden Preis scheint es ihm nie gegangen zu sein. Lieber widmete er sich den Problemen der wachsenden Städte in Entwicklungsländern und experimentierte mit lokalen Materialien. Von den Megastrukturen über die Idee der auf mehreren Ebenen angelegten Stadt  bis zum selbstbestimmten Wohnbau mit lokalem Material: Mit diesen Topoi prägte er ganze Generationen idealistischer Studierender, und löste weltweit eine unübersehbare Zahl mehr oder weniger geglückter Projekte mit angepassten Bautechniken und sozialen Experimenten aus. In seiner Tradition steht letztlich auch Pritzker-Preisträger Alejandaro Aravena mit seinem Projekt Elemental (Iquique, Chile 2004).

In den späten Jahren projiziert Yona Friedman seine Gestaltungsideen nicht mehr auf imaginäre zweite und dritte Stadtebenen, sondern auf die Fassaden der Gebäude und auf die unverzichtbare urbane Nullebene – mit großen, archaisch wirkenden Zeichen. Eine Reihe von Postkarten aus dem Jahr 2004 mit dem Titel Ville Spatiale Vienne ist dann schon ein altersweises Augenzwinkern. Im Interview von 2018 erkennt er die zeitgenössische Form der mehrschichtigen Stadt in der digitalen Cloud, die sich als eine neue Aktionsebene über die Städte gelegt hat.

Friedmans Werk besteht vor allem in einer Fülle von Zeichnungen und Modellen, aus unzähligen Schriften, die wohl erst nach Sichtung seines labyrinthischen Ateliers und seiner Wohnung in Paris in voller Breite an die Öffentlichkeit kommen werden.

Bücher
– Yona Friedman: Machbare Utopien. Absage an geläufige Zukunfts-Modelle;
   Fischer alternativ 1982
– Yona Friedman: Drawings & Models 1945-2010, Les Presses Du Réel , 2010

w. hengstler

Bei der Diskussion um die Sinnhaftigkeit der Sozialen Medien ist Yona Friedmans Konzept der „Kritischen Gruppe“ auch medientheoretisch interessant. Wenn die größtmögliche Zahl von Elementen (Menschen) übnerschritten wird, die eine gute Funktion der Organisation erlaubt, sagt Friedman, dann kommt es zur Entfremdung…

Di. 25/02/2020 1:07 Permalink

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