09/10/2003
09/10/2003

"Die abgepackte Tiefkühlkost ist wichtiger als Palladio", schrieb Peter Cook 1967. Er hat leider recht bekommen. In der europäischen Kulturhauptstadt 2003 hat der Mitbegründer von Archigram mit Colin Fournier sein Fast-Food-Credo gar als unterhaltsamen Leckerbissen gebaut. Eine dunkelgrünblauglänzende Blase - das Kunsthaus - liegt nun mitten in der ziegelroten Dachlandschaft von Graz, ein happiger Kontrast zur Altstadt, die mit Renaissance, Barock und Klassizismus zum Weltkulturerbe gehört.

"Friendly Alien" nennen die beiden Londoner Architekten denn auch in vorauseilender Rhetorik ihr biomorphes Gebilde, das sich brav zwischen denkmalgeschützte Häuser schmiegt. Auch dessen kokett gen Himmel gerichtete Lichtrüsselchen entsprechen durchaus den Proportionen der Grazer Erker und Gauben. Daß sich der massive, aber sanft gerundete Fremdkörper je nach Standort auch als ein Wal, ein Seehund, eine vollbusige Seegurke und überhaupt als eine Art Lebewesen betrachten läßt, ist seiner Popularität nur förderlich im sinnenfrohen, tierfreundlichen und hundertwasserverliebten Land, wo jede zweite Autobahnraststätte mit goldenen Zwiebeltürmchen und bunten Fenstermalereien lockt. Auch die Illusion eines aus anderen Sphären stammenden Gebäudes, ganz anders als die vertrauten Giebelbauten, kommt in der sich stets am Rand der großen Welt wähnenden Stadt blendend an.

Köderarchitektur

Mit der "Kunsthaus-Bubble" legt Graz nach der muschelförmigen Murinsel von Vito Acconci eine weitere Köderarchitektur aus, die der Welt unübersehbar bedeuten soll, daß man am Puls der Zeit lebt, und nicht nur in einer mit Zeughaus, Mausoleum und Palaisbauten verstellten Vergangenheit. Der possierliche Uhrturm oben auf dem grünen Schloßberg zeigt das "Pensionopolis"-Image an; aber erst seit ein kühn in den Schloßbergfelsen gehauener Glaslift zu ihm hinaufführt, ist er auch für die jungen Leute erwacht. Aber das neue Wahrzeichen der Stadt soll nun der fotogene Alien sein. Er vertritt das wirtschaftlich dynamische und innovative Graz, die Studentenstadt, das "Swinging Graz" des eventreichen Kulturhauptstadtjahrs mit einem Programm, das drei Jahre gereicht hätte.

Mit dem Dreigestirn Kunst-Entertainment-Medien bastelte sich der technikfaszinierte Peter Cook schon im "Swinging London" der poppigen sechziger Jahre in Theorien und Instant-City-Collagen die urbanistische Zukunft. Daß die Grazer Blase zu diesem futuristisch-historistischen Erbe gehört, ist unübersehbar. Aber nun, auf der Höhe der bio- und gentechnischen Fortschrittswoge, paßt das organische Wabern und Bauen perfekt in das aktuelle Globalweltgebäude. Seriös betrachtet, die Hypeund Image-Sucht einmal ignorierend, brauchte das urbane Graz mit seinem wunderbar durchmischten, auch nach Geschäftsschluß ungemein belebten Altstadtkern die Köderarchitektur der "Leisure Time"-Theoretiker gar nicht. Andererseits hatte die frühere Residenzstadt Innerösterreichs schon immer einen gelegentlichen Hang zu sehr eigenen, auch skurrilen Bauwerken: Die gotische Doppelwendeltreppe in der Burg, der bizarre Schloßbergsteig, auch einige Bauten der Grazer Schule, die Mensa der Eggenberger Schulschwestern von Domenig-Huth oder das Biochemie-Institut von Szyszkowitz-Kowalski zeugen von expressivem Bauen. Und jetzt das barocke Lustprinzip Wölbung für Graz 2003.

Überlegter Glücksgriff

Stadträumlich ist das Kunsthaus ein wohlüberlegter Glücksgriff, mit dem das "Swinging Graz"-Gefühl über den Fluß gezogen wird, das bisher ärmere, stillere und vernachlässigte rechte Murufer einbezogen ist in das schicke Stadtleben aus Bars, Cafés und verwirrenden Kunstinstallationen.

Man soll Theoretiker oder auch puristische Künstlerarchitekten nie zu früh für gestrenge Asketen halten. Spät kommen sie oft doch noch auf den Geschmack und sind gefälliger als alle anderen: Peter Cook, der sich nun einen "elitären Populisten" nennt, ironisch oder auch nicht, führt Frank Gehry und Bilbao an, wenn er vom notwendigen "Showbusiness in der Architektur" spricht. Das blinkt in Graz dann auf, wenn die sogenannte Medienfassade mit 925 eingebauten Leuchtstoffröhren von Lichtwellen durchströmt wird. Aber tagsüber liegt das Kunsthaus eher schwer und starr über einer gläsernen Erdgeschoßzone da. Die Stahlbaukonstruktion ist immerhin ein Viertausend-Tonner, der das beredte Wettbewerbsversprechen der Architekten von der zweischaligen Membrane, von einer intelligenten, weichen und transluzenten Außenhaut glatt erschlagen hat. Intelligent war eher nur, so zu sprechen. Oder auch nicht - denn daran muß sich der Bau jetzt messen: Zwischen dem schimmernden Anspruch und der kalten Wirklichkeit aus 925 Neonringen tut sich eine graue Kluft auf, blickdicht mit petrolfarbigen Acrylglasplatten verkleidet. In ihr ist der Traum versackt, gescheitert an der auch für die außerirdische Avantgarde geltenden Bauphysik und Bauordnung, an fehlenden Innovationen, an mangelndem Know-how, am Geld- und Zeitmangel.

Übliche Ästhetik

Vor allem die innenräumlichen Herausforderungen hat das Spacelab-Büro Cook/Fournier nicht erfüllt. Das verglaste Foyer mit Medienlabor, Lounge und Café unter der blaugrünen Wölbung bietet weltweit übliche Ästhetik. Ein leicht ansteigendes, elegant langes Laufband führt in die erste Ausstellungsebene, aber dann: eine graue Halle mit blechgitterverkleideten Ausbuchtungen, vielen Leuchtstoffröhren und dem Charme einer Tiefgarage. Betonestrich, Rigipswände, häßliche Fugen, Nullachtfünfzehn-Ausführungen. Der organisch fließende Raum, in dem Decke, Wände und Fußboden eins sind, der dreigeschossige Innenraum, erlebbar als ein einziges Volumen - war auch nur ein Architektentraum. Räume zu bauen und Bilder zu bauen ist zweierlei. Der hohe Höhlenraum oberhalb, "Space 03", mit den Lichtrüsseln zum Nordhimmel, mit Lamellen versehen ist noch düsterer; weiß der Himmel, warum. Überall überlegt man, was hier hätte sein können. Um wieviel revolutionärer, bautechnisch und ästhetisch, war doch das daneben stehende Eiserne Haus, Gußeisenarchitektur aus dem Jahr 1848. Es wurde jetzt sorgfältig renoviert und durch einen dramatisch schwebenden Glassteg in luftiger Höhe mit der Bubble verbunden, so daß es nun zum Kunsthaus-Komplex gehört.

Der "Alien": aufgetaute Tiefkühlkost. Auf der Verpackung eine Attraktion, aber dann schal. Der Kunsthaus-Intendant Peter Pakesch wird seine Ausstellungen ordentlich würzen müssen, damit's auch drinnen schmeckt.

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