18/10/2003
18/10/2003

Mit angemessenen Mitteln aus räumlich verfahrenen Verhält-nissen eine neue, ausgewogene Situation zu schaffen: das ist Romana Ring isn Otterbach bei Schärding gelungen - mit der Erneuerung einer landwirt-schaftlichen Schule.

Ausgedehnte Felder, da und dort Waldstücke, verstreut einige land wirtschaftliche Betriebe, in sonni gen Lagen Ansammlungen von Einfamilienhäusern: das Innviertel bei Schärding. In dieser Umgebung bestanden die Bauten der landwirtschaftlichen Schule Otterbach bis vor kurzem aus einem schlossartigen, dreigeschoßigen Haupthaus in romantisch-historisierendem Eklektizismus des späten 19. Jahrhunderts, drei älteren Wirtschaftsgebäuden und einem großen Hof sowie zwei hässlichen Pavillons mit Flachdach aus der hohen Zeit des Bauwirtschaftsfunktionalismus. Deren Fundamente, wird man bei Baubeginn feststellen, wurden so sparsam ausgeführt, dass wegen der geplanten Aufstockung zuerst Gewicht in Form einer Betondecke abgetragen werden musste, bevor in Leichtbauweise darauf aufgebaut werden konnte. Und bei den Kosten sollte natürlich auch gespart werden.

Die beiden bisher recht beziehungslos daneben stehenden Pavillons waren vom Hauptgebäude her und untereinander durch Gangbauten erschlossen. Derartige witterungsgeschützte Verbindungswege sollten auch nach der Erweiterung vorhanden sein. Das Erneuerungskonzept sah die Aufstockung der Pavillons um ein Geschoß mit Satteldächern von 30 Grad Neigung vor, der gleichen wie beim Hauptgebäude, aber ohne Gaupen und Anwalmungen. Der entfernter stehende Pavillon wurde nach vorn um eine große Werkstatt mit Durchfahrt auf gut 40 Meter Gebäudelänge erweitert. Die einfache Großform und eine einheitliche Fassade aus gestülpten Brettern weisen ihn als Wirtschaftsgebäude aus, das die Anlage von den anschließenden Feldern klar abgrenzt.

Das gewachsene Volumen vermag aber mit dem des nunmehr knapp doppelt so großen des Hauptgebäudes in eine räumliche Beziehung zu treten: Zwischen den beiden Baukörpern entsteht ein hofartiger Außenraum, der zur Zufahrt hin offen ist, nach hinten jedoch von der Stirnseite des etwas zurückversetzten zweiten Pavillons abgeschlossen und von den zweigeschoßigen, geschlossenen Verbindungsbauten auch seitlich gefasst wird. An dem neu zum "mittleren" Baukörper gewordenen zweiten Pavillon wird die gestärkte Position mit einer symmetrischen Fassadengestaltung unterstrichen. Die sparsame Instrumentierung mit viel weiß geputzter Mauerfläche besteht aus einem mittig gesetzten verglasten Eingangsportal, sechs weiträumig spationierten Fenstern im Obergeschoß und einem strichdünnen Dachabschluss. Abgesehen von einer Turnhalle im hinteren Gebäudeteil, sind im Obergeschoß nun die Büros der Direktion untergebracht. Während das Portal und die breite Rampe einladend wirken, bremst die Anordnung der sechs Fenster in gleichwertiger Reihung eine weitere Betonung der Mitte. Sie wirken profan, unterstützen aber die Breitenwirkung dieser Stirnfassade. Mit architektonischen Mitteln, die im Nachvollzug des Neuklassizismus unter anderem bei Heinrich Tessenow, aber auch bei Adolf Loos erlernt werden können, erhält die erweiterte Schulanlage ein klar erkennbares Konzept, das siedlungsbaulich stimmt und in dem sich Ankommende rasch zurechtfinden.

Soweit ist alles sorgfältig unter Beachtung von Proportionen, Dimensionen und Geometrien gestaltet. Man wäre froh, die Menge des Gebauten in ländlichen Gegenden würde in die Nähe dieser prinzipiellen Qualität aufschließen, was ihre Planer vor lauter Desorientierung leider nicht schaffen. Aber wir sind mit unseren Betrachtungen noch nicht zu Ende, denn wir haben die Verbindungsgänge bisher außer Acht gelassen. Sie sind es nämlich, die der Anlage über ihre Grundqualität das besondere Etwas verleihen, weil ihre schräg verlaufenden Rampen - was sich dank unterschiedlicher Niveauhöhen von selbst ergibt, aber klug ins Gesamtkonzept einbezogen wurde - den klassischen Ansatz wirksam konterkarieren. Das gegenklassische Element der Rampen gibt der Anlage jenen Kick, der sie aus durchaus vernünftiger Normalität heraushebt und in einen architektonischen Spannungszustand versetzt, der nicht mehr bloß rational, sondern unmittelbar sinnlich wirkt.

Dabei bildet der offene Übergang vor dem "cour d'honneur" einen räumlichen Filter, nicht zuletzt damit auch den zudringlichen Autofahrern, die jeden Schritt zu vermeiden suchen, eine Grenze gesetzt wird; zudem gelingt es damit, den Hof aufzuwerten und den Raum nicht ungehemmt ausfließen zu lassen. Mit der feinen schrägen Linie der durch die Stützenpaare durchlaufenden Rampe wird die sorgsam aufgebaute Symmetrie gerade im richtigen Maß irritiert. Eine Symmetrie, die, von weiter vorn betrachtet, schon eine gegenläufige "Schräge" aufweist, jene der ungleichen Baukörper des Hauptgebäudes und des Werkstatt- und Schultrakts. Die beiden ungleichen Beziehungen kreuzen sich vor der ausgewogen statischen Fassade des Mittelpavillons und finden zum ruhigen Abschluss.

Außerdem weist die Stülpschalung am anderen Pavillon geregelt unregelmäßig eingeschnittene Fensteröffnungen auf, die in größeren Feldern sitzen, in denen Glasstreifen mit Brettern abwechseln. Sie befinden sich vor Arbeitsräumen, die auf diese Weise ausreichend belichtet werden, von nahe besehen dem Gebäude auch einen eigenen - nochmals gegenklassisch irritierenden - Ausdruck verleihen, aus der Ferne betrachtet aber im großen Volumen aufgehen.

Der Linzer Architektin Romana Ring, deren ideelle Wurzeln in jene Wiener Architekturdenkschule zurückreichen, die vor allem von Hermann Czech geprägt wurde, ist hier etwas gelungen, wovon andere immer nur reden: Sie hat mit angemessenen Mitteln aus räumlich verfahrenen Verhältnissen eine neue, subtil ausgewogene Situation geschaffen. Dass dabei Holz eine tragende Rolle spielt und auch schützend eingesetzt ist, war zudem Anlass, ihre architektonische Leistung mit einem der vier diesjährigen Holzbaupreise in Oberösterreich auszuzeichnen.

In einer Zeit, da der aus berechtigter Kritik an einer engstirnigen Moderne gewachsene Pluralismus des Denkens und Gestaltens wieder abgelöst wird durch ein Abwickeln aus Zeitschriften abgeschauter Stilformen, lässt der Mut zum scheinbar Unzeitgemäßen hoffen. Denn es sind nicht der Neuigkeitswert und die oberflächliche Radikalität eines Gebäudes, die seine architektonische Nachhaltigkeit bestimmen und ihm damit einen Platz in der Architekturgeschichte sichern, sondern die ihm innewohnende strukturelle Qualität sowie die Angemessenheit gegenüber der Aufgabe und dem städtebaulichen Kontext. [*]

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