23/08/2003
23/08/2003

Aufgemerkt: Dieses Haus auf dem Dach wird international Aufsehen erregen. Was aber wichtiger ist: Hier entstand ein Stück perfekter Architektur - und reinen Herzens kann man solches nicht oft behaupten. Das eigene Haus der Architekten Roman Delugan und Elke Meissl über den Dächern Wiens, vorgestellt von Ute Woltron.

Roman Delugan und Elke Meissl trinken Campari-Soda, unter anderem weil es in Wien gerade heißer ist als in Süditalien. Das belebende Rot steht den beiden gut, sie wirken einigermaßen ermattet, so als ob sie eine gemeinschaftliche Geburt hinter sich hätten. Was voll den Tatsachen entspricht.

Man sitzt luftig hoch über den Dächern der Bundeshauptstadt. Rundherum in Spielzeuggröße deren Elemente: Flaktürme, Mariahilfer Graben, Votivkirche, AKH. Man bekommt von hier heroben Lust, die Bauteile aufzugreifen, zu durchmischen, eine neue Variante dieser Metropole aufzubauen. Architektur und Städtebau werden scheinbar leichte, spritzige Angelegenheiten.

Campari-Soda hilft bei solchen Spielereien natürlich, und hilfreich ist auch das ungeheuerliche Gehäuse, in dem man sich gerade befindet, aus dem man hinunterlugt auf die schöne Stadt, weil es selbst eine Fingerübung der Leichtigkeit und Lässigkeit ist. Ein mikroskopischer Baustein feinster Schleifart, der sich perfekt in das System des großen Schemas Stadt einpasst.

Doch zuerst der Mikroblick von unten: vierter Bezirk, Mittersteig, ein Haus aus den 60er-Jahren. Man kann es sich vorstellen, es handelt sich um eine kahle Angelegenheit der Vernunft und, quasi kristallografisch gesprochen, des dreifachen rechten Winkels. Auf diesem kubischen, vormals flach gedeckten System lagert neuerdings eine vielwinkelige architektonische Flunder. Ein stählernes Skelett, mit Aluhaut über-, von eleganten Räumen fließend durchzogen. Unverständlich und amorph auf den ersten Blick, doch bei näherer Betrachtung in sich derartig logisch, dass es ein seltenes Vergnügen ist.

Man erreicht das Innenleben des Hauses auf dem Haus über einen im letzten Geschoß auskragenden Stiegenhausblock und betritt sodann den Villenaufbau durch einen langen, schmalen und sanft ansteigenden Trichtergang. Der öffnet sich zu einem wogenden Räumemeer, dessen Klippen, Kanten, Ufer die Produkte der übergeordneten abschleifenden Kräfte der Architektur sind, die da wären: die Bedürfnisse der drei Benutzer, die technischen Vorgaben der Bebauungsgesetze;,die natürlichen Regeln der über das Firmament ziehenden Sonne, die unerhörten Blickbezüge auf die zu Füßen liegende Stadt - und das Ganze sozusagen gewürzt mit dem Salz der Architektur, nämlich dem unbedingten Willen zur Perfektion auch noch im allerletzten Detail.

Dieses Haus kommt so gut wie ohne Möbel aus, denn es ist in sich Möbel. Das beginnt bereits im Eingangsbereich, wo sich eine Wand lindwurmartig schuppt, weil sich dahinter Schränke befinden. Die Schuppenwölbungen sind die Schranktürgriffe. Das setzt sich fort im Hauptraum dahinter, der sich in zwei Ebenen über die gesamte Hauslänge zieht. Hinten und vorne Glas, eine zweizeilige Küche ist eingeschoben, eine Zeile scheint zu fliegen, die andere klebt an der Außenwand. Geschickte Niveauschachtelungen (und statisch-konstruktive Raffinessen, berechnet von den kreativen "Werkraum"-Konstrukteuren) erzeugen ein dynamisches, trotzdem entspanntes Raumklima. Gläserner Durchblick überall - das Glas hier ist nicht nur Fenster, sondern auch tragendes Element. Zum Beispiel im Bereich unter einer großen schwarzledernen Liegelandschaft, die ebenfalls zu schweben scheint.

Roman Delugan und Elke Meissl nehmen ihren Campari-Spritzer im Moment noch einen Niveausprung höher am Essplatz ein. Zwei enorme Glasschiebetüren übers Eck sind geöffnet, die Terrasse davor wird zum Wohnzimmerelement, aber wo endet der Raum eigentlich? Keine Brüstung, kein Geländer, nur Blick in Sicht. Wie das funktioniert? Ein langes, schmales Nirosta-Schwimmbecken zieht sich hier über die gesamte Terrassenlänge, das Wasser leckt über die Kante, es wird unsichtbar in einer Saumrinne aufgefangen und den filternden Qualitäten einer verborgenen Anlage zugeführt - die Brüstung liegt unter Wasser.

Das Verbergen funktioniert überhaupt prächtig in diesem Haus: Die meisten Wände sind, wie im Vorraumbereich, zugleich unsichtbare Schränke. Türen verschwinden auf Rollen in Wänden. Dort wo sie sich herkömmlich drehen lassen, wurden die Beschläge unsichtbar versenkt. Schalter und Stecker wurden aufs Minimum reduziert, Lichtknöpfe mitunter Cent-klein in Stahlplättchen ausgeführt. Die gesamte Technik ist unter dem 90-Zentimeter-Niveausprung untergebracht, durch stählerne Düsen bläst Kühle in die Räume.

Zwei Schlafzimmer hat das Haus, eines für die Eltern, eines für das Kind. Die beiden Badezimmer sind integriert und designerische Meisterstücke für sich. Das Elternbad beispielsweise ist ein monolithischer schneeweißer Kunststoffblock samt Wanne, Becken, versenkten Lichtbändern, von hinten erleuchteten Screens. In der weißen Wand, noch einmal, Stauraum zum Saufüttern, aber keine Griffe, alles öffnet sich auf sanften Druck.

Das elterliche Bett (schneeweiß, was sonst?) wächst schräg aus der vollverglasten Außenwand, auf dass der Blick auf die Stadt im richtigen Winkel erfolge. Wer sogar seine Ruhestätte städtebaulich aufbereitet, hat lang und gründlich nachgedacht. Dahinter stecken ein Jahr Planung, ein Jahr Bauzeit und noch ein paar lange Monate peniblen Innenausbaus, weil sogar das Ablageregal, einem Eigenentwurf folgend, mehrere Tischlergenerationen fast dem Wahnsinn anheim gab. Auch das Regal ist schneeweiß, denn Weiß, Kirschholzrot, Schwarz sind die Farben, mit denen umgegangen wurde.

Mit diesem Haus über dem Mittersteig haben sich die Architekten, wie man so schön sagt, selbst verwirklicht und ihren architektonischen Grundsätzen das eigene Denkmal gesetzt. Von den dazu nötigen Geldern will man lieber nicht reden, der Preis der Arbeit dürfte aber entgolten werden: Delugan und Meissl sind junge, nichtsdestotrotz bereits jetzt international vom Fachpublikum beachtete Architekten. Dieses raffinierte und außergewöhnliche Projekt wird unweigerlich durch die internationale Medienlandschaft reisen, erste Architekturtouristen stellten sich bereits ein, bevor das Ding überhaupt fertig war. Zum Abschluss eine kleine Reminiszenz: Vor nunmehr einigen Jahrzehnten baute ein einzelgängerischer Architektureigenbrötler namens John Lautner für kalifornische Millionäre ein paar Villen, die zu den bezauberndsten Architekturspielereien der Welt gehören. Sie waren weniger dem Intellekt als dem Solarplexus verpflichtet und räumlich atemberaubend. All die klugen Architekturspielereien der jüngeren Vergangenheit, mit Möbiusschleifen, Computerblasen et cetera, können diesen herrlichen, zugegebenermaßen unglaublich teuren Häusern bis heute nicht das Wasser reichen. Delugan und Meissl haben mit ihrem Entwurf zumindest eine thematische Annäherung geschafft, und dass Lautner einer ihrer Lieblinge ist, lässt sich am Schwimmbeckenrand ablesen. Nach langer Zeit ausnahmsweise wieder einmal ein sinnvoller, gleichwohl modifizierter US-Import. Bravissimo, und weiter so!

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