01/03/2016

Jeden ersten Dienstag im Monat veröffentlicht GAT in der Kolumne Aber Hallo! Anmerkungen von Karin Tschavgova zu aktuellen Themen von Architektur und gebauter Umwelt.

01/03/2016
©: Karin Tschavgova

Das Haus - ein Nebenschauplatz.

Wenn an der mazedonischen Grenze tausende Asylsuchende stranden und ihre mitgebrachten Zelte – sofern sie welche haben – in den Morast stellen müssen, um für die winterkalten Nächte ein Dach über dem Kopf zu haben, wenn am Viktoria-Platz in Athen, nicht mehr als zwei Kilometer vom Zentrum entfernt, zwei der rund 400 dort täglich nächtigenden Flüchtlinge versuchen, sich an einem Baum aufzuhängen, dann ist – zugebenermaßen - die Frage nach der Qualität hiesiger, in den Bundesländern geplanter und schon errichteter Flüchtlingsunterkünfte sekundär, ein Nebenschauplatz sozusagen.

Schon vor dem großen Zustrom gelang es nicht, in ausreichender Zahl und Größe adäquate Unterkünfte zu finden – wir erinnern uns an die unseligen Diskussionen und den Widerstand gegen geplante Quartiere in den Gemeinden selbst in Regionen, wo die Landflucht oder der Niedergang des Tourismus beachtlichen Leerstand an Gebäuden mit sich gebracht haben.

Vorwiegend Hilfsorganisationen versuchen nun seit ein paar Monaten mit einer großen Portion Pragmatismus, eilig Unterkünfte zu schaffen für jene, die bis jetzt zu uns durchkamen und hier um Asyl angesucht haben. Mit einigem Geschick könnte es sogar ein geschäftliches Erfolgsmodell werden, als Bauträger Häuser zur Erstversorgung von Asylwerbern errichten zu lassen: als Beitrag der Kommunen kann Grund und Boden für begrenzte Zeit kostenfrei zur Verfügung gestellt werden (der beträchtliche Anteil an Grundstückskosten fällt damit weg), Kreditzinsen sind derzeit so niedrig wie nie und die Rückzahlung der Kredite erfolgt über die Mittel, die Hilfsorganisationen für die Unterbringung und Verpflegung jedes Asylwerbers erhalten – aktuell 19,00 Euro am Tag. Wird ein Objekt angemietet, fließt ein Teil des Tagsatzes in die Miete, während in Eigenregie errichtete Objekte Eigentum der Organisationen werden und später je nach Bedarf anders verwendet oder verwertet werden können.

In Seekirchen am Wallersee hat das Rote Kreuz schon im November solche Flüchtlingsquartiere aufstellen lassen, weitere sollen auch in anderen Gemeinden Salzburgs folgen. Mit Problemen bei der Baugenehmigung ist kaum zu rechnen und aus Wiens Stadtverwaltung konnte man zuletzt sogar die Forderung hören, solche Genehmigungsverfahren mit Sonderrechten wie der Ausschaltung von Bauverhandlungen und Nachbarschaftsanhörung zu beschleunigen – eine Maßnahme, die (generell) Sinn machen würde. Doch auch die Bauordnung scheint für solche Objekte nicht umfassend zu gelten, betrachtet man die winzigen Fensteröffnungen in den bis jetzt geplanten und realisierten Häusern. Was sagt die Bauordnung: „Bei Aufenthaltsräumen muss die gesamte Lichteintrittsfläche der Fenster mindestens 10 % der Bodenfläche dieses Raumes betragen, es sei denn, die spezielle Nutzung erfordert dies nicht. Dieses Maß vergrößert sich ab einer Raumtiefe von mehr als 5 m um jeweils 1 % pro Meter Raumtiefe.“

Stimmt, es ist keine Kernkompetenz solcher Organisationen, als Bauinvestoren oder Bauwerber aufzutreten, sondern Neuland. Dennoch sollte man erwarten, dass das Beste zum vernünftigen Preis gebaut werden soll und man sich der Kompetenz von Fachleuten bedient wie jeder andere Bauherr auch. Es ist nett, aber inkompetent, wenn die Leiterin einer neu errichteten Unterkunft stolz durchs Haus führt und, in einem krass unterbelichteten Raum stehend, feststellt: „Wir haben eine Basis und wir wollen auch nicht mehr, so gibt es keinen Neid.“ Und es ist inkompetent, wenn ein Wiener Magistratsangestellter, für schnellere Verfahren eintretend, milde lächelnd meint, dass man in so einer Situation ja bitte, keine Architekturwettbewerbe brauche. Warum denn nicht? Weil man Asylwerbern jede Wohnsituation zumuten kann? Weil eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit dem Thema des leistbaren Wohnens sich dafür nicht lohnt? Oder glaubt der Zuständige, dass solche Arbeit die dringende Wohnversorgung nur verzögert?

Da kommt dann ohne Ausschreibung, wie in Salzburg, ein örtliches Unternehmen zum Zug, das Fertigteilholzbau anbietet, oder wie in Oberösterreich ein Unternehmen, das spezialisiert ist auf die Notversorgung mit Wohnraum nach Katastrophen. Es sind Primitivhäuser aus Systemelementen, mit Aluminiumhaut versehen.

Das derzeitige Handeln lässt darauf schließen, dass fachlicher Rat von und Vernetzung mit kompetenten Stellen in den Ländern, die Erfahrung mit Modellen leistbaren Wohnens haben, nicht existiert. Oder gibt es solche Modelle in unserer Zeit, in der bevorzugt Wohnungen für Anleger errichtet werden, gar nicht? Protest gegen die geringe Qualität der ersten vorgestellten Notunterkünfte kam von den Universitäten, von der TU Wien, aber auch dort werden offensichtlich erst Projekte in studentischen Arbeiten entwickelt.

Modelle, die außerhalb unserer Grenzen umgesetzt und längst evaluiert worden sind, scheinen überhaupt nicht bekannt zu sein hierorts. Konkret gemeint: das Modellbauvorhaben Kostengünstiger Wohnungsbau in Bayern, das Anfang der 1990er-Jahre initiiert wurde, um rasch und kostengünstig Wohnraum zu schaffen für die vielen Geflüchteten aus dem Bosnienkrieg. Was anfangs zu Modellbauten in mehrgeschossiger Holz-Systembauweise geführt hatte, eben weil auch der Faktor Zeit ein wesentlicher war, wurde ab 1994 mit neuen Akzenten und ohne Festlegung von Baustoff und Bauweise fortgeführt. Programmatisch blieb die Forderung, den Beweis dafür zu erbringen, dass „Einfachheit und Sparsamkeit ästhetischen Qualitäten nicht widersprechen müssen, sondern dass sich daraus sogar eine besondere Formensprache entwickeln kann“. Normen und Standards durften im Interesse von Innovationen im Wohnungsbau sogar reduziert und verändert werden.

Was damals galt und sogar Maxime war – rasch, kostengünstig eine neue typologische und ästhetische Qualität zu entwickeln – müsste heute auch gültig und möglich sein, umso mehr, wenn durch Bereitstellung von Grund und Boden ein großer Kostenfaktor wegfällt. Weder muss immer alles neu erfunden werden noch müssen Hilfsorganisationen das Erste nehmen, das ihnen angeboten wird. Jeder weiß, dass das Erstbeste meist nicht das Beste ist. Kluge, viel wissende Köpfe braucht das Land als Berater, die noch dazu vieles verknüpfen können und Netzwerker sind. Dann wird vielleicht noch nicht alles zu spät sein.

Christa Binder

Liebe Karin, danke, dass Du Deine Kolumne diesem so wichtigen wie komplexen Thema widmest. In der Beobachtung der Ohnmacht verantwortlicher Stellen der Situation gegenüber entsteht das Gefühl, zur Zeit werden die Bedingungen der Unterbringung möglichst grauslich gemacht, damit Niemand kommt und Niemand bleibt. Es wäre eine große Chance, die Zukunft des Wohnens generell zu hinterfragen, Normen- und Gesetzesflut zu entrümpeln, Visionen zu entwickeln und wenn etwas neu errichtet wird, einfach nur Lebensraum für Menschen zu bauen.

Di. 01/03/2016 10:01 Permalink

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