05/07/2016

Jeden ersten Dienstag im Monat veröffentlicht GAT in der Kolumne Aber Hallo! Anmerkungen von Karin Tschavgova zu aktuellen Themen von Architektur und gebauter Umwelt.

05/07/2016
©: Karin Tschavgova

Mein Urlaub in Graz

Mein Leben wollte ich ohne Prinzipien meistern, immer schon, weil mich das Starre und auf ewig Fixierte, das Unabänderliche daran stört. Mit einer Sache bin ich meinem Prinzip der Prinzipienlosigkeit untreu geworden – leider inkonsequent, aber lohnend.
Ich bleibe den Sommer über in Graz.
Urlaub mache ich schon, aber – wie gesagt – in Graz. Ich gehe, jedes Jahr wieder von Neuem, in Graz auf Entdeckungsreisen. Ich mache Entdeckungen, die man unabhängig von Orten, aber nur im Urlaub machen kann und solche, die mir Graz neu zeigen. Besser gesagt, die mir ein neues Graz zeigen.
Urlaubsfeeling kommt auf, wenn ich mal ganz früh aufstehe (etwas, das ich im Winter hasse), mich noch schlaftrunken per Bus vom Berg hinab begebe, um an der Endstation auf mein Fahrrad umzusteigen, das mich zwingt, ganz munter zu werden, und auf den Kaiser-Josef-Platz radle. Dort entdecke ich einen ganz neuen Platz – einen farbenfrohen Gabentisch, auf dem die sommerlichen Früchte des Gartens in höchster Akkuratesse gestapelt sind und die Blumenpracht mich verschmerzen lässt, dass ich noch nie auf der Insel Mainau war und vermutlich auch zukünftig nicht auf die Blumeninsel kommen werde, bei deren Erwähnung meine Mutter, Gott hab sie selig, immer vor Entzücken ihre Stimme veränderte.
Ehrlich gesagt, die Insel Mainau kann mir gestohlen bleiben, wenn ich in meinem Garten sitze, nein, liege, den Hang hinaufschaue zu diesem Glücksfall von Hauserwerb, und mir scheint, als läge ich irgendwo an den Gestaden eines Sees. Inkludiert ist die Beobachtung von Wolkengebilden über Stunden, ein Luxus des Müßiggangs, nicht gebunden an den Ort, aber für mich nur im Urlaubsmodus erlebbar.
Ich muss auch keine englischen Prachtgärten besuchen (so lehrreich das vielleicht mit Herrn Ploberger wäre), wenn ich im Stadtpark lustwandle, fallweise auch verbotenerweise am Fahrrad, und mich an den gärtnerischen Höchstleistungen der Stadtgärtner erfreue, um dann, in der Wiese vor oder neben dem Parkhouse sitzend, einen weißen Spritzer zu trinken. Wer weiß, ob man das in Südengland dürfte, sofern man zukünftig überhaupt noch ohne Visum hinreisen wird können.
Nein, da lob ich mir mein sommerliches Graz und schicke ein Stoßgebet gen Himmel dafür, dass es weiterhin Musik, Konzerte und Sommerabendlärm im Stadtpark geben darf. Weil das dazugehört zu einer lebenswerten Stadt in Summertime, dass man im Freien frei sein kann an lauen Abenden, lachend, trinkend, sich unterhaltend. Außerdem sind die Zweitwohnungsbesitzer aus der Pfauengarten-Residenz zur Zeit der lauen Grazer Sommerabende sowieso in Ibiza oder in ihren Drittwohnsitzen am See in Kärtnen, da bin ich mir sicher.
Und dann die Entdeckungen, die ich en passent mache, wenn ich ganze Viertel mit dem Fahrrad abfahre, um von A nach B zu kommen! Die Rosenkaskaden, schön arrangiert zwischen mannshohen, prachtvoll fetten Hortensien in den Vorgärten um die Herz-Jesu-Kirche – ehrlich, ich würde in diesen Momenten jede Petition unterschreiben, die für den ewigen Erhalt der Vorgärten eintritt.
Ich mache Entdeckungen, die mir in der kalten Jahreszeit, wenn ich Bus und Tram benütze, verborgen bleiben – allein durch die Langsamkeit, mit der ich mich als Radfahrerin bewege. Die Friedrich-Hebbel-Gasse: Ich krame in meinem tief vergrabenen Schulwissen, um mich daran zu erinnern, was Herrn Hebbel unsterblich gemacht hat. Nachschauen bei Wikipedia, nein, nicht am Rad, Nachdenken ist angesagt, und das ist genauso gut gegen den Alz wie Bewegung. Kein Drama, wenn mir kein Drama einfällt und kein Gedicht von den vielen, die sicher nicht meine Lieblingsgedichte waren.
Längst schon weitergeradelt im unbekannten Graz, durch die Fliedergasse, dann die Tändelwiese, welch bildhafter Name!, die Amselgasse und bald die Payer-Weyprecht-Straße. Dort mache ich Halt im Kunstgarten, der in jeder anderen Stadt ein Geheimtipp wäre.
Ja, mein Urlaub in Graz zeigt mir die Stadt jeden Sommer wieder anders und neu. Nichts Schöneres kann ich mir vorstellen – prinzipiell. Reisen Sie doch auch einmal im Sommer von Graz nach Graz.

Laukhardt

Als der norddeutsche Dichter Friedrich Hebbel im Juni 1847 in Graz abstieg und unsere Stadt besah, vermerkte er in einem Tagebuch auch seine Eindrücke vom Schloßberg: ,,Eine Aussicht wie die von dem herunter glaube ich in meinem Leben noch nicht gehabt zu haben. Gottlob, daß die Zeit der Vestungen vorüber ist, daß die Stapelplätze der Kanonen und der Bombenkessel sich in Gärten verwandeln!"
Schön, dass man dass durch Karins Augen auch heute noch erleben darf.

Di. 05/07/2016 8:52 Permalink
Gertraud Prügger

Liebe Frau DI Tschavgova!
Sie sprechen mir aus der Seele. Wenn man es versteht, die Schönheiten unserer Stadt zu entdecken, ist ein Graz-Urlaub wirklich zu empfehlen.
Vor allem teile ich mit Ihnen die Liebe zu den Grazer Vorgärten mit den wunderschönen Gründerzeitbauten und den Innenhöfen, aber auch zu den liebevoll gestalteten Gärten in der Triestersiedlung.
Einen genussvollen und erholsamen Graz-Urlaub wünscht
Gertraud Prügger
ehem. Geschäftsführerin des Naturschutzbundes Stmk

Di. 05/07/2016 11:13 Permalink
Anonymous

Ja, Graz ist schon eine schöne Stadt. Beim Lesen von diesem Text bekommt man richtig Heimweh (wenn man nicht mehr da wohnt). Seufz...
Aber wenn man sich die Route der Autorin ansieht (Kaiser-Josef-Platz, Stadtpark, Herz-Jesu-Kirche..) könnte man meinen, es ist vom Graz des ausgehenden 19. Jahrhunderts die Rede. Auf was ich hinaus will: Mich würde freuen wenn in Zukunft jemand gleichermassen über das Reininghausviertel oder die Smart City schreibt. Oder anders gefragt: was sind denn die Qualitäten der gründerzeitlichen Viertel in Graz und welche Qualitäten sind zur Zeit in Graz am Entstehen? Oder lassen die sich überhaupt vergleichen? Ich bin mal pessimistisch und behaupte, dass wir diese Qualitäten heute nicht mehr erreichen. Gegenargumente erwünscht.

Di. 05/07/2016 12:58 Permalink
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