01/04/2014

Jeden ersten Dienstag im Monat veröffentlicht GAT in der Kolumne Aber Hallo! Anmerkungen von Karin Tschavgova zu aktuellen Themen von Architektur und gebauter Umwelt.

01/04/2014
©: Karin Tschavgova

Häuser haben Gesichter – faces, façades, Fassaden – die mit uns kommunizieren. Gilt das noch?

Was die Stadt betrifft und das Bild von ihr, bin ich hoffnungslos altmodisch. Meine Stadt ist die historische. Denke oder sage ich Stadt, so entstehen vor meinem geistigen Auge Haus an Haus, die in ihrer Linearität zur Einheit der verschiedensten Baukörper werden und Raum für eine Straße bilden, dann Straßen und Plätze, hausumstanden, ein dichtes Netzliniengewirr aus geschlossenen und offenen (Stadt-)Räumen oder Räumen von privater oder öffentlicher Nutzung.

Die Fassade gilt in der direkten Bedeutung des Wortes als Gesicht eines Gebäudes und ist damit ein integraler Teil der historischen Stadt. Wer könnte sich eine Stadt vorstellen ohne Fassaden - zugemauert, verplankt, ohne Gesicht? Auch wenn ein Haus mindestens zwei Fassaden hat, so ist das der Straße, dem öffentlichen Raum zugewandte Gesicht jenes, das als Ausdruck der Repräsentation und der Kommunikation im konkurrierenden Nebeneinander wahrgenommen wird. Die Fassade als Ausdruck von Wohlstand und Selbstdarstellung ihres Besitzers, das blieb sie lange über die Zeit der letzten großen historischen Kernstadterweiterung hinaus. Auch wenn mit der Moderne und ihrem Siedlungsbau die Rolle der einen, der Macht zeigenden Hauptfassade kleiner wurde, blieb sie doch im dichten Stadtraum immer ein Bedeutungsträger. Sie wurde zum Signet und Marketinginstrument – selbst ohne Ornament, wie das Looshaus am Michaelerplatz (1908) beweist.

Fahre ich heute durch die Plüddemanngasse, die für mich noch zur Stadt gehört und nicht Vorstadt ist, oder durch die St. Peter Hauptstraße, die trotz Terrassenhaussiedlung, trotz der Dichte des Quartiers und ihrer Bedeutung als südöstliche Stadtausfahrt immer Vorstadt bleiben wird, so frage ich mich, wann die Fassaden dort verloren gegangen sind. Nicht dass die in dieser Straße gerade entstehenden Wohnbauten keine Fassaden hätten, nein, das nicht, aber sie haben eindeutig keine, die als Übergang vom Privaten zum Öffentlichen der Stadt gesehen werden kann. Ihre Fassaden kommunizieren nicht mit dem Straßenraum. Im Gegenteil, die Häuser wenden sich ab, zeigen der Straße und uns Passanten die kalte Schulter – Schmalseite fensterlos – oder gleich eindeutig ihr Hinterteil. Anzuschauen am ersten von zwei neuen Siedlungshäusern (stadtauswärts rechts) das, unmittelbar an den Gehsteig anschließend, uns seine Erschließung in Form von gedeckten, offenen Gängen und einem exponiert liegenden Aufzugschacht zeigt. Die lächerliche (weil nur ungekonnter Dekor) Teilverkleidung aus farbigem Blech erfüllt nicht einmal, was in der vielbefahrenen Straße angebracht und legitim wäre: den Lärmschutz. Das Haus steht einfach ärschlings an der Straße.

Wie man so ein Problem angemessen und dabei ästhetisch lösen könnte, hat Helmut Richter an seinem Wohnbau in der Brunner Straße im Wiener Süden gezeigt. Für einen vielbefahrenen Ort eine Typologie des Wohnens finden, die dem legitimen Schutz des Individuums dient und zugleich den Straßen- und Stadtraum aufwertet, das wäre ein Aufgabe, der sich Studenten widmen sollten. Ob sie’s auch tun? Bazon Brock würde dann vielleicht nicht mehr von Architektur-Visagen sprechen anstelle von Fassaden, weil das „von Angesicht zu Angesicht möchten wir einander konfrontiert sein“, seiner Meinung nach eine Grunderfahrung der zwischenmenschlichen Beziehungen, in diesen gesichtslosen Objekten nicht mehr gegeben ist. (1)

(1)  Aus einem Vortrag von Bazon Brock: Fassaden im Mienenspiel – Architektur-Visagen
http://www.bazonbrock.de/werke/detail/?id=202&sectid=1562

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