03/11/2020

Jeden ersten Dienstag im Monat veröffentlicht GAT in der Kolumne Aber Hallo! Anmerkungen von Karin Tschavgova zu aktuellen Themen von Architektur und gebauter Umwelt.

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03/11/2020
©: Karin Tschavgova

Was nach der Krise übrig bleibt?

Im November 2019 konnte man im normalerweise gut informierten Gratisblatt Der Grazer lesen, dass in unserer Stadt 10 (in Worten zehn!) neue Hotels in Planung sind. Vielleicht ging es anderen angesichts dieser Nachricht wie mir. Spontan, aus dem Bauch heraus, dachte ich bei mir: Nun wollen sie alle noch auf den Zug aufspringen, der angesichts kontinuierlich steigender touristischer Übernachtungen eine vergoldete Zukunft verheißt, nicht anders als jene Wohnbau-Investoren, die auf Anleger, auf Anlagefreudigkeit und auf den angeblich starken Zuzug nach Graz setzen und auf „Teufel komm raus“ noch am Kuchen mitnaschen wollen. Ich erinnerte mich an eine Aussage des Chefs von Graz Tourismus einige Jahre zuvor, als er seine Sorge vor gegenseitigem Verdrängungswettkampf in der Hotellerie ausdrückte. Was, wenn der Boom im Tourismus nicht anhält, dachte sich die Kaufmannstochter in mir.
Nun bin ich zur Reha in Bad Gastein. Den Ort kenne ich seit Kindertagen, weil die Familie hier regelmäßig eine Schwester meines Vaters besuchte. Schon als Kind war ich beeindruckt von der Naturgewalt des Wasserfalls, der hier mitten durch den Ort 200 Meter in die Tiefe tost, aber auch fasziniert von den riesigen, vornehm wirkenden Hotelkästen, die bis zu 10-geschoßig in den steilen Hang gesetzt worden waren. Heute wird man die Lage und Bebauungsstruktur von Bad Gastein als „Alleinstellungsmerkmal“ vermarkten. Damals, in den 1960ern, ließ der Ort das Kind nur staunen und faszinierte mit dem Flair einiger Hotels, die wir in ehrfürchtiger Laune betraten. In meiner Erinnerung war alles fremd, aber funktionierend, Bad Gastein ein aufstrebender Ort. Der Eindruck kann nicht ganz falsch gewesen sein, wurde doch zu dieser Zeit die Felsentherme (1968) fertiggestellt und das Kongresszentrum (1974), beides von Gerhard Garstenauer, geplant.
Meine Vorfreude, wieder einmal hierherzukommen, war groß. In den letzten Jahren hatte ich von zahlreichen Versuchen gelesen, den Ort wiederzubeleben oder besser gesagt, „aufzumöbeln“. Ein Hotel, das an Berliner Architekten verkauft worden war, das Regina, das ein Hamburger Investor zum urbanen Treff umgebaut hatte, eine Eigentümergruppe um die Besitzer vom Haus Hirt, die die Sommerfrische mit Kultur belebten, Yoga-Tage und zuletzt der Kauf des Straubinger-Komplexes durch das Land Salzburg, das nur den Verfall stoppte und es rasch wieder verkaufen konnte.
Nun, der langen Vorrede kurze Conclusio: An einem sonnigen Tag, Straßen und Gehsteige waren nach dem ersten Schneefall fast vollständig trocken, wagte ich mich, nach zwei Wochen der körperlichen Ertüchtigung, vor ins historische Ortszentrum. Die Enttäuschung war groß. Ein Kurort in Agonie – die meisten Hotels geschlossen, selbst das hippe Regina. Offen waren ein Ramschladen mit Souvenirs, die Dorfbäckerei, ein Hotel, das zum Apartmenthaus umgebaut worden war, das Hotel Bellevue und die Nikolaikirche. Zum Weinen – und das bereits vor dem zweiten Lockdown der Hotellerie. Herausgerissene Fenster und Container mit Bauschutt lassen erahnen, dass es Anfänge von Umbauten gegeben hatte. Rostende Bauzäune mit der verheißenden Botschaft, dass Bad Gasteins Zukunft nun beginnt, waren wenig Trost. Wird es je gelingen, diese riesigen Bauten vor dem Verfall zu bewahren, den Ort zu beleben?
Die Summen, die einschließlich des Kongresszentrums in die Neuerfindung von Bad Gastein gesteckt werden müssten, kann ich mir gar nicht vorstellen. Was ich mir allerdings schon vorstelle oder erhoffe, ist, dass bei den Investoren in neue Grazer Hotels im Angesicht von Corona und dramatisch schrumpfender Touristenzahlen Vernunft einkehrt und die Baupläne in den Schubladen verschwinden. Schon für das jetzige Ausmaß an Stadthotellerie spricht der Zukunftsforscher Andreas Reiter von einer großen Marktbereinigung.
Staatliche Hilfe und Anschubinvestitionen für die Nach-Corona-Zeit würden dort Sinn ergeben, wo es darum geht, Urlaub und Erholung in Österreich zeitgemäßer und damit attraktiver zu machen. Steuererleichterung, Gegenrechnung mit Gewinnen der vorigen Jahre, Sanierungskredite und Förderungen für erhaltenswerte historische Gebäude würden zur Konjunkturbelebung nach Corona beitragen. Möglichkeiten dazu sieht der Zukunftsforscher viele. Mediterrane Sonne und das Meer kann man nicht herbeizaubern, aber für Ambiente, gutes Service und für ein Alleinstellungsmerkmal sind heute mehr Urlaubshungrige mehr denn je bereit, mehr auszugeben. Und morgen werden sich mehr Leute als je zuvor nicht mehr für wenige Tage ins Flugzeug setzen. Denke ich mir, erhoffe ich.
Daher ist dieses Aber Hallo! eher ein „Hold on“ und ein „Good Luck“. Auch für Florian Weitzer, den Hotelier in der 4. Generation mit einem untrüglichen Gespür dafür, was gerade angesagt ist. Weitzer hat, ganz kurz vor Corona, im Dezember 2019, das denkmalgeschützte, aber stark sanierungsbedürftige Kurhaus am Semmering gekauft. Dieses monumentale historische Gebäude aus 1909, geplant von den beiden Architekten Franz von Krauß und Josef Tölk, deren Atelier zu den erfolgreichsten im Österreich-Ungarn der Wende zum 20. Jahrhundert gehörte (Wikipedia), würde ich gern in neuem Glanz sehen und kurz bewohnen. Ein Zusammentreff zweier Runderneuerter, die Journalistin mit neuem Hüftgelenk und alter Wanderlust.

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