28/11/2006
28/11/2006

Fotos: Michael und Florian Simon

Real_Cheap_2
Zu den Produktionsverhältnissen im Architektur-Business

Das Forum Stadtpark Graz hat am 21.11.2006 zu einer Filmpräsentation mit anschließender Diskussion zum Thema „Architekturrealität am Tatort der Architekturproduktion“ - eine Folgeveranstaltung zur Reihe "Cheap" aus dem Jahr 2005 - eingeladen. Die Intention des gelungenen Ansatzes war es, Architekturstudierende der TU Graz mit Fragen und Kamera in die Höhle des Löwen/der Löwin zu schicken, um in gleichsam multifunktionaler Weise Feldforschung zu betreiben. So agierten Michael Simon und Hans Zirngast unisono als Reporter, Mitarbeiter und Filmemacher. Vorausgegangen war eine intensive Recherche als Grundlage für ihre Fragen an die Grazer Büros AG Bramberger architects und Atelier Thomas Pucher, HoG architektur und yes architecture, deren Genese und Struktur recht unterschiedlich sind.

Während Bramberger architects bereits seit 1988 besteht und mit durchschnittlich 8-10 MitarbeiterInnen lokale bis internationale Architekturprojekte durchführt und damit zu den arrivierten Grazer Büros zählt, hat yes architecture eine Niederlassung mit 15 Mitarbeitern in München und eine weitere mit 5 Mitarbeitern in Graz. Ihre Projekte zwischen Architektur und Produktdesign beschränken sich nicht nur auf Österreich und Deutschland, sie arbeiten auch mit Kooperationspartnern in Amerika. HoG architektur dagegen ist ein Start up Unternehmen, das erst dieses Jahr richtig aktiv mit einem Projekt in die Architekturproduktion eingestiegen ist und gerade seine Bürostruktur als work in progess aufbaut. Mit diesem Büro dürften sich die Architekturstudenten am ehesten identifiziert haben. Leider war die Tonqualität des entsprechenden Interviews so mangelhaft, dass es dem Publikum nur bedingt möglich war, dem Inhalt zu folgen.

In der Untersuchung ging es um folgende Hauptthemen: Welche Skills muss der Architekturabsolvent mitbringen? Was erwartet ihn als Mitarbeiter im Büro? Bis hin zu Fragen nach Selbständigkeit und Gründung von jungen Büros. Diskutiert wurden neben aktuellen Themen wie neoliberale Beschäftigungsverhältnisse oder Wettbewerbssituation auch Dauerbrenner wie die Selbst- und Fremdausbeutung des Architekten oder die Frage nach der Ausbildung zum Generalisten oder Spezialisten.

Während Einigkeit unter den Bürobetreibern herrschte, dass es zum wirtschaftlichen Arbeiten keine Alternative gibt, wird die Stellung des künstlerischen Arbeitens unterschiedlich bewertet. Marion Wicher-Scherübel von yes architecture kritisierte ein Unvermögen und Desinteresse vieler Architekten, unternehmerisch zu denken und zu handeln. Wirtschaftlich nicht rentable Projekte kämen zwar auch in ihrem Büro vor, würden dann aber als Werbefaktor verstanden und entsprechend eingesetzt.

Richtig lebhaft wurde es, als es um die Architekturausbildung an der Technischen Universität und der FH Joanneum Graz ging (ein Thema, über das an anderer Stelle noch einmal ausführlich gestritten werden sollte...). So warf Moderator Rainer Rosegger die Frage auf, ob die anwesenden Architekturbüros eher Absolventen der FH oder der Universität einstellen würden. Für die Partner von HoG zählte eher der persönliche Zugang, also wie kann ich mit dem potentiellen Kollegen? Liegen wir auf einer Wellenlänge? Alfred Bramberger, selbst Lehrbeauftragter an der FH Joanneum meinte, dass die Unterschiede zwischen den beiden Ausbildungseinrichtungen etwas zu sehr hochgeschaukelt würden. Wie überall gäbe es engagierte und weniger engagierte Studierende. Und die Vorwürfe, dass eine schulischere Ausbildung gleich bedeutend sei mit weniger effektiv, sei auch nicht unbedingt richtig. So entspräche eine Ausbildung in sehr kleinen Gruppen und bei entsprechender Qualität der Betreuer dem Meisterklassenprinzip mit all seinen Vor- und Nachteilen. In letzter Konsequenz würde das Architekt-Sein in freier Wildbahn gelernt!

Insbesondere in Hinblick auf Wettbewerbschancen empfahlen alle Vertreter der Büros Kooperationen zwischen etablierten größeren Büros und jungen Architekten, so wie ganz allgemein der Tenor herrschte, dass man den Gegebenheiten auf unterschiedlichster Ebene heute nur noch mit Netzwerkbildung und Internationalisierung begegnen könne.

Alles in allem also eine Veranstaltung, die viele relevante Themen untersucht oder zumindest angesprochen hat. Verwunderlich nur, dass sich so wenige Besucher und Besucherinnen, insbesondere aus der Zielgruppe der Architekturstudierenden eingefunden hatten – wo wart ihr?
KURZBIOGRAFIE:
DI MA Anke Strittmatter ist Architektin und Mitglied der Architektengruppe osa (office for subversive architecture), eine offene Arbeitsgemeinschaft von Architekten, Städtebauern und Künstlern. Die Mitglieder von osa leben und arbeiten in Darmstadt, Frankfurt, Berlin, Wien und London. Seit Herbst 2006 hat Anke Strittmatter einen Lehrauftrag an der FH Joanneum Graz, Studiengang Architektur und Projektmanagement.

Verfasser/in:
Anke Strittmatter, Bericht
Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
GAT+