17/03/2004
17/03/2004

Strukturierte Räume

Flug von London-Stanstead gen Osten – heimwärts. Unter uns bis zum Meer die sanft-hügelige, immergrüne Landschaft Südenglands, strukturiert durch Wiesen, Bachläufe, Baumgruppen, Weidegehölz und Zäune. Dazwischen Siedlungsstrukturen mit festen Rändern, zum Umland hin klar abgegrenzt, kompakt gefügt um eine Kirche, um einen kleinen Platz. Haus – Zeile - Straße als lineare Zeichnung, alles streng geordnet, scharf geschnitten, kleinteilig und klein.

Ist es die sprichwörtliche Korrektheit und Disziplin des Engländers, die sich in seinen Siedlungsformen abbildet? Auch er hat Sehnsucht nach Natur, will hinaus aus den Siedlungsagglomerationen, sucht Freiheit in der Natur. Aus den Stadtutopien von Owen und der Gartenstadtidee eines Ebenizer Howard im 19.Jahrhundert wissen wir, dass des Engländers Begriff von Freiheit immer das Gemeinwesen, die Gesellschaft reflektiert und er sich in seinen Bedürfnissen diesem unterordnet. Common sense?

Genau deshalb lassen nicht nur die Besitzverhältnisse dort das Umland von Siedlungen, die Landschaft weitgehend frei von Bebauung. In England scheint noch zu gelten, was Benevolo in seiner „Geschichte der Architektur des 19. und 20. Jahrhunderts“ als die wesentlichen Verdienste Howards beschrieben hat: „es sind vielleicht diejenigen, welche die Kontrolle des Landschaftsbildes betreffen: die Vorschriften über die Zäune, die Kulturen, die Bepflanzungen, die Unterhaltung der öffentlichen Plätze und Gärten, die erlaubten und nicht erlaubten Varianten innerhalb der Bebauung und die Lärmbekämpfung“.

Nachahmenswert? Fliegt man über die Pack von Westen her Graz an, über das „Juwel Schilcherland“, ist man geneigt, kategorisch zu bejahen.

Ohne jegliche Ordnung, nicht einmal von der Geländestruktur im Zaum gehalten, ausufernd, ungeordnet und maßstablos breitet sich unter dem Flugzeug ein Brei an Bebauung aus. Verwischte Ortsstrukturen, in die Ackerzonen ausgreifende Straßendörfer, die im Kern jedoch immer mehr Lücken aufweisen – ein Trauerspiel. Nachdem der Österreicher ganz offensichtlich auch einen anderen Begriff von Privatheit hat, steht sein Besitztum, seine „Naturausbeute“ wie eine Festung im Land - eine Insel, umgeben von einer meterhohen Thujenwand.

Freiheit scheint hierzulande zu bedeuten, sich der Schönheit der Landschaft zu bemächtigen, sie rücksichtslos zu konsumieren. Konsum sense !

Verfasser/in:
Karin Tschavgova
Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
GAT+