16/06/2004
16/06/2004

"Fachidioten knacken"

In Köln erklären Jus- und Mathematikprofessoren lustvoll die Kunst und locken Studenten ins Museum. Umgelegt auf Architektur würde das genau so funktionieren.

Wie können Studenten, die weder im Elternhaus noch in der Schule für die bildende Kunst begeistert worden sind, mit Hilfe der Universität doch noch zu Kunstliebhabern und möglicherweise auch Kunstsammlern werden? Diese Frage stellte sich der Verein der Freunde des Wallraff-Richartz-Museums und des Museums Ludwig in Köln angesichts einer Erhebung der dortigen Universität: Nur 40 Prozent der befragten Studenten quer durch alle Fakultäten gehen mehr als einmal jährlich ins Museum. (Zitat aus "Die Zeit", 5.Februar 2004)

Bummm! Und das soll unsere künftige geistige Elite, Stütze und Motor der Entwicklung unserer Gesellschaft werden?
Spezialisten für Zahnheilkunde, Betriebswirtschaftslehre, Biochemie oder Raumplanung, die während ihres Studiums offensichtlich weder Zeit noch Anregung finden, um über den Teller- beziehungsweise Bücherrand hinauszuschauen.

Dass diese Fachidioten genauso wenig Interesse an Architektur haben, ist naheliegend. Kann ein Biochemiker seine ganze Karriereleiter ohne Kunstwissen und -genuss emporklettern, ein Zahnarzt in seinem Metier durchaus auch erfolgreich sein, wenn er Kunst nur als Abschreibposten sieht und ein Betriebswirt sein ganzes Leben der Überzeugung sein, dass Kunst bzw. deren Förderung nicht mehr ist als ein hip zur Schaffung einer überzeugenden Firmen-corporate-identity, so sind doch viele von diesen mehr als einmal in ihrem Leben in einen Planungs- und Bauprozess, in Bauentscheidungen involviert. An der Architektur kommen die Herren Mediziner etc. also nicht vorbei.

Etwas über‘s Bauen zu wissen, Qualitätsmerkmale der Architektur beispielhaft erkennen zu lernen und neue Trends zu beobachten, wäre dabei wichtig und hilfreich. Daher könnte das Kölner Modell - ein Programm gegen die Produktion von reinen Fachidioten - auch auf die Architektur umgelegt werden. Dort führen jeden Sonntagmorgen Professoren und –innen Studenten ins Museum vor eine von ihnen besonders geschätzte Arbeit. Das Besondere daran: sie alle sind keine Kunsthistoriker, „nur“ Kunstliebhaber. Der Funke für die Lust an der Kunst soll nicht durch Fachkenntnis überspringen, sondern durch persönliche Begeisterung. Im Anschluß an die Führung setzt man sich dann noch auf ein Bier zusammen, um in ungezwungener Atmosphäre das Gespräch über Kunst fortzusetzen.

Auf die Architektur umgelegt würde dieses Modell genauso funktionieren. Der Vorteil dabei? Die Vermittlung durch passionierte Laien trägt dazu bei, Schwellenängste und Vorurteile abzubauen. Der Laie ist ein neutraler Dritter im Bauprozess zwischen Bauherren und Planendem, sein Engagement ist uneigennützig und deshalb glaubwürdig. Um die Vermittlungsfähigkeit braucht man sich keine Sorgen zu machen. Wer einmal Begeisterung und ein Sensorium für Architektur entwickelt hat, ehrenamtlich sozusagen, der weiß auch warum. Der bringt die Sache auf den Punkt. Im Gegensatz zu manch einem Architekten, der an der Vermittlung seiner Arbeit kläglich scheitert.

Verfasser/in:
Karin Tschavgova
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