15/12/2004
15/12/2004

Bekenntnis zur Urbanität, oder: Wem gehört die Stadt?

Die Diskussion "Stadtplanung NEU" wird sich meiner Meinung nach künftig
mit folgenden Zukunftsfragen und Herausforderungen auseinandersetzen
müssen
- Massive Änderungen in der demographischen Entwicklung erfordern einen "Stadtumbau", insbesondere der sozialen Infrastruktur.
- damit verbundene städtische Aufgabenprofile ändern sich bzw. sind
einer Neubewertung (Stichwort "Soziale Stadt") zuzuführen.
- die Finanzierung öffentlicher Aufgaben gerät dramatisch in die Kostenschere zwischen zunehmender Aufgabenfülle und abnehmendem Budgetspielraum.
- der EU-Erweiterungsprozess birgt für die Stadt Chancen und Risken: z.B. Graz als "Mittelstadt" im internationalen Standortwettbewerb mit ca. 250(!) gleich großen Konkurrenten in Europa; oder
- die permanente Auseinandersetzung mit einer zunehmend kritischen
Stadtöffentlichkeit.
Dies sind nur einige Beispiele.
Dazu kommt, dass die "klassische Stadtplanung", wie wir sie noch auf der TU
vermittelt bekommen haben, ohnehin nur mehr in der Theorie existiert. Das heißt, das Alltagsgeschäft wird im Wesentlichen von einer Vielzahl städtischer und regionaler "Akteure" (Investoren, Lobbyisten, etc.) und nicht im Stadtplanungsamt bestimmt.
Für Planung als gesellschaftspolitische Aufgabe ist es daher umso wichtiger, in diese Entscheidungsprozesse zu intervenieren bzw. aktiv einzugreifen, damit ein gutes Planungsklima bzw. eine offene Planungskultur geschaffen wird.

"Unser Auftrag ist die Region"
Mit diesem Slogan wirbt der Regionalverband Hannover für Regionalbewusstsein, seine regionalpolitischen Ziele sowie seine
Anliegen und setzt diese mittels eines Regionalparlamentes auch konsequent um. In Graz ist nach der "Causa Seiersberg" ein konstruktiver Dialog mit dem Umland anscheinend nicht möglich; damit werden jedoch "win-win-Situationen" und Entwicklungschancen (Beispiel: Neue Messe -
alternativer Standort in der Region) vergeben.
Beispiele aus dem Ausland zeigen uns spannende Entwicklungen im regionalen Denken in der Raumplanung: In den USA formiert sich in den städtischen Regionen die sogenannte "Anti-Sprawl-Bewegung": Es
konstituieren sich NGO´s, Nonprofit-Organisationen, um gegen die ungebremste Zersiedelung mit all ihren negativen Entwicklungen (Landverbrauch, Verkehr, Umweltbelastung, etc.) zu protestieren und um Gegenkonzepte zu entwerfen. Diese
"Anti-Zersiedelung-Bewegung" diskutiert Vorschläge, wie der suburbane Raum zivilgesellschaftlich gestaltet werden kann - sie zeigt aber auch, welche Fallstricke mit einer marktorientierten Reform des Städtebaus verbunden sein können.

Noch einmal:
Es geht nicht um die Person
des/r Stadtplaners/in als "Wunderwuzzi"; es geht um den Paradigmenwechsel in der Planung und das damit verbundene politische Anforderungsprofil. Ein Joze Plecnik hat, zur richtigen Zeit am richtigen Ort, seine Chance für den Stadtumbau von Ljubljana meisterhaft nutzen können; er verlieh dieser Stadt seine persönliche Prägung.
Damals.
Heute hätte er es wahrscheinlich auch nicht so leicht...
Aber mit seinem Rollenverständnis als "Politikberater", mit seinem Mut
zu unkonventionellen und unpopulären Lösungen war er damals seiner Zeit
voraus. Und jedenfalls kein Stadtplanungsbeamter, der im Sinne eines
"vorauseilenden Gehorsams" brav seinen Dienst erledigt hat.

Dipl.-Ing. Günther Tischler, Raumplaner in Graz, wird einer der externen Fachleute sein, die beim Hearing zur Bestellung des neuen Leiters des Amtes für Stadtplanung beigezogen werden, um die Stadt Graz bei der Auswahl des künftigen Stadtplaners zu beraten. Er wurde von der Ingenieurkammer für Steiermark und Kärnten nominiert.

Günther Tischler führt ein selbständiges Planungsbüro im interdisziplinären, fachlichen und räumlichen Verbund mit Raumplanern und Architekten, kurz regionalentwicklung.at.
Die Arbeitsschwerpunkte des Büros liegen in den Bereichen:
EU-Programmplanung / Förderanträge;
Regionalplanung / Regionale Entwicklungsprogramme;
Örtliche Raumplanung und Stadtentwicklung;
Umweltplanung / Projektkoordination.

Verfasser/in:
Günther Tischler, Gastkommentar
Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
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