03/12/2010
03/12/2010

Peter Matzold, Franziska Schruth (Moderation), Eugen Hein, Sabine Lea Christian.

Fotos: Living Rooms

Im Rahmen der Veranstaltungsreihe CROSSOVER-architecture hatte das Architekturnetzwerk LIVING ROOMS heuer wieder drei interessante Gäste geladen. Die Veranstaltungsreihe rückt Persönlichkeiten, die als ausgebildete ArchitektInnen den engeren Bereich des Architekturbusiness verlassen und beruflich alternative Wege gesucht haben, in den Mittelpunkt. Weiters wird mit den „Architektur-Emigranten“ über das gegenwärtige Image der ArchitektInnen sowie Möglichkeiten der Baukulturvermittlung diskutiert.

Die diesjährigen Gäste - Eugen Hein (bildender Künstler) und Peter Matzold (Pfeifenschnitzer) haben zu unterschiedlichen Zeitpunkten innerhalb ihrer Biographien die Architektur hinter sich gelassen. Sabine Lea Christian hat dagegen als Stadtbaudirektorin von Kapfenberg auch heute noch im weiteren Sinne intensiv mit Architektur zu tun, steht aber im Grunde genommen auf der BauherrInnenseite. Gemeinsam ist allen drei Vortragenden neben dem intensiven Hang zur Kreativität, sowohl das (zeitweise sogar zeitgleich absolvierte) Architekturstudium an der TU Graz als auch der Wohnort außerhalb von Graz, welcher auch lokal den Blick über den Tellerrand ermöglichte.

Eugen Hein schilderte in seinem Vortrag, wie er viele Jahre versucht hatte, die Architektur und die Malerei parallel auszuüben, in beiden Tätigkeiten aber fundamentale Unterschiede erlebte - die Architektur als eigentliche Teamwork-Aufgabe und im Gegensatz dazu die Malerei als Einzelunternehmung. Im Jahre 2001 entschloss er sich, mit der Architektur gänzlich aufzuhören und sich ganz der Malerei zu widmen, was ihm nach eigener Aussage als „Alleine-Arbeiter“ sehr entgegen kommt. Dennoch konnte sich Eugen Hein seither in seiner Arbeit nicht ganz von der Architektur trennen. Ausführlich stellte er seine Arbeiten in der Justizanstalt Leoben von Josef Hohensinn vor. Einerseits handelt es sich dabei um einen 100 Meter langen Schriftzug an der Nord- und Ostseite der Mauer der Justizanstalt, der die Artikel 1 und 10 der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ enthält. Andererseits wurde er mit der Gestaltung des Andachtsraums betraut, der neben einer schlichten mobilen Holzmöblierung auch zwei großformatige Bilder des Künstlers enthält. Teilweise hat er die Arbeit daran als „Rückfall in die Architektur“ erlebt.

Viel früher, nämlich schon im Zeichensaal, Az 3, widmete sich Peter Matzold Experimenten zur Herstellung von Alltagsgegenständen, unter anderem auch dem Schnitzen von Tabakpfeifen. Was als Hobby begann, stieß auf derart große Begeisterung, dass Peter Matzold noch vor Beendigung des Architekturstudiums versuchte, gänzlich von der Schnitzerei zu leben, was schlussendlich gelang. Heute ist er einer von weltweit ungefähr 15 Pfeifenschnitzern, die ausschließlich von ihrer Profession leben. Nach einer Phase sehr skulptural gearbeiteter Pfeifen, arbeitet er derzeit besonders mit der jeweiligen Struktur und Eigenart des Wurzelholzes, das er aus dem Mittelmeerraum bezieht. Sein Kundenkreis umfasste bis zur Jahrtausendwende vor allem Kunden im deutschsprachigen Raum. Mit der Nutzung des Internets weitete sich der Kundenstock sprungartig aus und heute kommen die Kunden Peter Matzolds vor allem aus China und Nordamerika.

Sabine Lea Christian stand als jahrelang aktives ÖH-Mitglied vor der Frage „Politikerkarriere“ oder doch ein „gescheiter Beruf“. Sie beendete das Architekturstudium und befindet sich heute als Stadtbaudirektorin von Kapfenberg wieder an der Schnittstelle zwischen Architekturberuf und Politik. Ihr Vortrag zeichnete ausführlich das „Glück“ innerhalb ihrer Arbeit, nämlich ihre Einflussmöglichkeiten in verschiedenen städtebaulichen Eingriffen in ihrer Gemeinde, als auch das „Unglück“ nach, wo die Kompetenzen und übergreifenden Planungen am Individualismus unserer Zeit scheitern. Sie stellte bedauernd fest, dass Stadtplanung „nicht wirklich ernst genommen“ wird. Anhand der Projekte, die sie zeigte, wurde deutlich, wie wichtig architekturaffine und idealistisch handelnde Personen in den heimischen Stadtbaudirektionen sind. Sabine Christian erfüllt in Kapfenberg die bewundernswerte Aufgabe eines Bollwerks für Baukultur.

ABSCHLIESSENDE DISKUSSIONSRUNDE
In der anschließenden Diskussion wurde unter reger Teilnahme des Publikums besonders die Vermittlung von Baukultur aufgegriffen. Es stand die Frage im Raum, inwieweit ArchitektInnen im Abseits stehen, ihnen Kompetenzen hinsichtlich Raumplanung und Gestaltung abgesprochen werden bzw. ob die geringe Akzeptanz von ArchitektInnen in der Öffentlichkeit womöglich selbst verschuldet ist, weil sich ArchitektInnen nicht als ExpertInnen „verkaufen“. Besonders die mangelnde Geschlossenheit der ArchitektInnenschaft sowie der nicht entsprechende Einsatz ihrer Vertretungsorgane wurde bemängelt. Viele ArchitektInnen würden außerdem den Fehler begehen, zu akademisch aufzutreten, womit sie nicht die Laien und potentiellen Bauherrn erreichen.
Bei der Frage, wie man gute Gestaltung in ländlichen Gegenden fördern könne – Stichwort „Architektur auf Krankenschein“ (Sabine Christian) - meinte Eugen Hein gar, dass Architektur und Gestaltung Fremdworte in ländlichen Gegenden seien. Ausnahmen von dieser Regel stellte Peter Matzhold beispielsweise in Kumberg fest, wo ein ortsansässiger Architekt seinen aktiven Beitrag zur Baukulturvermittlung leistet. Dem stimmte auch Sabine Christian zu – externe PlanerInnen, beispielsweise aus Graz, würden häufig Probleme damit haben, eine Vertrauensbasis aufzubauen.
Hinsichtlich der Frage, welche Form der Baukulturvermittlung nötig wäre, um auch „am Land“ ein Umdenken zu erreichen, machte Christian die Erfahrung, dass vor allem Planungsbüros vor Ort in der Bevölkerung gefragt sind.

Verfasser/in:
Redaktion GAT Graz Architektur Täglich
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