09/12/2005
09/12/2005

Peter Sloterdijk in der Alten Universität on Display

Peter Sloterdijk in der Alten Universität on Display

Im Rahmen des Eröffnungsfestivals der bereits siebenten „Medien und Architekturbiennale“ (2005 bis 2007) in der Alten Universität Graz stellte Kuratorin Charlotte Pöchhacker am 02.12.2005 Ausstellungskonzept und Architektur der Wanderschau „Architektur Laboratorium Steiermark“ vor.

Was Peter Sloterdijk, Rektor der Staatlichen Kunsthochschule für Gestaltung in Karlsruhe, in seinen Überlegungen als Eröffnungsrede vergleichsweise kurzweilig, zwar unkonventionell aber nachvollziehbar, über Entstehung der Architektur infolge evolutionärer Prozesse darstellte, sollte sich im Verlauf der Präsentationen und Diskussionen des Architektur Laboratoriums Steiermark doch erheblich verkomplizieren.
Mit Johann Gottfried Herder meint Sloterdijk, der Mensch sei ein Luftbewohner. So suchte er im Lauf seiner Entwicklung Mittel, seinen Lebensraum Luft zu gestalten oder entsprechend seiner Befindlichkeit zu adaptieren. Das führte vom Feuer, „der erste Architekt“, um das ein klimatisierter und mit zunehmender Entfernung determinierter Raum entsteht – oder eben Räume – in denen sich die „Horden der Savannen“ wohl fühlen und eine Gesellschaftsordnung aufbauen, bis zum „Daisy Cutter“, der stärksten von den USA eingesetzten pyrotechnischen Bombe. Sie steht am Ende einer Entwicklung, die ihren Ausgang im willkürlich herbeigeführten Luftbeben nahm. „Architektur als atmosphärische Verantwortung“ nannte Sloterdijk seinen Vortrag, in dem er vom Londoner Kristallpalast im Hydepark erzählte, dem präglobaliserten Versuch, die ganze Welt während der Weltausstellung 1851 in ein Haus zu packen an dem es kein Außen mehr gibt, weil dieses ja nicht mehr existiert wenn sich die ganze Welt in einem Innenraum befindet. Das Präfix Archi ist Zeichen der Macht, der Archi-tekt ist der Oberbaumeister derer, die sich mit der Herstellung von Menschenbehältern beschäftigen. Eine Stadt ist eine Akkumulation dieser Behälter und damit diverser künstlich hergestellter Atmosphären, die in und durch die Akkumulation entstehen, die Gesellschaftsbildung befördern und umgekehrt. Darin das Individuum, dem der Architekt auch Behüter des Schlafes ist, nachdem die Natur des Menschen den Schlaf und den Rückzug in einen privaten Bereich erzwingt, der sich wiederum außerhalb der Welt bzw. der Welt der anderen befindet – ein geschützter Bereich, Shelter, Habitat. Und so seien die Architekten, sagt Sloterdijk, auch „Komplizen der Matratzenfabrikanten“.

ALS und Der Melkstock als Designstück Sitzstock.
Das „Bewegtbild“, wie es im Zusammenhang mit Architekturfilmen von Heinz Emigholz heißt, ist eine eigentlich schöne retardierende Bezeichnung wie man sie von Peter Handke erwarten könnte, der sich weigert, den gängigen Terminus Handy zu verwenden und stattdessen „Handtelefon“ schreibt. Das klingt nun bei Handke, als zählte er zu der – nicht unvernünftigen – Spezies der Handyverweigerer. Belegt dagegen ist, das Handke sich keineswegs dem Film respektive Kinofilm verweigert, diesen aber stets auch Film nennt und nicht Bewegtbild als handelte es sich um eine Erfindung, über die die Herren Lumière im Rahmen des Architektur Laboratoriums Steiermark referieren sollten.
Dieses Bewegtbild eben ist Teil des Ausstellungskonzeptes ALS das Charlotte Pöchhacker im fast einstündigen Vortrag zu beschreiben versuchte: Zentrale Plattform ist Graz, es sollen Netzwerke geknüpft und Austausch gepflegt werden. Das ALS ist Ort von Forschung und Produktion. Die Ausstellung soll sich entlang von vier Parametern entwickeln die Pöchhacker den HörerInnen wie folgt darlegt: „Parameter 1 und 2 führen zur Analyse aktueller Architekturprojekte sowie zur Betrachtung gegenwärtiger Bedingungen der Architekturproduktion mit dem Ziel, Entwicklungen zu recherchieren. Erstens: Interdisziplinäre Auseinandersetzung; Reflexion der Architektur in Gesamtzusammenhängen; thematische Strukturierung der Ausstellung; Öffnung der Blicke über Disziplinen hinaus; Architektur im Dialog mit anderen Disziplinen. Zweitens: Lokale und internationale Vernetzung; eine lebendige, sich verändernde Ausstellung mit gezieltem Erfahrungsausstausch mit den spezifischen Situationen und Praktiken der Architekturproduktion an den einzelnen Ausstellungsorten; die Parameter 3 und 4 wiederum betonen die emotionale und sinnliche Wahrnehmung der Architektur, zum einen die visuelle Repräsentation, Interpretation und Auseinandersetzung mit Fragen visueller Umsetzung von Architektur und das Ausstellungsdisplay als eigene architektonische Formulierung in künstlerischer Gestaltung. ... ALS ist also eine sich diskursiv produzierende Ausstellung. Die Ausstellung als arbeitende Ausstellung, die bereits den Entstehungsprozess der Ausstellung in Form eines öffentlichen Laboratoriums und über einen Zeitraum von drei Jahren aktuelle Fragestellungen innerhalb der Architekturproduktion im Zusammenhang mit dem gesellschaftspolitischen, ökonomischen und kulturellen Gesamtverhältnissen reflektiert. Das Machen der Ausstellung, das Making Of der Ausstellung, folgt einer ganz spezifischen architektonischen Struktur und bildet ein wesentliches Element im Gesamtkontext der Ausstellung. In der ersten Phase der Ausstellungsproduktion erfolgte parallel zu Sichtung und Auswahl des Panoramas der Architekturen in und aus der Steiermark eine Recherche aktueller Themen im Kontext der lokalen Produktions- und Rahmenbedingungen ... es entstand daraus eine erste Aufzeichnung aus der Innenperspektive ...“. „Architekturaffine Disziplinen“ sollen in einer zweiten Phase des ALS zum Dialog herangezogen werden. – Soviel vorerst zu den atmosphärischen Bedingungen der Präsentation des Konzeptes. Alexander Kada steht für besagtes Ausstellungsdisplay, das entsprechend den als nomadisch zu beschreibenden Bedingungen der Reiseausstellung an fünf noch nicht fixierten Orten in Europa flexibel und funktionell sein soll und, hier deutlich schlichter als bei der Präsentation, als raumdefinierendes System von Projektionsflächen beschrieben werden kann. Die Bewegtbilder ausgewählter Objekte und Projekte , hergestellt von Heinz Emigholz, sollen projiziert werden und dazugehörigem Planmaterial gegenübergestellt sein. Auf Anfrage aus dem Publikum, wie eine offensichtliche bestehende Erstauswahl der in der Ausstellung vertretenen Architekturbeispiele vorgenommen wurde, nannte Pöchhacker ein Mapping-Verfahren. Nicht näher allerdings wollte die Kuratorin darauf eingehen, wer mappte und wer gemappt wurde.
Interessant der einbeinige, transportable und klappbare Sitzstock den Alexander Kada entwarf. Das Designstück Sitzstock soll BesucherInnen zum Kauf offeriert werden und die Kontemplation in der Ausstellung befördern. Die Urform des Sitzstockes dürfte zwar dem Landwirt wie dem Weidmann nicht gerade unbekannt sein, erfährt aber im Kontext von Ausstellungen eine jedenfalls merkwürdige, vielleicht sogar innovative Qualität. Zur weiteren Vertiefung in komplexe Strukturen und Strategien sei auf www.artimage.at verwiesen.

Verfasser/in:
Wenzel Mracek, Kommentar
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