16/01/2019

Architekturführer Graz
Hrsg. von Anselm Wagner
und Sophia Walk
dom publishers, Berlin
Reihe Architekturführer
456 Seiten
EUR 39,10
ISBN 978-3-86922-577-7

"Erstmals werden in diesem Architekturführer alle relevanten Gebäude vom 12. bis zum 21. Jahrhundert behandelt. Elf Touren führen zu rund 250 Bauten, Straßenzügen und Plätzen. Vertiefende Schwerpunkttexte geben Einblicke in die Hintergründe des Baugeschehens und betten sie in einen kunst- und kulturgeschichtlichen Kontext ein." (dom publishers)

Rezension
von Martin Grabner.

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16/01/2019

Architekturführer Graz, Cover

©: DOM publishers

Inhalt

©: DOM publishers

Seite 130|131: ARGOS

©: DOM publishers

Seite 132|133: Altstadtschutz

©: DOM publishers

Seite 176|177: Kunsthaus

©: DOM publishers

Seite 194|195: Wohnbau Prinzessin Veranda

©: DOM publishers

Seite 232|233: Bürogebäude NIK | Synagoge

©: DOM publishers

Seite 258|259: Gründerzeitblock

©: DOM publishers

Seite 420|421: HQ Pachleitner | HQ XAL | Wohnbau Grünanger

©: DOM publishers

Es wurde auch Zeit. Endlich hat die Architekturstadt Graz „ihren“ Architekturführer von DOM publishers und wurde damit auch aus Sicht des wichtigsten deutschsprachigen Verlags für Architekturführer in den Kreis der international bedeutendsten Architekturdestinationen aufgenommen. In selbstbewusst sattem Magenta tritt der von Anselm Wagner und Sophia Walk herausgegebene und im HDA Verlag co-erschienene Band auf.
Es ist nicht der erste Architekturführer für Graz, aber in mehrerlei Hinsicht der umfangreichste. Mit fast 250 Einträgen auf 450 Seiten übertrifft er die Ausgaben anderer, um ein Vielfaches größerer Städte. Ebenso was die Zahl der Beteiligten betrifft: Über mehr als zwei Semester arbeiteten Studierende mehrerer Lehrveranstaltungen an drei TU-Instituten (neben dem federführenden Institut für Architekturtheorie, Kunst- und Kulturwissenschaften das Institut für Architektur und Medien und das Institut für Zeitgenössische Kunst) an den Texten, Fotos und Plänen. Im Unterschied zu seinem unmittelbarsten Vorgänger, Architektur_Graz, herausgegeben 2008 (3. Auflage) von Michael Szyszkowitz und Renate Ilsinger, der sich auf den Zeitraum ab 1990 konzentriert, erhebt der neue Architekturführer Graz den Anspruch, die Stadt vom 12. bis ins 21. Jahrhundert abzubilden. Er reicht sogar ein wenig in die Zukunft: Neben dem Argos von Zaha Hadid und der Revitalisierung und Erweiterung der Universitätsbibliothek durch das Atelier Thomas Pucher (beides wird Mitte 2019 fertig) kann man auch über die zwei großen Stadtentwicklungsgebiete Graz-Reininghaus und Smart City Graz lesen, die gute zehn bzw. fünf Jahre in die Zukunft projektiert sind.

Eine große Qualität der Neuerscheinung liegt in der Darstellung des Nebeneinanders von scheinbar Unvereinbarem im Stadtgefüge, das durch das Nebeneinander im Buch in Beziehung gesetzt wird. So prallt die barocke Welsche Kirche am Griesplatz auch im Buch ganz unvermittelt auf das Telekom-Hochhaus. Durch die Dichte der Darstellung wird aus Spannung Korrespondenz, aus dem Nebeneinander ein Miteinander und manchmal ein Ineinander, das auch in der Stadt Graz (zumindest baukulturell) vielleicht mehr als anderswo zu spüren ist. Ganz im Sinne der Begründung für das UNESCO Weltkulturerbe Graz im Jahr 1999 gibt der Band das „harmonische Zusammenspiel architektonischer Stilrichtungen aus unterschiedlichen Epochen“ als Grazer Charakteristikum wieder, womit auch und besonders die Architektur der Gegenwart gemeint ist. Die in Rundgängen geordneten Einträge mit Fotos, zahlreichen Planzeichnungen und einigen historischen Abbildungen zeichnen, unterstützt durch atmosphärischere Texte zu charakteristischen Orten, eine Kontinuität der Entwicklung der Stadt. Positiv fallen dabei die gut recherchierten und datierten Umbauten und Ergänzungen und der eine oder andere, der studentischen AutorInnenschaft geschuldete, erfrischend direkte Kommentar auf.

Ein Dutzend Schwerpunkttexte rahmt die Objektbeschreibungen und setzt sie in einen architektur-, kunst- und kulturgeschichtlichen, historischen und aktuellen Kontext. Eröffnet werden diese von einem Essay von Anselm Wagner, der die Geschichte von Graz rund um das Material Eisen erzählt und überzeugend einen roten Faden von den berühmten Ritterrüstungen des Grazer Zeughauses über das Eiserne Haus, die expressive Stahl- und Stahlbetonarchitektur der Grazer Schule (aber auch der Murinsel) bis zum dominanten Wirtschaftsfaktor Automobilindustrie spannt. In der Folge widmen sich die AutorInnen den prägenden Aspekten der Stadt und ihrer Architektur wie dem UNESO-Weltkulturerbe und dem Altstadtschutz, der Dachlandschaft, dem Gründerzeitblock, der Rolle der Avantgarde und der Kunst im öffentlichen Raum.
Einige Texte weisen aber auch über den gewohnten Inhalt von Architekturführern hinaus, thematisieren das, was man nicht (mehr) in der Stadt sehen kann oder was man zwar sieht aber nicht reflektiert. Letzteres behandelt Petra Eckhart in ihrem Essay über die Kärntnerstraße als funktional überformte Ausfallstraße, die, mit offenen Augen betrachtet, mehr über Gegenwart und Geschichte der Stadt erzählt als es so manche Kirche vermag. Es liegt in der pragmatischen Natur von Architekturführern, dass sie Bauten beschreiben, die die LeserIn/der Leser auch besuchen kann. Dadurch fehlen jedoch einige Gebäude – weil sie schlicht und einfach nicht mehr existieren. Von den wenigen und noch weniger erhaltenen Gebäuden der Moderne in Graz und der Bedeutung dieser architekturgeschichtlichen Episode für die Stadt handelt der Text von Antje Senarclens de Grancy, die insbesondere das Werk des 1943 von den Nationalsozialisten ermordeten Grazer Architekten Herbert Eichholzer analysiert.

Was für zerstörte Bauwerke gilt, gilt ebenso für bestehende: Es ist eine wesentliche Aufgabe eines Architekturführers, einen Beitrag zum Schutz und Erhalt des Architekturerbes zu leisten – durch Sichtbarmachen und Erklären, aber auch Kritik. Dementsprechend ist die Auswahl der Objekte die schwerste Aufgabe bei der Konzeption. Der vorliegende Band umfasst die Klassiker, architektonisch wertvolle und/oder durch ihre Präsenz im Stadtbild besonders prägende Gebäude, versucht dabei eine Ausgewogenheit von Funktionen und Typologien zu bewahren und muss bei besonders aktiven ArchitektInnen eine Auswahl treffen. Erfreulicherweise enthält er auch Entdeckungen, wie die bisher nahezu unbekannte Markthalle in Eggenberg von Gustav Madritsch und Kleinode wie den tatsächlich sehr kleinen, denkmalgeschützten Schneidersalon Bernschütz von Karl Hütter nahe der Herz-Jesu-Kirche. Man möchte nicht in der Haut der Herausgeber stecken, wenn es gilt zu entscheiden, was schlussendlich doch nicht seinen Platz in der Sammlung findet. Denn jeder, auch der Autor dieser Zeilen, weiß auf Anhieb zumindest ein Dutzend Werke, die unbedingt hätten berücksichtigt werden müssen. Ein wenig helfen die ergänzenden Texte, in denen weitere, gefühlt 30 Objekte vorkommen. Eine Nummerierung und Markierung auf den Karten würde ihre Auffindbarkeit jedoch erleichtern. Schade ist allerdings, dass so gut wie alle Plätze und Freiräume der Stadt nur in dieser Form vorkommen (und einige gar nicht), anstatt mit eigenem Eintrag gewürdigt zu werden (die Ausnahme bildet der Färberplatz). Vielleicht spiegeln sich hier die, im internationalen Vergleich geringe Wertschätzung und der hinterherhinkende Umgang mit öffentlichen Räumen in Österreich wider. Die unvollendete Platzoffensive der Stadt Graz ab den 1990er Jahren wäre einen weiteren Schwerpunkttext wert.

Dass selbst 450 Seiten nicht ausreichen um die Dichte qualitativer Architektur in Graz vollständig abzubilden kann aber auch als Kompliment an die Stadt verstanden werden. Und an die Herausgeber für ihren Mut zur einen oder anderen Lücke – die auch als Aufforderung an die Leserin/den Leser verstanden werden kann, mit offenen Augen selbst Entdeckungen zu machen. Als Vehikel der Kommunikation von Architektur macht der Architekturführer Graz die Fülle hervorragender Gebäude aus den letzten Jahren ebenso wie aus den letzten Jahrhunderten sichtbar, erleb- und erfahrbar, trägt zur Entwicklung eines wertschätzenden Umgangs mit Baukultur bei und macht Lust auf einen Stadtspaziergang.

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