28/02/2020

Ausschnittsweise

Mago über Verritt – das neue Fotobuch von Erwin Polanc

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Erwin Polanc
Mago Über Verritt
Fotohof, Salzburg, 2019
Grafische Gestaltung: Oliver Klimpel, Erwin Polanc
Lithografie: Jan Scheffler
Hardcover, fadengeheftet
31,4 x 24,2 cm, 172 Seiten
162 Farbabbildungen
edition: 500, € 49
ISBN 978-3-902993-78-6

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28/02/2020

Cover: Mago über Verritt. Fotobuch von Erwin Polanc, 2019.

©: Erwin Polanc
©: Erwin Polanc
©: Erwin Polanc
©: Erwin Polanc
©: Erwin Polanc
©: Erwin Polanc

Mago über Verritt – Das neue Fotobuch von Erwin Polanc

2001 erschien eine Publikation, die die Welt des Fotobuchs grundlegend verändern sollte. Andrew Roth, New Yorker Galerist und Kunstbuchspezialist, veröffentlichte The Book of 101 Books. Roth stellte die aus seiner Sicht 101 wichtigsten Fotobücher des 20. Jahrhundert vor. Erstmals wurde dem Fotobuch als Gesamtkunstwerk mehr Aufmerksamkeit zuteil, als nur ein reines Transportvehikel für Fotografien zu sein. Roth betrachtete in einem voluminösen Buche, welche Kriterien zusammenwirken müssen, damit am Ende ein relevantes Fotobuch entsteht. Er beurteilte seine Auswahl nach Aspekten wie Inhalt, Form, Bildauswahl, Layout, Farben, Format oder Schriftsatz. Binnen kürzester Zeit wurde Roths in kleiner Auflage erschienenes Werk selbst zum Sammelgegenstand. Mit The Open Book legte Roth drei Jahre später eine weitere Arbeit vor. Sie präsentierte erstmals die Geschichte des Fotobuchs vom 19.Jahrhundert bis in die Gegenwart. 2005 übernahmen der britische Fotohistoriker und der Magnum Fotograf Martin Parr die Deutungshoheit über das Fotobuch. Beide auch leidenschaftliche Sammler legten mit The Photobook: A History Volume I ein reich bebildertes Buch vor, dem noch zwei weitere Bände folgen sollten. Für Sammler wurde die Trilogie zu einer Art Bibel des Fotobuchs. Die Preise für die in den Bänden erwähnten, vorwiegend antiquarischen, Werke stiegen massiv an. Zu den Klassikern gesellen sich nun neue, richtungsweisende Fotobände. Das digitale Zeitalter eröffnet bisher nie da gewesene Produktionsmöglichkeiten. Eigenpublikationen in Kleinstauflagen fordern klassische Verlage heraus. Der nun mögliche völlig selbstständige und individuell steuerbare Produktionsprozess von der Idee bis zum fertigen Produkt lässt den Hype um das Fotobuch seit zwei Jahrzenten ungebrochen. 
Seit mehreren Jahren untersucht auch der freischaffende Fotograf und Lehrende für Fotografie und Multimedia Art an der Abteilung für Kunst und Design an der Ortweinschule, Erwin Polanc, die Schnittstelle zwischen Fotografie als selbstständiges Bild und als Bestandteil eines Fotobuchs. Vor drei Jahren veröffentlichte er im Salzburger Fotohof-Verlag sein erstes Buch Mariazell. Es ist ein Werk, das Fotografien fernab von Zuordnung, Erkennbarkeit und von jedwedem Klischee des Wallfahrtsorts zeigt. Statt Kulisse wurde Mariazell zu einem Langzeit-Labor, in dem Polanc einmal gefundene Bilder in einem sich selbst vorgegebenen engen Reiserahmen immer wieder in Frage stellte, verwarf, überarbeitete, neu entwickelte.
In seinem neuesten Werk arbeitet Polanc mit Oliver Klimpel, Professor für System-Design an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig zusammen. Gemeinsam setzen sie uns nochmals radikaler einer Reise in eine drastische Ortlosigkeit aus. Eine üppige Enzyklopädie des Lichts, der Farben, Formen und Körper prasselt auf den Betrachter ein. Texte und Bildbeschreibungen fehlen. Sieht man von den notwendigen Credits ab, finden sich als (möglicher) Titel am Einband drei Wörter: Mago Über Verritt. Im Buch werden diese enigmatischen Begriffe wieder in ihre Buchstaben zerlegt, verteilt, reichern mal die Fotografien als szenische Erweiterungen an, mal werden sie zu Abstandshaltern zwischen den Fotografien. Sie werden zum Bild unter den Bildern oder, wie Klimpel es bezeichnet, Orientierungselement. Information und Projektion zugleich, führen sie die Sicherheit der Zuordnung, des Verstehens in Möglichkeitsformen zurück.
Keine Erzählung gleicht der anderen, wenn Inhalte der Außenwelt zu eigenen Bildern im Kopf verarbeitet werden. Das ist eine Art Mantra im Polanc-Buch. Eine Bildmaschine wird angeworfen, bei der jede(r) die Möglichkeit der eigenen Erzählung finden, sich in den Fotografien verirren und entdecken darf. Der Fotograf hat seine Geschichte, du die deine, ich die meine. Gefundenes wandelt sich zu Erlebtem. Es war einmal ein Abrieb an der Mauer, ein Tintenfleck auf einer weißen Hose, ein Lichtreflex auf einer Metallplatte, ein Aufwärmen vor dem Laufen. Entsorgte Lüftungsrohre, Regentropfen am Wasser – alle großen Momente haben als Schnittmenge einen kleinen, unscheinbaren Anfang.
Das Werk von Erwin Polanc will sich über Zweidimensionalität und Stillstand von Fotografie hinwegsetzen. Wer ihn näher kennt, weiß um seine Leidenschaft zum unendlichen Experiment, schätzt seine produktive Streitbarkeit über das, was Bild sein kann, muss oder sollte. Oft mehr Forscher ist der Zweifel eine der natürlichen Vorgaben, ein Stoffwechsel, der Polanc belebt. Immer wieder neuen Fragen sind seine Essenz für das Andersdenken, Präzision das dazugehörige Begleitmanifest. Mago Über Verritt ist das aktuelle Ufer, an dem die Bilderwelten von Polanc vorübergehend angelegt haben. Die Reise wird weitergehen.

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