25/10/2003
25/10/2003

Kunsthauspudding

der bonbonfarbene, tangerinblau gespritzte stromlinienpudding - Gernot Stangl

diese geschichte handelt davon, wie aus einer sonntagsbeschäftigung unerwartet eine ernste angelegenheit wurde.

ich habe drei freunde, die fast das grazer kunsthaus gebaut hätten, weil sie den
kunsthauswettbewerb fast gewonnen hätten. ihr beinahe-siegerprojekt war eine box auf stelzen, geradlinig, sehr funktional, problemlos. der ankauf brachte 150.000 schilling preisgeld. so etwas ist ein grund zu feiern. zuhause im az 3, wo das alles stattfand, ganz besonders.

also gab es ein essen und viele leute kamen. fast alle hatten schon einmal bei einem grazer kunsthauswettbewerb mitgemacht.
ich war küchenhilfe und gefragt war ein dem anlaß entsprechender abschluß des essens.
der anlaß war aber eigentlich nicht geradlinig und problemlos wie der vorschlag der beinahe-gewinner, sondern das siegerprojekt, das blaue ding.

das siegerprojekt dieses kunsthauswettbewerbes war nicht nur durchsichtig vom boden bis zur decke,
spezielle bewegliche lichtkuppeln brachten gleich noch mehr licht ins gebäude. es war grundsätzlich blau, konnte diese farbe aber auch ändern. es gab keinen normalen eingang, das haus sollte seine besucher
einfach von der strasse her ansaugen. zugegeben wussten die architekten noch nicht genau, wie das geschehen sollte, aber sie dachten an einen blauen rüssel.
in jeder zweiten geschichte von stanislaw lem oder jules verne werden solche häuser
termingerecht und im kostenrahmen gebaut, warum also nicht in graz?

leider hatte ich keine genauen unterlagen dazu und so habe ich vom dem kleinen blauen modell, das ich in dem gedränge nach der
preisverleihung kurz aus der zweiten reihe gesehen hatte, ein einigermaßen ähnliches phantombild gezeichnet, das phantombild als
schablone ausgesägt, dann ein stück durchsichtiges hartplastik draufgelegt und mit dem heißluftfön weichgemacht, am schluß mit der spitze eines holzstabs diese kleinen
lichtkuppeln in das bereits schön verbogene plastikteil eingedrückt. gießt man in die so entstandene schale ein gemisch aus gelatine und wodka und stellt es anschließend in den kühlschrank, erhält man nach kurzer zeit einen erstklassigen kunsthausförmigen pudding, blau,
transparent und berauschend außerdem.

der pudding war längst gegessen, fast ein jahr verging und wir dachten manchmal an die vielen experten, die jetzt irgendwo auf der welt dieses wunderding planten.
was wir nicht wussten: genauso war es.

denn in der zwischenzeit hatte universitätsprofessor C mit universitätsprofessor F die firma S gegründet, die sich zur arbeitsgemeinschaft mit den universitätsprofessoren B und G von der gleichnamigen firma und dem
universitätsprofessor D, der wiederum vor ort partner der firma A (bestehend aus den büros D, E und P) war, zusammenschloss, nicht ohne zuvor die unterstützung von experten wie universitätsprofessor K zu gewinnen und im notfall auf den rat von anderen universitätsprofessoren wie etwa P, G, K, und nicht zu vergessen W-P zählen zu können. es konnte also nichts schiefgehen. überraschend riefen sie mich an und ich bekam einen job. das büro war in der bürgergasse.

leider gab es auch hier wieder keine genauen unterlagen. (es gab auch noch keine kaffemaschine im büro. wir mussten den bauherren bitten, den einzigen vorhandenen löffel wieder zurückzulegen, wenn er seinen
löslichen kaffee umgerührt hatte.) die sache mit dem rüssel war schwierig. einreichung sollte in einem monat sein, falls der neue büroleiter bis dahin eingearbeitet wäre. (sein nachfolger hatte es später auch sehr schwer). C, F, B, G, D, E und P waren damals nicht immer einer meinung und P, G, K oder W-P konnten auch nicht immer helfen. (schon gar nicht
die mitarbeiter, die waren rein zahlenmäßig unterlegen.) die zeitung "der S" berichtete sehr detailtreu über alles und vor der Partei F fürchteten wir uns damals noch. wir schafften die einreichung.

kurz danach wurden tische angeschafft, die nicht wackeln, eine kaffeemaschine und überhaupt ein größeres büro mit platz für mehr experten. wir begannen zu ahnen, dass das kunsthaus tatsächlich gebaut werden würde. es gab einen zeitplan. jetzt sollten die richtigen entscheidungen getroffen werden. doch da war es schon zu spät: denn das war bereits unbemerkt passiert, genau im freiraum zwischen diesem absatz und davor.

Verfasser/in:
Gernot Stangl
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