21/10/2015

Das Haus S48 in Graz verbindet räumliche Entfaltung mit dem Versuch des monolithischen Bauens in Dämmbeton. Keine Sensation, sondern subtile Irritation. 

Architektur: Feyferlik/Fritzer
Mitarbeit:
DI Elisabeth Stoschitzky
Statik: DI Hans Birner
Betontechnologie: Technopor / Betreuer: Burkhard Schuller

Dieser Artikel erscheint im Rahmen des GAT-Fokus Monolithisch Bauen.

21/10/2015

Haus S48 in Graz – Ansicht Straßenseite

©: paul ott photografiert

Ansicht Gartenseite

©: paul ott photografiert

Raumflucht innen

©: paul ott photografiert

Ausblick Zubau

©: paul ott photografiert

Dämmbetonwand und Oberlicht

©: paul ott photografiert

Grundrisse

©: Feyferlik / Fritzer

Der Monolith oder Ein-Stein: massiv, schwer, ruhend, kompakt, körperlich. Bilder werden wach: Eindrücke einer Architektur des Erdigen wie die Lehmstrukturen von Ghadames oder der erhabenen Architektur ägyptischer Pyramiden, der kargen Architektur steinerner Rustici im Tessin oder des trutzig Wehrhaften eines Comlogan Castle. Steinerne Schichtungen, auf dem Boden lagernd: das Monolithische birgt das Archaische und findet seit der Moderne eine materielle Entsprechung in der Vorliebe von ArchitektInnen für den Baustoff Beton. Man denke an Bo Bardis Centro Deportivo, Le Corbusiers Kirche in Ronchamp, Märklis Museum La Congiunta, Böhms Kirche Maria Königin des Friedens oder Zumthors Bruder Klaus Kapelle. Auch wenn der Beton mehr leisten kann, so sind es gerade seine inhärente Plastizität und das Poché, in dem Negativ und Positiv ein Vexierbild desselben Volumens bilden, die zu massiven, dem Grund verhafteten Körperskulpturen reizen. 
Eine unerwartete Umkehrung dieser Vorstellung haben jüngst die Architekten Feyferlik Fritzer mit der Hauserweiterung S48 in Graz realisiert; und zwar unter Verwendung eines Betons, der paradigmatisch für die aktuelle Wiederentdeckung des monolithischen Bauens in Zeiten bildhafter Oberflächen und mehrschichtiger Wandsysteme steht: dem Dämmbeton. 

Ausgangspunkt des Projektes war die Suche eines Grazer Bauherrenpaares nach adäquatem Wohnraum. Obwohl ursprünglich eine Altbauwohnung anvisiert wurde, fiel der Blick unerwartet auf ein kleines, verlassenes Grundstück in zentraler Innenstadtlage. Mit einem geradezu winzigen Vorstadthäuschen hatte es vor allem durch ein Servitut ein einschneidendes Manko. Allein der verwilderte Garten, welcher durch jenes Servitut vom Haus abgeschnitten wurde und als Gstettn sein Dasein fristete, bot trotz seiner Enge einen Hauch von Raumpotential. Wie könnte man diesen Garten mit dem Bestandshaus wieder zusammenknüpfen und so einen qualitätvollen Wohnraum schaffen? Diese Frage bildet den gedanklichen Grundstein des Projektes und fand seine konzeptuelle Antwort in der Kombination von situativer „As Found“-Pragmatik, dem Prinzip des Schwebens und der Herstellung eines raumhaltigen Probestückes. Entstanden ist ein Entfaltungsspiel, bei dem Raumstruktur und Technologie örtlich ineinandergreifen.

Das Bestandshaus, erbaut in den 30er Jahren des 20.Jh. und immer wieder ergänzt, bot auf einer Grundfläche von 50qm nur wenig Platz für die gewünschte Doppelnutzung mit Wohnen und Arbeiten. Als bestehende Raumressource wurde es von den Architekten allerdings sine qua non akzeptiert. So verlangte die Wohnidee des Bauherren-Paares von einer gründerzeitlichen Altbauwohnung mit ihren typischen enfilade-artigen Raumkonfigurationen und großzügigen Höhen nach einer Raumerweiterung mittels Zubau im Gartenbereich. Um dies zu ermöglichen, war – durch das Servitut bedingt – ein architektonisches Manöver nötig. Ein angesetzter Erker im Obergeschoss des Bestandes eröffnete dafür eine überraschenderweise bereits angelegte Anschlussoption, um den Servitutsweg in der Höhe zu überwinden und so den Wohnraum in den Gartenteil auszudehnen. Dieser pragmatischen „As Found“-Logik folgend wurde der nun vom Bestandshaus erschließbare Zubau konsequenterweise vom Gartengrund abgehoben und mit einer leichten Brückenkonstruktion in einer Ebene mit dem Obergeschoss angeschlossen. Damit konnte eine horizontale Entfaltung des Wohnraumes aus dem beengten Altbaukorsett im Sinne eines urbanen „flat-living“ ermöglicht werden: eine Transformation des Häuschens zur schwebenden Stadtwohnung. 

Dieses Abheben der Wohnung wurde architektonisch durch eine massive, homogene Ausbildung des Zubaus in Sichtbeton überhöht. Hierin liegt die eigentliche tektonische Spannung der Erweiterung. So entsteht vom Straßenraum der überraschende Eindruck eines über dem Gelände schwebenden Steins. Tatsächlich wird dieser Eindruck verstärkt durch das beinahe Verschwinden der Gründungselemente, indem sie in ihrer reduzierten Ausbildung bestehend aus zwei filigranen Betonschotten und einer V-förmigen Stütze aus Stahl weit unter dem Körper geschoben werden, so dass sie geschickt in der Geländetopographie abtauchen. So wird dem massiven Betonkörper eine unerwartete Leichtigkeit verliehen und die geschulten Wahrnehmungsmuster irritiert, indem plötzlich Erfahrungen von Schwere und Leichtigkeit verkehrt werden. Es ist diese architektonische Geste des Hauses, die en passant zum Staunen und Schauen anregt und so mit dem Kontext in Dialog tritt. 

Gleichzeitig entsteht dadurch auch eine unerwartet reiche räumliche Verflechtung. So wird der Garten des Grundstücks durch das abgehobene Betonmassiv qualifiziert, welches die gesamte Fläche freihält und einen zwar gedrungenen, aber geschützten Außenraum bildet. In der Möglichkeit des geduckten Unterlaufens wird das Schweben des schweren Steins nochmals räumlich erfahrbar. Die erhöhte Lage des Gartens zum Straßenraum wiederum bildet eine topographische, aber keine visuelle Grenze und vernetzt Grundstück mit Stadtraum. Unterhalb der Verbindungsbrücke zwischen Bestand und Zubau werden Servitutsweg und Stellplatz zur quasi halböffentlichen Verteilerzone, indem auf Straßenniveau die Asphaltfläche in das Grundstück hineinläuft. Einzige Barriere zum Privaten bildet auch hier nur der Höhenversatz durch eine 1-1,5m hohen Natursteinwand sowie eine massive Freitreppe. Visuell gleitet der Blick bis in den Garten hindurch und eine weitere Abstufung zum Privaten wird lediglich subtil durch den Einsatz von Holzbelägen gekennzeichnet. So zweigt eine leichte, durchlässige Stahltreppe mit Holzstufen von der Verteilerzone ab und führt über eine Wendung direkt auf die Brückenkonstruktion, die als Veranda und Küchenbereich sowohl das strukturelle als auch programmatische Bindeglied des Wohnraums zwischen Bestand und Zubau sowie Innen und Außen bildet. 

Hier offenbart sich die durch den schwebenden Zubau gewonnene räumliche Weite der Wohnung. Denn im Gegensatz zum äußeren Erscheinungsbild, welches sich als additive Komposition artikuliert, verflüssigen sich die Teile im Innern zu einem räumlichen dynamischen Kontinuum und entfalten eine großzügige Raumsequenz, die nur noch in der Ausprägung der Oberflächen und Größe der Öffnungen zwischen Altbau und Neubau differenziert. Der schwebende Zustand des Wohnraums wird dabei unterstützt durch großflächige Verglasungen in Richtung Garten sowie einen Ganzglaserker im Bestand, der den Wohnraum punktuell in die Straße erweitert. Die räumliche Entfaltung erreicht ihren Höhepunkt in der Öffnung des schwebenden Zubaus über raumhohe Verglasungen zum Garten und erweitert den Wohnraum optisch über die rückseitige Grundstücksmauer hinweg bis in den benachbarten Schulpark. Lediglich eine niedrige Sitzbrüstung aus Holz bindet den Raum ab, der ansonsten auch im Innenraum die Massivität des Betons fortführt.

Um diese Massivität des Zubaus noch authentischer und die Irritation des leichten Stein noch perfekter zu machen, ließen sich die Architekten auf den Versuch ein, den Körper wirklich monolithisch zu fakturieren, indem sie ihn weitestgehend (bis auf Decke und Boden aus budgetären Gründen) als Dämmbetonkonstruktion ausbildeten. Eine bis dato außer in der Schweiz kaum realisierte Bauweise, bei der einem Leichtzement Zuschläge wie Blähton, Schaumglas oder Sinterasche beigemengt werden und der Beton wärmedämmende Eigenschaften erhält. Eine hybrider, gefügedichter Baustoff entsteht, der Statik, Witterungsschutz und eben den in unseren Breiten geforderten Wärmeschutz vereint. Die dadurch erhöhten Wandstärken unterstützen so auch den monolithischen Charakter. Dabei griffen sie auf ein früheres, nicht realisiertes Projekt zurück, den Pfarrsaal Mariazell, für den bereits Materialproben in Dämmbeton erstellt wurden. Da bereits diese Proben vor Ort die Sensibilität des Materials in Bezug auf seine Verarbeitung zeigten, entschlossen sich die Architekten experimentierfreudig die Gelegenheit zu nutzen und das Projekt S48 quasi als weitere Musterstellung zu antizipieren. Tatsächlich stellt das Haus aus heutiger Sicht, neben einem weiteren Wohnhaus in Oberösterreich, ein Pionierprojekt dar, bei dem sich der Materialversuch als wichtiger Lernprozess erwies. Denn während man in Mariazell mehr auf das Schalungsbild achtete, zeigte das Material beim Bau des S48 seine stoffliche Komplexität. Trotz der Einbindung zweier Experten, darunter ein Schweizer, der schon für Zumthor Betone entwickelte, gab sich das Material unberechenbar. Zum Einsatz kam auf Empfehlung der Experten eine Technolit -Dämmbetonmischung mit Technopor-Glasschaumgranulat und Kalksteinmehl. Zweimal musste betoniert werden, denn beim ersten Versuch ließ sich der Beton nicht korrekt einbringen. Die Gründe sind durchaus komplex. So kann es schon beim Transport des Betons zu Reibung der Granulate kommen, der die wärmedämmenden Eigenschaften verändert; durch die geringe Dichte der Leichtzuschläge entstehen Entmischungsphänomene und bei falschem Timing bindet der Beton zu früh ab, so dass trotz Flächenrüttlung und niedriger Schüttlage keine entsprechende Verdichtung möglich ist. Schlussendlich war es eine ungeeignete Bewehrungslage, bei der die Granulate zwischen den Stahlstäben hängen blieben. Beim zweiten Versuch war das Einbringen erfolgreich. Allerdings verklebten Abschnitte der Betonhaut aufgrund der hohen Hitzeentwicklung mit der Kunststoffoberfläche der Schalung zu einem etwas ruppigen Schalbild. So dokumentiert das jetzige Ergebnis einen den Lernprozess und zeigte, dass der Teufel hier nicht im Detail, sondern im Material steckt. Der unperfekte Charakter der 45cm starken Dämmbetonwände unterstreicht wiederum in seiner Rauheit das Monolithische und macht schlussendlich die Irritation des Schwebens erst glaubhaft. Nähert man sich diesen Wänden so wird jedoch der Unterschied zum normalen Sichtbeton deutlich in der porösen Oberfläche, welche an leichtes Tuffgestein erinnert und im Zusammenspiel mit seiner erdigen Tönung eine warme Raumatmosphäre ausstrahlt, die auch akustisch wirksam ist. 

So beweist das Haus S48 im Zusammenspiel von Raumstruktur und Technologie auf unprätentiöse Art, dass das Bauen mit Dämmbeton nicht primär an tradierte Bilder von Felsgestein anknüpfen muss, sondern es im Sinne seiner stofflichen Natur auch lohnt, über die Qualitäten des Leichten in Bezug auf das monolithische Bauen nachzudenken. In einem Interview sagte der Schweizer Architekturlehrer Luigi Snozzi einst: „Ein guter Architekt lügt, Probleme,..., lässt er verschwinden“ (1). In diesem Sinne besitzt das Haus S48 auch etwas Mieseanisches: die Herausforderung von Sehgewohnheiten und die unerwartete Leichtigkeit des S(t)eins.



(1) Interview Luigi Snozzi in der Bauwelt, Ausgabe 10/2011, Bauweltverlag, S.30-35

Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
GAT+