18/01/2010
18/01/2010

Luftaufnahme St. Nikolai i. Sausal (Quelle: http://www.bing.com/maps)

2007 beauftragte der zuständige Landesrat Ing. Manfred Wegscheider die Fachabteilung 13B Bau- und Raumordnung mit einer Neufassung des Steiermärkischen Raumordnungsgesetzes (ROG), das planmäßig mit 01.01.2009 in Kraft treten sollte. Nach über einem Jahr Stillstand soll nun, rechtzeitig im Megawahljahr, also noch vor der Gemeinderatswahl (21.03.2010), der Wirtschaftskammerwahl (28.02 bis 02.03.2010) und der Landtagswahl (Oktober 2010), das Gesetz als „Wahlzuckerl“ beschlossen werden.

Das Begutachterverfahren und die Stellungnahmen sind für das neue ROG schon seit 2008, die dazu notwendigen Modifizierungen im Baugesetz seit Oktober 2009 abgeschlossen. Vor allem die Uneinigkeit in den Punkten der Parkplatzabgabe bei bestehenden und neuen Einkaufszentren (Grüne, SPÖ), der intensiven Tierhaltungsbetriebe (Grüne) und der Auffüllungsgebiete (ÖVP) hat im vergangen Jahr zu Verzögerungen im Landtag geführt – das Näherrücken des ersten Wahltermins hat nun Bewegung in die Sache gebracht – ein Kompromiss und damit der Gesetzesbeschluss ist so gut wie fix.

Die umstrittenen Neuerungen des ROG 2008 betreffen § 27 „Tierhaltungsbetriebe“ und § 33 „Auffüllungsgebiete im Freiland“.

§ 27 „Tierhaltungsbetriebe“
Die Begründung zur Einführung des Paragraphen 27 „Tierhaltungsbetriebe“ liegt im Schutz der Bauern vor heranrückender Wohnbebauung und der Anrainer vor extrem ausweitenden Betrieben. Die Zahl der Betriebe und die bewirtschaftete Fläche nimmt in Österreich allerdings kontinuierlich ab. Im Jahr 2007 gab es in der Steiermark noch 42.370 Betriebe (Quelle: Statistik Austria). Damit hat die Steiermark nach Niederösterreich den größten Agraranteil in Österreich, der durchwegs kleinteilig strukturiert ist. Mehr als die Hälfte der Betriebe in der Steiermark werden als Nebenerwerb geführt. Der Trend zu größeren Betrieben setzte sich laut Statistik Austria nur marginal fort.
Wo ist also der Schutz für die Nebenerwerbsbauern, denen die Wohnbebauung bereits auf die Pelle gerückt ist? Was ist mit jenen Betrieben, die im Dorfgebiet stehen? Wird diesen künftig die Viehhaltung untersagt? Es drängt sich hier die Vermutung auf, dass damit eher die Entstehung von Großbetrieben auf den grünen Wiesen gefördert werden soll – allerdings bleibt die Frage: Wo sind die grünen Wiesen?

§ 33 „Auffüllungsgebiete im Freiland“
Zukünftig kann die 1. Bauinstanz, der Bürgermeister, direkt eine Baubewilligung erteilen. Es kommt zu einer Bevorzugung der Bauführung außerhalb des Baulandes – ohne Baulandausweisung, unter Ausschluss eines Verfahrens mit öffentlicher Auflage und Anhörung, ohne Gemeinderatsbeschlüsse und aufsichtsbehördliche Genehmigung durch das Land.
Damit werden die Zersiedelung, das individualisierte Verkehrsaufkommen und die Erhöhung der Infrastrukturkosten gefördert. Angesichts der demographischen Überalterung der Bevölkerung widerspricht diese Gesetzesänderung den Raumordnungsgrundsätzen nach Verdichtung und Stärkung der zentralen Orte bzw. Siedlungsstrukturen.
Die Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten sprach sich deshalb in ihrer Stellungnahme vom 05.05.2008 zum ROG 2008 dahingehend aus, den § 33 Abs. 5 Ziff. 2 „Auffüllung“ ersatzlos zu streichen!

Im Frühjahr 2009 hat die FA 13B eine Untersuchung dieser „Verdachtsflächen“, beispielhaft in drei Gemeinden – St. Andrä im Sausal, Mitterdorf an der Raab und St. Nikolai im Sausal – mit für die Steiermark typischer Größe von ca. 2.000 Einwohnern (entspricht ca. 700-900 Wohneinheiten), durchgeführt, mit dem Resultat, dass allein durch das Auffüllungsgebiet je 200 bis 390 neue Wohneinheiten (WE) entstehen könnten. Damit alleine könnte die Einwohnerzahl um bis zu 50 % gesteigert werden und das ohne Einberechnung der bestehenden Baulandausweisungen, die meist das Drei- bis Vierfache des Bedarfs betragen. (Quelle: Günther Tischler „Regionales Verkehrskonzept Graz – Graz-Umgebung, 2009“)

Auch im Grazer Umland, wo der Siedlungsdruck am größten ist, hätte die Novelle fatale Auswirkungen. Alleine im Grazer Grüngürtel wäre mit 80 Verdachtsflächen und damit bis zu 400 neuen Häusern zu rechnen. Dabei hat z. B. der Bezirk Graz-Umgebung schon derzeit 1700 ha gewidmetes Bauland und 1500 ha Baulandreserven, die noch nicht gewidmet sind. Diese 3200 ha Fläche entsprechen ca. 120.000 EW – bis 2021 ist allerdings nur mit einem Plus von 14.000 EW zu rechnen.

Hochgerechnet auf die gesamte Steiermark mit ihren 542 Gemeinden wären dies rund 100.000 bis 140.000 WE in Auffüllungsgebieten, wobei ein Großteil auf die dichter besiedelte Südweststeiermark, inklusive Grazer Zentralraum, fällt. Der Wohnungsbedarf in der Steiermark ohne Graz wird im Zeitraum von 2011–2021 allerdings nur auf 13.400 WE geschätzt, das entspricht ca. 30.000 bis 40.000 Einwohnern und bei einer durchschnittlichen Parzellengröße von 800 m² sind dies 1072 ha. Damit wird das Zehnfache des Bedarfs nur durch die Auffüllungsgebiete generiert.
Da diese WE durchwegs Einfamilienhäuser darstellen, ergibt sich ein enormer Energiebedarf: 110.000 WE entsprechen rund 60.000 t CO2/Jahr, das sind 270 Mio. km/PKW/Jahr.

Das lapidare Statement der FA 13B zu ihrer eigenen Studie: Die „Frage der AF (Auffüllungsfläche) ist keine fachliche, sondern eine politische Entscheidung.“ (Präsentation LT_UA, 18.03.2009 Stmk. ROG 2008 Freiland – Auffüllung)

Wie sehr diese Causa durch Interessenspolitik geprägt ist, zeigt auch die Riege der in die Ausarbeitung des Gesetzes eingebundenen Gruppen mit durchwegs politischem Background: der Steiermärkische Gemeindebund, der Österreichische Städtebund, die Landesgruppe Steiermark (Österreichischer Verband Gemeinnütziger Bauvereinigungen), Mitglieder der im Landtag vertretenen Parteien, die Landwirtschaftskammer, die Wirtschaftskammer und die Kammer der Arbeiter und Angestellten. Dagegen steht die ebenfalls beteiligte Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten als fachkompetenter Ansprechpartner auf verlorenem Posten.

Anstatt einer verkehrsvermeidenden Raumordnungspolitik mit gezielter Nachverdichtung in Ballungs- und Siedlungsgebieten wird durch das neue ROG eine massive weitere Zersiedelungswelle zugelassen. Damit kommt es laut Raumplaner Richard Resch nicht nur zu einer „Fortschreibung der bisherigen Zersiedelungsplanung“, sondern auch zu einer weiteren Konterkarierung einer notwendigen – insbesondere auch durch Raumplanung zu unterstützenden – Klimaschutzpolitik.
All das vor dem aktuellen Hintergrund, dass Österreich als einziges EU-Mitgliedsland die Kyoto-Ziele nicht erreicht hat und gezwungen ist, Emissionszertifikate (Emissionszertifikategesetz EZG 01.05.2004) in kolportierter Höhe von rund 400 Millionen Euro zuzukaufen.

Das Land Steiermark wird spätestens mit Inkrafttreten des Bundesklimaschutzgesetzes (Entwurf 09.06.2008), das voraussichtlich bis Ende Feber zwischen Land und Bund paktiert sein soll, gezwungen sein, das ROG wiederum zu novellieren. Denn der Entwurf zum Bundesklimaschutzgesetz soll nochmals dahingehend überarbeitet werden, dass es durch verbindliche CO2-Einsparungsziele, nach Verursachergruppe mit klaren Sanktionen bei Verfehlen der Etappenziele und verbindlichen Energiestrategien mit konkreten Maßnahmen, Zeitplänen, Umsetzungs- und Finanzierungskonzepten, ergänzt wird.

Dass mit den Instrumenten der Raumordnung ein wesentlicher steuernder Beitrag zum Klimaschutz geleistet werden kann, ist mehrfach in einschlägigen Studien bewiesen – die Einführung der Parkplatzabgabe bei Einkaufszentren in der Steiermark alleine wird diesen Beitrag bei weitem nicht tragen können. Abschließend muss mit Bedauern festgestellt werden, dass es das Land Steiermark damit verabsäumt hat, mit einer neuen Gesetzgebung eine gesamtösterreichische Vorreiterrolle einzunehmen – die es in Teilbereichen durchaus hat – nämlich einen wegweisenden Vorstoß zur Korrektur der Sünden der Vergangenheit zu leisten und damit auch eine wegweisende Änderung Richtung Klimaschutz zu bewirken.

STUDIEN

Verkehrsclub Österreich (VCÖ, Hrsg.), Einfluss der Raumordnung auf die Verkehrsentwicklung, Wien, 2007, ISBN 3-901204-54-7

Kurt Fallast, Günther Tischler; Regionales Verkehrskonzept Graz – Graz-Umgebung im Auftrag des Landes Steiermark, Graz, 2009

Verfasser/in:
Petra Kickenweitz, Kommentar
Susanne Scherübl

Mit Spannung las ich den Artikel - er schien mir gut recherchiert. Doch dann wundere ich mich, dass es auch ein St. Nikolai im Sulmtal geben soll? Das Luftbild zeigt allerdings einen anderen Ort - zufällig meine Heimatgemeinde St. Nikolai im Sausal. Schade.
Übrigens glaube ich nicht, dass in den ländlichen Gemeinden wegen der neuen Auffüllungsgebiete eine Bevölkerungs-explosion stattfinden wird. Es erscheint mir jedoch plausibel, dass die Siedlungserweiterung sich zunehmend in die Peripherie der Auffüllungs-gebiete verlagern wird. Da könnte der bisher so strengen Stmk. Raumplanung aber ein arges Schnippchen geschlagen werden?!

Mo. 18/01/2010 11:16 Permalink
rottensteiner

ein beweis mehr, die politik ist nicht mehr im stande das land zu führen, schon gar nicht vorausschauned zu führen. die handlanger sind aber das zuarbeitende fachpesonal, sprich das beamtentum. die ihre fachliche meinung hinter der politik verstecken und jeden irrsinn mitmachen, an statt fachlich auf die politik einzuwirken. wo belibt der aufschrei der raumplanerund architekten - eine stellungnahme und das wars ist eben auch zuwenig.

Mo. 18/01/2010 1:55 Permalink
Redaktion GAT

Im Bildtitel ist uns ein Fehler unterlaufen, der allerdings auf die Gültigkeit der Aussagen im Beitrag von Frau Kickenweitz keinen Einfluss hat. Der Fehler wurde nun korrigiert. Wir bedanken uns für den Hinweis.

Mo. 18/01/2010 12:20 Permalink
b.bertold@gmx.at

und welchen Sinn haben nun die baupolitischen Leitsätze noch? Wo bleibt der Aufschrei der ArchitektInnen bzw, ihrer Berufsvertretung zum ROG! Die Kammer wäre nun gefordert, etwas zu unternehmen! So einfach darf man es der Politik mit ihrem verantwortungslosen Vorgehen doch wirklich nicht machen.

Di. 19/01/2010 12:11 Permalink
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