10/09/2013

Ex-Zollamt
Festivalzentrum steirischen herbst 2013
Bahnhofgürtel 57, 8020 Graz
vom 20.9. bis 13.10.2013

Eröffnung
: 20.9.2013, 22 Uhr

Öffnungszeiten:
Do-Sa 14:00 - 03:00 Uhr,
So 14:00 - 21:00 Uhr

10/09/2013

Véronique Faucheur und Marc Pouzol, atelier le balto, Gestalter des Festivalzenrums steirischer herbst 2013.

©: Lichtschwärmer / Christo Libuda

Skizze und Konzept vom atelier le balto zum Ex-Zollamt, Festivalzenrum steirischer herbst 2013.

©: atelier le balto

So wird der lange grüne Hof hinter der Halle des Festivalzenrums steirischer herbst 2013 aussehen.

©: atelier le balto

Der Haupthof des Festivalzentrums steirischer herbst 2013 vor den Interventionen durch das atelier le balto.

©: Martin Grabner

Ein Kontrast: Das unmittelbare Nachbargrundstück des Festivalzentrums macht die Notwendigkeit von Landschafts- und Gartenarchitektur deutlich.

©: Martin Grabner

Mit dem steirischen herbst wird am 20. September auch das diesjährige Festivalzentrum nahe dem Grazer Hauptbahnhof eröffnet. Das „Ex-Zollamt“, das neben der Ausstellung „Liquid Assets“ und der Installation „Close Link“ auch Café und Bar mit zahlreichen Veranstaltungen beherbergen wird, stammt vom Berliner atelier le balto rund um die Urbanistin Véronique Faucheur und den Landschaftsarchitekten Marc Pouzol, beide ursprünglich aus Frankreich. Sie erschaffen mit betont einfachen Mitteln einen gestalteten Naturraum, den es für die Besucher zu entdecken und erobern gilt. Das Team, das schon in ganz Europa Gärten verwirklicht hat, stellt den Ort und ganz besonders jene Pflanzen, die sich von selbst auf dem vergessenen Stück Stadt angesiedelt haben, ins Zentrum ihrer Arbeit. Mit punktuellen Akzenten wird kein neuer Ort erzeugt, sondern der bestehende inszeniert und weiterentwickelt.

GAT hat Marc Pouzol kurz vor Beginn der Arbeiten im Ex-Zollamt getroffen und mit ihm über Stadt und Natur, Kunst und Garten gesprochen. Als wäre es abgesprochen, wurden am Nachbargrundstück just ein paar Tage vor dem Gespräch eine typische Gartenhütte von der (Baumarkt-)Stange und zurechtgestutzte Bäumchen aufgestellt, die einen fast schon wieder amüsanten Kontrast zu den Interventionen von atelier le balto, u.a. den schwebenden Glashäusern, darstellen. Weiterer Gesprächstoff war gewiss.

GAT: Im Programm des steirischen herbst wird der Ort an dem wir uns hier befinden, der Hof des ehemaligen Zollamts nahe dem Bahnhof als „ein Areal, weder wirklich Peripherie noch Zentrum, das an Zeiten erinnert, als die Globalisierung der Märkte weniger schrankenlos und die Verhältnisse sichtbarer begrenzt waren“ beschrieben. In diesem Satz steckt sehr viel drin. Aber was war es, das Sie ganz besonders an diesem Ort inspiriert hat?

Marc Pouzol: Sehr interessant finden wir diesen U-förmigen Negativraum direkt an der Bahnhofsstraße. Ein Leerraum, der bei genauerem Hinschauen gar nicht so leer ist. Außerdem gefällt uns das Zeitlose dieses Orts. Man kann nicht mehr erkennen, wie lange er schon leer ist und wie lange er es noch bleiben wird. Wird er nach dem Festival vielleicht neu entdeckt, neu bespielt?

Wie ist der konkrete Ort in den Entwurf eingeflossen?

Pouzol: Wir arbeiten mit drei verschiedenen Räumen – dem Hof, der großen Halle und dem langen grünen Korridor, die wir alle mit kleinen Akzenten bespielen. Ja nicht zu viel, ja nicht den Ort neu füllen! Als Landschaftsarchitekt geht es immer auch darum, den Raum, die Leere am Entwurf zu beteiligen, sie zu inszenieren. Der Dachstuhl der Halle wird als Landschaft interpretiert und der Raum punktuell mit sehr schlichten, mobilen Holzelementen mehr bespielt als möbliert.

Am auffälligsten sind die, sechs Meter über dem Boden schwebenden und beleuchteten Glashäuser.

Pouzol: Für uns stellen die schwebenden, transluzenten Häuser durch ihre Leichtigkeit und den Maßstabssprung einen Kontrast zu dem festungsartigen Gebäude des Zollamts dar. Glashäuser werden mit der Pflege, dem sorgfältigen Aufziehen von Pflanzen assoziiert und sind selbst fragile Objekte. Gerade weil aber dieses Baumarkt-Häuschen und die Bäumchen am Nachbargrundstück aufgestellt wurden, verweisen sie auch auf die unzähligen großen und kleinen Dinge, die man im Baumarkt zusammenkauft. Dort wird einem vorgespielt, was man als Gärtner dann machen soll. Das ist eigentlich sehr trist! Der Garten war sehr lange Zeit Bricolage, Recycling,... das geht peu à peu verloren. Jetzt wird alles standardisiert. Damit haben die Glashäuser natürlich zu tun. Ich hoffe, dass sie von den Menschen angenommen und angeeignet werden, dass jemand etwas dazufügt, einen Teppich, etc. und so wieder eine Bricolage entsteht.

Neben den Pflanzen spielt bei Ihren Gärten der Mensch meist eine wichtige Rolle.

Pouzol: Genauer ist es die Berührung von Mensch und Natur. Oft ist es so wie hier am Nachbargrundstück: Es gibt den Baum, unter dem man steht, und es gibt den Rasen, auf dem man läuft. Unser Metier aber ist die unmittelbare Berührung mit Pflanzen, die auf unserer Augenhöhe sind. Auf die Pflanzen in unseren Projekten trampelt man auch nie drauf, weil ihnen gegenüber ein Respekt da ist. Ganz besonders bei Pflanzen, die von allein gewachsen sind.

Der Ort spielt bei Ihren Projekten ebenfalls eine sehr wichtige Rolle. Geht ohne Kontext gerade in der Landschaftsarchitektur gar nichts?

Pouzol: Das Verrückte ist doch, dass sehr oft ohne den Kontext gearbeitet und zunächst einmal Tabula rasa gemacht wird! Die bestehenden Pflanzen werden – als wären sie böse – weggenommen und es werden neue gepflanzt. Unsere Idee von Garten ist es, mit den vorgefundenen Pflanzen, kleinen Höhenunterschieden und verschiedenen Materialitäten zu arbeiten und dabei mit Akzenten den Blick auf das Vorgefundene zu öffnen.

Das Festivalzentrum und dessen architektonische Gestaltung redefinieren den Ort, erschaffen ihn für viele Grazer vielleicht überhaupt erstmalig. Ist ein Weiterbestehen des Gartens nach dem steirischen herbst geplant?

Pouzol: Für das "Explosiv" haben wir eine Terrasse im selben Material und derselben Sprache gebaut. Sie bleibt bestehen. Die Interventionen des Festivalzentrums müssen aus Genehmigungsgründen wieder entfernt werden. Aber so starke Bilder wie die mit Licht inszenierten, zwischen den Pflanzen schwebenden Glashäuser bleiben im Kopf der Besucher. Landschaft entsteht im Kopf. Sie ist natürlich da, man muss sie aber lesen und verstehen. Dazu ist der Kopf sehr wichtig.

Nicht nur dieses, sondern viele Ihrer Projekte stehen im Zusammenhang mit Kunst. Wie ist es dazu gekommen und wie wichtig ist Ihnen diese Verbindung?

Pouzol: Wir wurden 1997 eingeladen, einen Beitrag zu den Architekturtagen Berlin zu leisten und haben als neues Format die „temporären Gärten“ eingeführt. Das war fast ein Skandal: "Wie kann ein Garten temporär sein? Gerade ihr aus Versailles ...“ In der Natur ist aber alles temporär. Die Kunst ist eine Nische und eine tolle Chance für uns. Man kann über mehrere Saisonen, wie etwa beim Jüdischen Museum in Berlin, einen Garten inszenieren und weiterentwickeln. Wir haben dort nichts Fertiges hingestellt, sondern wir haben über drei Jahre gemeinsam mit den Besuchern die richtige Form für den Garten gefunden. Gute Landschaftsarchitektur nimmt Zeit in Anspruch.

Sie beschäftigen Sich vor allem mit dem urbanen Raum. Wie große ist die Relevanz von Landschaftsarchitektur außerhalb der Stadt?

Pouzol: Auf dem Land wird die Landschaft – Gott sei Dank – noch immer von der Landwirtschaft geprägt. Ich sehe unsere Aufgabe deshalb in den Städten. Um dafür zu sorgen, dass die Natur in der Stadt anspruchsvoll und auch manchmal wild bleibt, nicht zu bloßer Dekoration verkommt. Ich glaube, es gibt in der Großstadt schon eine gewisse Sehnsucht nach wilderen Gartencharakteren.

In Österreich gibt es die „schöne“ Tradition, mit Blumenkistl’n möglichst jede Ecke zu „behübschen“...

Pouzol: Das Problem ist die Arbeit, die dazu notwendig ist, um die Töpfe zu transportieren, Erde hinein zu geben – obwohl unter dem Boden schon Erde ist, die Blumen zu pflanzen, und, wenn die Pflanzen dann oft weg sind, bleibt nur mehr der Topf. Zu viel Energie für ein mickriges Resultat. Dieses Dekorieren ist wie „Da haben wir jetzt zu viel zugepflastert und wollen doch wieder mehr Grün.“ Ein bisschen Alibi.

Entsteht dieses übermäßige Dekorieren oft aus einer Angst vor der Leere heraus?

Pouzol: Ja. In Paris zum Beispiel kennt man noch den Luxus von Leere in der dichten Stadt. Die Menschen selbst sind schon das Bunte, die Bewegung. Sie sind ein Teil der Gestaltung des Ortes. Man braucht nicht noch mal Blumenkisten oder Blumenbeete. Irgendwann wird es zu viel, zu laut – architektonisch laut. Diese Angst vor der Leere ist aber europaweit zu spüren, das ist nicht auf Österreich beschränkt.

Wie stehen Sie zu dem aktuellen Trend, fast schon Hype, des Urban Farmings oder Urban Gardenings?

Pouzol: Ich bin da sehr skeptisch. Du kannst nicht einfach sagen, ich schmeiße jetzt eine Samen-Bombe auf eine Grüninsel und das wird ganz toll. Da ist keine seriöse Überlegung dahinter, wie man den Grünraum oder Lebensraum in der Stadt verändern kann. Es ist provokativ, macht Spaß, aber es ist nicht nachhaltig und auch ökologisch falsch. Riesige landwirtschaftliche Flächen, zum Beispiel rund um Berlin, haben große Probleme. Dort sollte man die Energie investieren. Dass man in den Städten oder auf den Dächern seriös produzieren könnte, ist eine Täuschung. Urban Farming ist ein bisschen eine Beschäftigung für die urbanen, schicken Leute.

Ihre Gärten unterscheiden sich von Urban Farming ganz klar durch ihre ästhetische Komponente. Wie wichtig ist die Bildwirkung?

Pouzol: Ich glaube, dass die Ästhetik wichtig ist, damit man es erkennt als – ich würde nicht sagen Kunstwerk – aber als Werk, als Handwerk vielleicht. Dann wird es viel stärker respektiert.

Die in Ihren Projekten entstehenden Landschaften sind, da von Menschen geschaffen, naturgemäß Kultur-Landschaften, werden von vielen aber wohl als ein Stück Natur begriffen, etwa der Jardin Sauvage des Palais de Tokyo. Wie wichtig ist Ihnen der Natur-Charakter?

Pouzol: Beim Palais de Tokyo wurde gesagt, wir hätten einfach eine Berliner Brache nach Paris importiert (lacht). Es ist der Lauf der Natur, dass ein Garten zum Wald wird, wenn man lange nichts macht. Auch hier im "Ex-Zollamt" gibt es schon Birken, Weiden, etc. Diese natürlichen Prozesse finden wir sehr interessant.

Zum Abschluss eine Frage, die vielleicht schwer eindeutig zu beantworten ist: Wollen Sie mit Ihren Projekten die Menschen der Natur näher bringen oder sich selbst?

Pouzol: Wir wollen mit der Kultivierung von Pflanzen den Blick kultivieren. Den Blick des Menschen auf seine Umgebung, auf die Natur, die natürlichen Prozesse. Auf die Tatsache, dass zum Beispiel in einem heißen Sommer Pflanzen, die künstlich hergebracht wurden, sterben, auch sterben dürfen, können, werden. Eine Kultivierung des Blickes auf die Natur, auf den Nachbarn. Auch der steirische herbst tut das hier: Eine Kultivierung des Ortes und des Blickes auf den Ort.

Danke für das Gespräch!

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