10/02/2016

Der Dämmbeton-Neubau der Neuapostolischen Kirchengemeinde Penzing in Wien stieß anfangs auf wenig Begeisterung in der Gemeinde. Inzwischen empfindet sie das Kirchengebäude als warm und schätzt seine gute Akkustik.

Dieser Artikel erscheint im Rahmen des GAT-Schwerpunkts Monolithisch Bauen.


10/02/2016

Blick auf die Nord-Westseite der Kirche

©: Claudia Gerhäusser

Straßenansicht Ecke Lautensackgasse

©: Claudia Gerhäusser

Gartenansicht

©: Claudia Gerhäusser

Empore mit diffusem Lichteinfall durch Oberlicht

©: Claudia Gerhäusser

Fenster zwischen Kirchen- und Kinderraum

©: Claudia Gerhäusser

Detail zum Materialkonzept

©: Claudia Gerhäusser

Detail zum Materialkonzept im Kirchenraum

©: Claudia Gerhäusser

Detail einschichtige Außenwand

©: Claudia Gerhäusser

Das Gebäude der Neuapostolischen Kirchengemeinde Penzing in Wien liegt direkt hinterm Baumgartner Casino Park. Zwischen den Bäumen sind aus der Ferne nur Teile eines weiß-grauen glatten Baukörpers zu erkennen. Die flächige Materialität der Außenwand, Ton in Ton mit dem grauen Asphalt der Straße und der hellen Bürgersteigkante, fällt dabei besonders ins Auge – kaum abschätzbar, wie groß das Gebäude ist, das auf dem Eckgrundstück zwischen repräsentativen Villen 2014 von den Architekten Veit Aschenbrenner fertiggestellt wurde. Aus nächster Nähe wird klar, dass sich die Architektur ähnlich der Villen in ihrer Größe verhält, nicht aber in Form und Funktion. Statt repräsentativer Geste wurde hier ein aufstrebender und geschlossener Baukörper formuliert, der sich zur Straße ruhig und zum Garten hin offen artikuliert. Die scharfen Kanten des Baukörpers und das flächige Material prägen Straßen- und Gebäudebild. 

Im Gegensatz zum realen Erscheinungsbild stellt sich der Baukörper unweigerlich wie ein großer grauer Elefant dar, würde man allein den Kommentaren über das Kirchengebäude glauben. Schon bei den Internetrecherchen fällt auf, wie ablehnend die Urteile über Material und Architektur sind. Von „eine Hässlichkeit hoch 2“ bis „aber ein richtig hässlicher Betonklotz und sieht gar nicht wie eine Kirche aus“ lesen sich die Bewertungen durch Bewohner der Nachbarschaft eher negativ. Mitglieder der Gemeinde bestätigen, dass die Kirche polarisiert. Das Material Beton scheint immer noch mit einer Menge Unwissenheit und Ablehnung und ein Kirchenbau immer noch mit rückgewandten Vorstellung von Gotteshäusern konfrontiert zu sein, die mit Kirchturm, Eingangsportal und angsteinflößender Größe Gemeinden in ihrem Alltag als Gemeinschaft im Wege stehen. Dabei fordert der langfristige Betrieb einer Kirche insbesondere Kostenreduktion durch ein nachhaltiges Energiekonzept, leichte Zugänglichkeit für alle und unterschiedliche Gebrauchsräume, die Religionsunterricht ebenso angenehm machen, wie sie größere Feste und Versammlungen zulassen. Ein zeitgenössisches Gotteshaus ist Gemeindehaus, ein praktisches Gebäude für das Gemeindeleben. Praktisch und gleichzeitig kontemplativ (sakral) zu sein, war die eigentliche Herausforderung des Neubaus, der seinen energietechnisch schlecht arbeitenden Vorgängerbau von 1972 ersetzen sollte. 

Diesen Anforderungen begegnen die Architektin Susanne Veit und der Architekt Oliver Aschenbrenner mit Dämmbeton, den sie als Material für die Außenwände einsetzen. Das lässt ihnen die Freiheit einer skulpturalen Form und verspricht eine bessere Energiebilanz. Statt einer mehrschichtigen Gebäudehülle schaffen sie Speichermasse, die solare Energiegewinne ermöglicht. Das passt zum Konzept, das Gebäude nach Norden hin geschlossen zu halten und nach Süden mit großen Glaselementen zu öffnen. 
Im gesamten Gebäude bedienen sich Veit Aschenbrenner Architekten Grundmaterialien wie Beton als tragende Struktur, heimisches Holz für den Innenausbau und gebürstete Edelstahlbleche mit Glas und Terrazzo in den viel genutzten Räumen des Foyers und Treppenaufgangs. 

Die Ästhetik dieses Materialkonzepts erschließt sich spätestens beim zweiten Hingucken. Beispielsweise, wenn man sich über die beim Bauprozess im Dämmbeton aufsteigenden Lufteinschlüsse bewusst ist, die die Oberfläche zu einer natürlichen, nicht synthetisch reproduzierbaren Fläche werden lassen. Diese Lufteinschlüsse und Risse sind zwar aus technischer Sicht ein Mangel des Materials, aus gestalterischer Perspektive brechen sie allerdings die Monotonie der Oberflächen, die dem Beton so gerne angelastet wird. Lesbar wird, für den, der sich mit dem Bauprozess beschäftigt, dass die scheinbar kalte und unbewegliche Wand vormals eine weiche fließende Masse war, in der Luft nach oben steigt, und die sich in den unteren Abschnitten verdichtet. Keine künstlich erwirkte Struktur oder Dekoration verdeckt diesen Charakter. Was viele nicht verstehen ist, dass Beton immer noch simpler Sand plus Zuschlagsstoffe ist, ein mineralisches Baumaterial, das wie im Falle der Neuapostolischen Kirche vor Ort seine Form erhält. 

Was bleibt von der Vorstellung eines Elefanten, ist der gedankliche Vergleich der äußeren Gebäudehülle mit Elefantenhaut – die robust und unzählige Male gefaltet, dickhäutig, sämtlichen Angriffen trotzend, ein in sich homogenes, aber nie gleichförmig langweiliges Bild abgibt. Das Schöne liegt in dieser Haut. Außen wie innen ist sie raumbestimmend, ästhetisch und atmosphärisch ebenso wie technisch. Die einschichtige Bauweise des Baukörpers, wobei Glasschaumschotterzuschlag im Beton dem Material dämmende Eigenschaften gibt, verweigert sich dem Wahnsinn mehrschichtiger Wärmeverbundfassaden und stellt spürbar einen engen Bezug zwischen äußerer Form und innerer Raumgestalt her. 
Jedes weitere Material bleibt Zusatz und Ergänzung, so dass beispielsweise die Einbauten und Bestuhlung aus geölter Eiche gerade im direkten Kontrast zur grau-weißen Betonoberfläche ihre Raumwirkung entfalten können. Wie im Falle des Oberlichts auf der Empore, das eine schräg angeschnittene Laibung aus Eiche erhalten hat, scheint das Holz das einfallende Licht zu lenken, während die Wandoberfläche es zurück in den Raum reflektiert. 

Der Kirchenraum ist klein und warm. Aus Tageslichtüberlegungen wurden Oberlichter gesetzt, nordwestlich ausgerichtet, die diffuses Licht in die Innenräume holen. Statt Betonhärte schafft die fast steinerne Oberfläche Klarheit, Ruhe und reflektiert das Licht der Oberlichter tief in die Kapelle hinein. Dass die Kirche mit dem Konzept des monolithischen Fels – Glaube als Fels der Kirche – entworfen wurde, scheint logisch entwickelt und bewirkt auch vor Ort immer wieder entsprechende Assoziationen. Das ist für ArchitektInnen nachvollziehbar, aber nicht immer für Gemeindemitglieder. Im Gespräch wird erwähnt, dass die Kirche im Inneren eher einer Höhle ähnelt, als dass sie sich als festes Fundament vermittelt. Im alltäglichen Gebrauch des Gebäudes tritt dieser Entwurfsaspekt gänzlich in den Hintergrund. Die funktional differenzierte Aufteilung der Räume über verschiedene Niveaus hinweg und eine hervorragende Akustik für die Konzerte des Kirchenchores wiegen weit mehr, seit die Kirche genutzt wird. An die Elefantenhaut hat sich die Gemeinde gewöhnt, insbesondere auch, da man einen direkten Zusammenhang zwischen Material und der Qualität der Konzerte vermutet. „Wärme“ sei mittlerweile das, was die Gemeinde mit Material und Kirchengebäude verbindet. 

Neuapostolische Kirche Wien Penzing
Hochsatzengasse 11, 1140 Wien 
Fertigstellung: 2014 (14 Monate Bauzeit)
Wettbewerb: 2011
Weihung: 05.10.2014
Bauherr: Neuapostolische Kirche Österreich
Architektur: Susanne Veit, Oliver Aschenbrenner, veit aschenbrenner architekten
Ausführendes Baumanagement: Baukultur Management am Bau und Steiner Bau GesmbH
Kirchenakustik: Quiring Consultants
Baukosten: 2,0 Mio Euro; 2700 € pro m2

86er

Lieber Herr Lüking,
zu allererst herzlichen Dank für ihren ausführlichen Kommentar.
ad 1) Der Elefantenvergleich: Dass es sich hierbei nicht um das tatsächliche Erscheinungsbild handelt, ist im Text klar verständlich - auch dass diese Meinung einen (oder mehrere?) Kommentare "zitiert". Im Sinne einer klaren Argumentation wäre es angebracht diesen Kommentar auch im Text zu zitieren, was ja durchaus möglich wäre, da im nächsten Satz ohnehin Kommentare zitiert werden.
So bleibt der "große graue Elefant" jedoch nur als Behauptung stehen.
ad 2) Künstliche Struktur des Betons: Durch Schalung und Fugenbild wird sich, wie auch sie argumentieren, immer eine Struktur im Beton ergeben. Diese Struktur in künstlich und natürlich(?) zu unterteilen macht m.E. nach wenig Sinn, da sie immer Ergebnis des Betoniervorgangs sein wird. Wenn man aber in dieser Diktion bleiben möchte, würde ich behaupten die natürliche (nicht planbare) Struktur der erstarrten Luftblasen wird von der künstlichen (planbaren) Struktur der Schalungsstöße überlagert.
ad 3) Beton: Ich finde es gewagt die Zusammensetzung von Beton auf weniger als Wasser, Zement und Gesteinskörnung zu reduzieren. Wenn dann noch dazu ein Satz mit den Worten "Was viele nicht verstehen..." eingeleitet wird, erwarte ich mich sehr wohl Fakten. Diesen fachlichen Fehler als sprachliche Pointierung zu interpretieren setzt schon sehr viel Wohlwollen voraus.
An dieser Stelle darf im Übrigen auch die Redaktion in die Pflicht genommen werden.
Zusammenfassend: Unabhängig davon ob ich den Vergleich bei Punkt 1 nachvollziehen kann oder nicht, er ist nicht argumentiert. Bei Punkt 2 könnten wir uns vermutlich einig werden und bei Punkt 3 bleibe ich dabei, dass es einen Unterschied zwischen "vereinfacht" und "falsch" gibt.
Im übrigen freue ich mich über diese spannende Diskussion.

Fr. 12/02/2016 9:58 Permalink
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