20/01/2014

Im Fokus:
ENEGIE BAU KULTUR

Der Grazer Architekt Ernst Giselbrecht realisierte schon lange bevor es in Mode kam, energetisch durchdachte Bauten, die es nicht nötig haben, sich das Emblem Nachhaltigkeit auf die Schaufassade zu heften.

20/01/2014

Hydraulisch bewegte, individuell ansteuerbare Fassadenelemente am Showroom von Kiefer Technic, 2007.

Architektur: Ernst Giselbrecht + Partner©: paul ott photografiert
©: Redaktion GAT GrazArchitekturTäglich

Haus Russ am Bodensee, 1993.

©: Ernst Giselbrecht + Partner

Mediahaus der Vorarlberger Nachrichten in Schwarzach, 1996/1999, mit geschlossener Fassade.

©: paul ott photografiert

Das Medienhaus mit geöffneten Fenstern.

©: paul ott photografiert

Konzernzentrale der Energie Steiermark in Graz, 2010.

©: Croce&Wir

Biokatalyse-Gebäude der TU Graz, 2004.

©: paul ott photografiert

Noch einmal die Biokatalyse, diesmal mit ganz geöffneter Südfassade.

Und noch einmal, in der Nacht.

©: paul ott photografiert

Die vielen Gesichter der Fassade, Showroom von Kiefer Technic, 2007.

©: paul ott photografiert

Gesamtansicht des LKH Leoben nach der Fassadensanierung (in Bau); Collage

©: Ernst Giselbrecht + Partner

LKH Leoben, im Vordergrund rechts befindet sich die Energiezentrale; Modellaufnahme

©: Ernst Giselbrecht + Partner

Blick vom Annaberg auf den Neubau und das Bestandsgebäude des LKH Leoben.

©: Ernst Giselbrecht + Partner

Gegenschuss: Blick entlang der neuen Magistrale auf den Annaberg.

©: Sigrid Verhovsek

Seit Jahren omnipräsent, ist der Begriff Nachhaltigkeit zunehmend beliebig und oft inhaltsleer geworden. Zu verlockend ist es, wohlüberlegte und innovative Maßnahmen durch plakatives grünes Branding zu ersetzen. Dass das nicht so sein muss, beweist die Arbeit des Grazer Architekten Ernst Giselbrecht, der schon lange bevor es in Mode kam, energetisch durchdachte Bauten realisierte, die es nicht nötig haben, sich das Emblem Nachhaltigkeit auf die Schaufassade zu heften.
Energieeffizientes Bauen ist eine von vielen Ebenen eines Entwurfs, die Giselbrecht als selbstverständliche Komponente in seine Bauten integriert. Diese nehmen weder technoide Extrempositionen ein, noch sind sie Lowtech-Experimente. Auch wenn beide Extrema wertvolle Forschungsbeiträge sein können, so erweisen sie sich leider nur selten als zur unmittelbaren Umsetzung geeignet. Unausgereifte Hightech-Anlagen sind oft fehleranfällig und wartungsintensiv und unter Einbeziehung der grauen Energie ist ihre Ökobilanz bisweilen ebenfalls kritisch zu hinterfragen. Auf der anderen Seite ist beispielsweise der energetisch und raumklimatisch hervorragend abschneidende Lehmbau wegen der arbeitsintensiven Herstellung bei europäischen Lohnkosten leider schlicht und einfach teuer.

Integration in das energetische Umfeld

Zwischen der Energieoptimierung architektonischer Einzelobjekte und den notwendigen, aber langwierigen Änderungen in der Raumplanung setzt Giselbrecht auf die Integration seiner Bauten in ihr energetisches Umfeld. Architektur muss nicht nur in das urbane oder rurale Umfeld, in einen kulturellen und sozialen Kontext passen, sondern sich auch intelligent in den energetischen Kontext einfügen.
So wurde das Haus Russ (1993) mit der Nutzung der Fallwinde vom Pfänder zur Kühlung „energetisch in die Landschaft gebaut“ und beim Medienhaus der Vorarlberger Nachrichten (1996/99) wird die Energie für Heizung und Kühlung aus der Abwärme der hauseigenen Druckmaschine gewonnen. Zusätzlich wurden die 36 Meter tiefen Gründungspfähle, die wegen des sumpfigen Baugrunds notwendig waren, energetisch aktiviert. Die Heiz- und Kühlkosten des Gebäudes für 350 Mitarbeiter liegen bei denen eines Einfamilienhauses. Die Strategie funktioniert allerdings nur solange das Unternehmen aktiv ist, denn die Infrastruktur und die Mitarbeiter selbst sind integraler Bestandteil des Energiesystems. Ähnlich konzipiert ist das 2013 fertiggestellte Bürohaus 2226 von Dietmar Eberle in Lustenau, das seine Wintertauglichkeit dieser Tage erstmals unter Beweis stellen muss.
Um zu funktionieren braucht es bei der Planung solcher Gebäude einerseits wirklich gute Haustechniker, andererseits Architekten, die über die rein technische Performance hinaus denken. Zu oft werden fertigen Bauten Solaranlagen auf die Dächer gesetzt, ganz als ob man sie vorher – bei der Planung – vergessen hätte. Technisch funktioniert das natürlich, vom architektonischen Standpunkt betrachtet ist diese weitverbreitete Vorgehensweise aber ausgesprochen unbefriedigend. Ziel muss es sein, Solar- und andere Technik in die Gebäude zu integrieren. Beim Bayrischen Architekturpreis für Gebäudeintegrierte Solartechnik 2011 wurde als einziges österreichisches Projekt Giselbrechts Sanierung der Konzernzentrale der Energie Steiermark in Graz (2010) ausgezeichnet. Durch die, in die Fassade integrierte Photovoltaik, ins Dach integrierte Sonnenkollektoren und viele weitere Maßnahmen hat das Hochhaus, das vorher „die ganze Umgebung geheizt hat“, nach Umbau und Erweiterung nur mehr rund 16% des ursprünglichen Energiebedarfs.

Dynamisierung der Fassade

Die effiziente Nutzung von Energie soll einem Gebäude in den Augen Giselbrechts auch anzusehen sein. Nicht als aufgesetzte Attitüde, sondern als logische Folge. Er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit dynamischen Fassadenelementen zum optimierten und kontrollierten Umgang mit der solaren Einstrahlung, die wie selbstverständlich das Fassadenbild der Bauten prägen. Die Fassade wird als Interface zwischen äußeren Einflüssen und den Bedürfnissen der Bewohner verstanden und eingesetzt. Anstatt tradierter Systematiken wie hierarchischen Fensterordnungen wird das Erscheinungsbild von äußeren Bedingungen wie Licht, Wind und Wetter und den individuellen Wünschen der Nutzer bestimmt. Mit ihrem Verhalten können diese so natürlich die energetische Balance eines Gebäudesystems auch für kurze Zeit durcheinanderbringen. Das (hin und wieder irrationale) menschliche Verhalten hilft aber auf der anderen Seite zu vermeiden, dass die Architektur zu technikbestimmt wird und stattdessen ein poetisches Moment besitzt. Bei dem Gebäude der Biokatalyse der TU Graz (2004) wird das beispielsweise durch individuell bedienbare, raumhohe Faltelemente erreicht, die vor den raumabschließenden Glastüren der Büro- und Laborräume liegen. Der Luftraum hinter den perforierten und innen farbigen Faltelementen dient in Sommer und Winter als klimatisch wirksame Pufferzone, die gemeinsam mit einer Betonkern-Aktivierung und einer mechanischen Lüftung über die Gebäudenordseite für eine konstante Temperatur im Inneren sorgt.
Von Projekt zu Projekt werden die, für Giselbrecht schon fast typischen, horizontalen, hydraulisch gesteuerten Faltelemente optimiert und, etwa für das LKH Bad Aussee (2013), mit Extrembelastungen wie Schneestürmen konfrontiert. Bei der Eröffnung des Kiefer Technic Showrooms (2007) in Bad Gleichenberg wurden in einer eigens programmierten Performance die Möglichkeiten dieser Fassadentechnik spielerisch demonstriert. Das Ballett der Fassadenelemente war auf der Architekturbiennale 2012 ausgestellt und kann in Youtube bewundert werden.

Vernetzung

Im städtebaulichen Maßstab bedeutet die Integration in das energetische Umfeld vor allem auch die Nutzung von Synergien mit der vom Menschen geschaffenen Nachbarschaft. Das können etwa Industriebetriebe sein, die als „Abfallprodukt“ Wärme erzeugen, die zumeist buchstäblich in die Luft geblasen wird. Das Energiekonzept des LKH Leoben, das von Giselbrecht derzeit umgebaut und erweitert wird, nutzt eine solche vorhandene Energiequelle und wurde als innovatives und nachahmenswertes Modell 2011 für den Staatspreis für Ingenieurconsulting nominiert. Die Voestalpine hat ihren Standort in Donawitz in den letzten Jahren energietechnisch erneuert, unter anderem mit der Erzeugung von Strom aus der Abwärme des Hochofens, wobei die in der Kraft-Wärme-Kupplung entstehende Wärme über ein seit 2009 schrittweise ausgebautes Fernwärmenetz den Großteil der Stadt Leoben mit Wärme versorgt. Weiters wird aus der Mur zu Kühlzwecken Wasser zu dem Industriebetrieb gepumpt. Das erwärmte Rückkühlwasser fließt durch den Annaberg, direkt vorbei am Krankenhauszubau, zurück in die Mur, die enthaltene Energie würde ungenutzt verpuffen. Die vom Gebäudetechnikspezialisten TB Starchel entwickelte Anlage des LKH Leoben nutzt dieses Wasser, um das Krankenhaus je nach Jahreszeit auf Niedrigtemperaturbasis mit Wärme zu versorgen. Mit dem natürlichen Kältemittel Ammoniak kann selbst winterlich kühlem Wasser (bis 2°C) noch Energie entzogen werden und durch eine spezielle Verschaltung der drei Wärmepumpen können gleichzeitig Wärme und Kälte gewonnen werden, was im komplexen System eines Krankenhauses notwendig ist.
Ein ähnliches Konzept soll in Graz Reininghaus realisiert werden. Die dortige Marienhütte erzeugt ebenfalls ausreichend Wärme, um zusätzlich zur Einspeisung ins Fernwärmenetz der Stadt Graz noch über ein Nahwärmenetz Energie für Wärmepumpen des neuen Stadtteils zu liefern. Möglich wird die Mehrfachnutzung durch die unterschiedlich hohen Temperaturen, die für Fernwärme und den Betrieb von Wärmepumpen erforderlich sind.
Die Zukunft kommunaler Energieversorgung sieht Giselbrecht in einer viel weitergehenden Vernetzung der Gebäude einer Stadt und damit verbunden der Dezentralisierung der Energiegewinnung, die auch die Energiesicherheit erhöht. Über private Solaranlagen, Erdwärmekollektoren oder Blockheizkraftwerke wird Energie ins Netz eingespeist, beispielsweise in Tiefenspeichern mit geschichtetem Wasser gespeichert und bei Bedarf wieder entnommen. Einen kleinen Eindruck, was schon alles möglich ist, bietet etwa ein Projekt in Köln, wo seit Oktober die erste von sechs Schulen mit Wärme aus dem Abwasserkanal geheizt wird. Vorbild ist die Schweiz, wo schon mehr als hundert ähnliche Anlagen in Betrieb sind. Ausschlaggebend sind auch bei dieser Technologie die unmittelbare räumliche Nähe sowie das Denken und integrative Planen im energetischen Kontext.

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