13/06/2018

Film und Architektur

Am 8. und 9. Juni 2018 fanden österreichweit wieder die Architekturtage – die größte biennale Veranstaltung für Architektur und Baukultur – unter dem Motto Architektur bewegt statt. Um deren vielschichtige Aspekte und Inhaltsebenen dem interessierten Publikum näher zu bringen, standen Bewegtbild und Film als facettenreiche Vermittlungs- und Visualisierungsmedien im Fokus des Programms.

Wilhelm Hengstler zu einigen in Graz an den Architekturtagen 2018 gebotenen Filmen

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13/06/2018

The Competition, Angel Borrego Cubero, E 2013, 100 min. – Bild > Link hda-graz.at

Operation Jane Walk, Leonhard Müllner und Robin Klengel, AT 2017, 21 min. – Bild > Link cinemanext.at

Besonders bemerkenswert und stimmig bei den Architekturtagen am 8. und 9. Juni 2018 In Graz war das von Martin Grabner und Hans-Dieter Edler ausgezeichnet kuratierte Filmprogramm. Und zwar neben der Qualität der einzelnen Filme noch aus anderen Gründen.
Einer ist die keineswegs zufällige Faszination vieler Architekten für das Medium Film, das mit ihrem Gewerbe viele Strukturmerkmale teilt: Architekt wie Regisseur repräsentieren eine Schnittstelle zwischen  Kunst und Industrie, gegen beide wird oft der Vorwurf der Entbehrlichkeit erhoben. Beide bedienen sich hoch arbeitsteiliger, quasi industrieller Produktionsweisen und benötigen Mittel, die im allgemeinen über eine private Finanzierung hinausgehen. Und bei beiden hängt ein geglücktes Resultat von der Gutwilligkeit unentbehrlicher Professionisten ab. Parallelen lassen sich auch im visuellen Alphabet aufspüren, man kann z.B. ein Gebäude als Film auffassen, bei dem im Unterschied zum üblichen Film die Bilder, die Bauwerke „starr“ sind und sich dafür der Betrachter vom seinem Sitz erhebt: Entfernung vom und Nähe zum Bauwerk ergeben Totale und Nahaufnahme, das Abschreiten der Fassade eine Kamerafahrt, usw.
Daneben ist das Kino selbst als Ort der Filmrezeption in seiner Bedeutung reduziert, ja beinahe zum Museum geworden. Das zeigt sich auch daran, dass „wertvolle“ der klassischen Kinokunst zugehörige Arbeiten im Unterschied zu früher ihr Publikum eher unter älteren Zusehern haben.
Und last not least ist mittlerweile die Filmproduktion selbst durch eine Vielzahl elektronischer und digitaler Geräte ungeheuer bereichert oder, je nachdem, ärmer geworden.

Ein Nebeneffekt des Filmprogrammes der Grazer Architekturtage bestand darin, diese Aspekte manifest gemacht zu haben. Indem die Kuratoren ihr Programm auf unterschiedlichen Spielorten zeigten, reagierten sie (bewusst oder unbewusst) auf diese Diversifikation. Dabei ging es ihnen klarerweise darum, ihre Abspielorte thematisch mit den Filmen abzustimmen. So wurde Angel Borrego Cuberos Wettbewerb – The Competition in der Kammer für ZiviltechnikerInnen, Der Gruen Effekt – Victor Gruen und die Shopping Mall von Anette Baldauf und Katharina Weingartner im Dachgeschoß von Kastner & Öhler gezeigt.

The Competition schildert die Arbeit von Frank Gehry, Jean Nouvel, Zaha Hadid, Dominique Perrault und Norman Foster (eigentlich eher ihrer Mitarbeiter), die sich 2008 am Wettbewerb um den Bau eines Nationalen Kunstmuseums im Kleinstaat Andorra beteiligten. Cuberos Film endet mit der Präsentation der Modelle, das Museum wurde nicht gebaut. Faszinierend ist einerseits der geradezu kippbildartige Auftritt der berühmten Architekten wechselnd zwischen beherrschenden Genie und abhängigen Auftragswerber; erhellend aber auch die Pressefixiertheit der Politiker und Kulturbeamten, aus denen sich die Jury zusammensetzt. The Competition ist eine komplexe Dokumentation auch über soziale Abläufe unter vielen Protagonisten, gefilmt mit einer sehr beweglichen Kamera. Aber die Projektion dieses komplexen Filmes mit seinen vielen hellen Untertiteln in dem viel zu hellen Raum war dann streckenweise allzu „unlesbar“, die Erweiterung des Kinoraumes zeigte mehr Nach- als Vorteile.

Nicht ganz so schlimm die Projektion von Der Gruen Effekt – Victor Gruen und die Shopping Mall bei Kastner & Öhler: Gruen, in Wien Grünbaum, flieht 1938 vor Beendigung seines Architekturstudiums vor den Nazis in die USA und verwirklicht dort in den Fünfzigerjahren seine Vision einer Stadt als lebendigen Marktplatz. Allerdings berauben die Geschäftemacher die Erfindung Gruens all ihrer sozialen Ideen und Räume, was seine städtebauliche Vision alsbald zu den uns bekannten Shopping Malls pervertieren lässt.
Gruen zählt nicht nur zu den bedeutendsten Architekten des vergangenen Jahrhunderts. Auch seine bereits in den Fünfzigerjahren geäußerte Ablehnung des Autos als d a s Vehikel des Individualverkehrs zeigt ihn als visionären Städteplaner. Ironischerweise durfte er dann nach seiner Rückkehr wegen seines abgebrochenen Studiums in Wien nicht als Architekt arbeiten. Der Film von Anette Baldauf und Katharina Weingartner ist faszinierend in seiner Materialfülle, allerdings waren auch im Dachgeschoß von Kastner & Öhler vor allem die alten Archivaufnahmen schwer zu lesen. Als Resume bleibt wohl, dass man beim Verlassen des Kinos eben einen nicht unbeträchtlichen Mehraufwand zu leisten hat.

Diesbezüglich gelungen war natürlich die Präsentation der Kurzfilme im 2. Untergeschoß der Contipark Tiefgarage am Andreas Hofer Platz. Real von Jöch/Tragseiler reagiert auf eine sinnlose Totalität des Bauens – Straßen zu einer unrealisierten Stadt – mit einer Art filmischen Monomanie. Zu sehen ist nur eine lange, geräuschlose Kamerafahrt auf eben dieser Straße ins Nirgendwo. Gleichzeitig ist die Arbeit ein Beispiel für die zunehmende Orientierung des Films hin zur bildenden Kunst. Ein ähnliches „Zurückspielen gebauter Sinnlosigkeit“ bot Kreis Wr. Neustadt von Johann Lurf, der von einer Vespa aus ca. 100 Kreisverkehre aneinander reihte. Eher ein klassischer Architekturfilm war dann Aurele Ferriers Transition mit seinen Flügen über die Wüste Nevadas durch menschenleere Straßen und hinein in die Stadt. 
Höhepunkt in der Conti-Tiefgarage und ein selten geglücktes Beispiel für die Erweiterung filmischer Möglichkeiten war Operation Jane Walk, die Adaption eines Multiplayer-Shooter Spiels als Architekturfilm. Eine Handvoll Soldaten kämpft sich durch ein düsteres New York, aber die eigentliche Geschichte erzählen die Autoren Leonhard Müllner und Robin Klengel in ihrem klug kommentierenden Off-Dialog. Architekturhistorisch und -kritisch gehen sie auf die minutiös im Shooterspiel abgebildeten Stadtlandschaften von New York ein. 
Fast wie animierte Figuren bewegen sich zwei echte Athleten in Sava Buildering von Ulrich A. Reiterer. Der Filmemacher präsentiert seine Protagonisten wie sie in Belgrad scheinbar schwerelos Mauern hochrennen, von einem Geländer auf`s andere springen, über Absperrungen setzen, und bei ihrer Geschwindigkeit stockt dem Zuseher schier der Atem. Die Einstellungen sind allesamt in der Totalen, nur der Ton, das Keuchen, kommt von ganz nahe. Das macht klar, dass es vor allem um die Erfahrung von Architektur und nicht um den artistischen Effekt geht, wie zwei junge Männer entlang einer fiktiven Geraden durch Belgrad rennen.

Zu allen Filmen bot der Schauspieler Daniel Doujenis eine seiner kultivierten und unterhaltsamen Einführungen.

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