24/11/2009

Gedanken zur Podiumsdiskussion GOING PUBLIC – Wer tanzt am besten am Architekturparkett?, am 18.11.2009, im HDA Graz

von Emil Gruber

24/11/2009

Martin Luce (Arch+), Tore Dobberstein (complizen Planungsbüro Berlin)

Manuela Hötzl (Redaktionsbüro Wien), Michael Obrist (feld72, Wien)

Silvia Forlati (SHARE architects, Wien). Fotos: Emil Gruber

„Some are born great, some achieve greatness and some hire public relations officers.“
Daniel J. Boorstin

Wie geht ein junges Architekturbüro den (finanziell) erfolgreichen Weg? Welcher Instrumente und Maßnahmen soll es sich bedienen? Gibt es überhaupt so etwas wie eine PR- Kultur in der Architektur?

Die Wiener Architektin Silvia Forlati ((SHARE architects, Wien) hat im Wonderland Netzwerk von rund hundert Büros aus neun europäischen Ländern einen Fragenkatalog zum Marktauftritt ausgeteilt. Die Plattform, die sich neben dem Informationsaustausch unter den Mitgliedern auch als Architekturvermittler in die Öffentlichkeit sieht, hat keine überraschenden Ergebnisse eingesammelt (siehe LINK am Ende dieser Seite).

Der Start in die Selbstständigkeit ist bei den meisten Architekten ja durchaus ähnlich:
Ein kleines Team mit unbezahlten Chefs und unterbezahlten Studenten, die einen großen Teil ihrer Zeit mit Wettbewerbseinreichungen verbringen. Kaum Zeit und noch weniger Geld für einen großen Marketingfeldzug. Dafür eifriges Netzwerken. Der Architekt als Grafiker, Texter und Fotograf. Viel Hirnblut in die Gestaltung der Website voll von gerenderten Visionen.

Der ehemalige deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt meinte einmal provokant, „Wer Visionen hat, sollte zu einem Arzt gehen.“ Das kann für einen jungen Architekten durchaus sinnvoll sein, wenn der Arzt gut genug verdient und endlich seine Villa am Hügel haben möchte.

Kontakte in alle Richtungen zu sammeln, macht ja Sinn. Gut, vielleicht reicht es anfangs – als Qualifikationsprüfung für die Wirklichkeit – nur für eine Nasszelle oder ein Wartehäuschen vor den Hochbauten des globalen Marktes. Fasst ein einflussreicher Klient aber Vertrauen und lässt vielleicht sogar Beziehungen spielen, kann das aber auch zu einem Supermarkt führen. Wenn nicht zu hunderten. Ein Einheitsmodell. Ökonomisch, quadratisch, gut. Der Dauerauftrag auch in wirtschaftlich weniger rosigen Zeiten. Für die PR genügen später einmal Gartenfeste.

Oder eine Großwildsafari – die Fährte aufnehmen von politisch gut geschützten Baulöwen, die häufig in innerstädtischen Freiflächen ihr Revier markieren. Aber vorsichtig streicheln, Gewissensbisse möglich.

Gut, das sind nicht wirklich realitätsnahe Szenarien für den wirtschaftlichen Erfolg.

Vielleicht dann überhaupt alles gleich sein lassen. Viele selbstständige Architekten leben ja ohnehin von Hauptnebenjobs, durch die sie ihre Büros finanzieren. Sie unterrichten, vermitteln oder publizieren. Ohne Bürokosten werden Einnahmen nicht gleich wieder zu Ausgaben. Übernimmt man später einen Lehrstuhl oder erhält regelmäßige Berater- oder Sachverständigenhonorare, kann jederzeit wieder ein Büro eröffnet werden.

Über Publikationen versucht ohnehin jeder Architekt seinen Bekanntheitsgrad zu steigern. Aber bringt ein Porträt in einem wiederum beinahe nur von anderen Insidern gelesenen Spezialmagazin wirklich Aufträge? Martin Luce vom nun seit vierzig Jahren bestehenden „Arch+“ traut sich darauf keine eindeutige Antwort zu geben. Selbst eine Veröffentlichung in Tageszeitungen mit hoher Auflage bedeutet noch lange nicht, Aufmerksamkeit zu erzielen. Ein Redakteur der „Süddeutschen“, so Luce, berichtete ihm nüchtern, dass das Feuilleton, in dem auch laufend über Architektur berichtet wird, nur von einem verschwindenden Teil der Leserschaft aufgeschlagen wird.

Damit wird die von der Architekturpublizistin Manuela Hötzl als ironische Einleitung aufgestellte Karriereleiter zum berühmten Architekten wohl kaum in den Bauhimmel führen: Sich geheimnisvoll zu geben, gut abgehangene Trends mit frischer Provokation neu abzumischen und das Menu mit einem Feuerwerk an Erklärungen hungrigen Journalisten mundgerecht zu servieren.

Ein erfolgreiches Auftreten zu kopieren, funktioniert schließlich nur selten. Nicht zu vergessen der Hang der Erfolgreichen zur Mythenbildung, was ihre schweren Anfangszeiten angeht. Grand Prix ist dafür ja ein gutes Beispiel.

Aber selbst wenn die Aufmerksamkeit da ist, heißt das noch lange nicht, dass damit Geld verdient werden kann. Ein ruinöser Wettbewerb drückt die Einnahmen auf Kellerniveau, auch in der Architektur hat, schon um die Bank mit Geldflüssen bei Laune zu halten, nicht selten das Umsatzdenken das Gewinndenken ersetzt. Irgendwer macht es immer billiger in den oberen Etagen.

Michael Obrist von feld72 erzählte vom süditalienischen „Million Donkey Hotel“. (siehe LINK am Ende dieser Seite) In knapp einem Monat mit einem Minimalbudget von rund 10.000 Euro und dutzenden freiwilligen Helfern wurden die Anfänge des „verstreuten Hotels“ realisiert. Das Projekt war, was Aufmerksamkeit und Publizierung anging, ein Selbstläufer. Das ist erfreulich und lässt neben dem sozialen Stellenwert auch den Bekanntheitsgrad steigen. Aber wie oft können es sich kleine Büros leisten, ihre ganze Arbeitskraft in solche zeitintensiven, unbezahlten Vorzeigeprojekte zu stecken? Vermieter und Lieferanten haben dafür eine hohe Toleranzschwelle.

Der Diplomkaufmann Tore Dobberstein ist Teil des Berliner „complizen Planungsbüros“. Interdisziplinäre Zusammenarbeit und die Bündelung von unterschiedlichen Fähigkeiten und Stärkefeldern ist durchaus ein immer häufiger festzustellender Trend in kreativen Berufen. Dobbersteins amüsante Diagramme zeigen, dass auch Humor ein wirksames Marketinginstrument sein kann.

Vom amerikanischen Marktforscher Robert Pliskin stammt folgendes berühmte Zitat:
„Market research can establish beyond the shadow of a doubt that the egg is a sad and sorry product and that it obviously will not continue to sell. Because after all, eggs won't stand up by themselves, they roll too easily, are too easily broken, require special packaging, look alike, are difficult to open, won't stack on the shelf."
Für Öffentlichkeitsarbeit gibt es also unzählige Blickwinkel, Interpretationen und Instrumente – aber nach wie vor keine richtig scharfe Bedienungsanleitung. Selbst große Unternehmen haben sich bei der Frage nach der richtigen Positionierung auf dem Markt oft gehörig vertan.

„I know you believe you understand what you think I said, but I am not sure you realize that what you heard is not what I meant.“ – Richard M. Nixon

Für die, die gerade dabei sind, am Puzzle für den richtigen Marktauftritt zu basteln, eine Quizfrage: Glauben Sie, dass ein Unternehmen wie das folgende erfolgreich sein kann?
Die Firma hat keine eigenen Produktionsstätten. Sie lässt aus politischen Gründen auch außerhalb der EU produzieren. Sie verkauft in ihrem Marktsegment überteuerte Produkte, die synthetisch hergestellt werden und aus problematischen Inhaltsstoffen bestehen. In einem Warentest gab es die Note „mangelhaft“. Bei Missbrauch können gesundheitliche Schäden auftreten. In manchen Ländern ist der Verkauf der Produkte verboten.
Geschäftszahlen werden geheim gehalten. Als gezieltes Marketinginstrument unterstützt das Unternehmen nachhaltig schadstoffreiche Emissionen oder Menschen, die freiwillig mit dem Tod spielen.
Red Bull ist für jeden PR-Manager eine Idealstudie, wie ein eigentlich unnotwendiges Produkt sich in einem gesättigten globalen Markt durchsetzt, wenn die richtige Geschichte dazu mitreißend erzählt wird.

Architektur ist im Regelfall weder Getränkedose noch Ei, sieht man vom Ponte Building in Johannesburg oder James Laws Egg für Mumbai ab. Architektur lässt sich auch – außer bei Handelsketten – nur selten serienweise verkaufen. Es bleibt aber die Erkenntnis, dass Selbstbewusstsein, Fantasie, Erfindungsreichtum und Hartnäckigkeit neben Kapital und der eigentlichen Arbeit die besten Marketinginstrumente sind.

Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
GAT+