18/05/2018

Im Überfluss

Emil Gruber zu den Ausstellungen Glaube Liebe Hoffnung, bis 26.08.2018 und Last & Inspiration, bis 14.10.2018 in Graz zu sehen.

Glaube Liebe Hoffnung
800 Jahre Diözese Graz-Seckau

Ausstellungskooperation von Kunsthaus Graz, Kulturzentrum bei den Minoriten, Alte Galerie, Neue Galerie Graz, Volkskundemuseum und Diözesanmuseum Graz.
Kuratiert von: Katrin Bucher Trantow, Johannes Rauchenberger und Barbara Steiner

im Kunsthaus Graz und Kulturzentrum bei den Minoriten
bis 26.08.2018

Last & Inspiration
Kuratiert von Heimo Kaindl, Johannes Rauchenberger und Alois Kölbl

im Diözesanmuseum Graz
bis 14.10.2018

18/05/2018

Ausstellungsansicht 'Glaube Liebe Hoffnung' im Kunsthaus Graz

©: UMJ / N. Lackner

Franz Kapfer, Pater Marco d'Aviano

©: Emil Gruber

Slavs und Tatars, Mystical Protest

©: Emil Gruber

Karol Radiszewski, The power of secrets

©: Emil Gruber

Marlene Dumas, Jesus-Serene im Diözesanmuseum

©: Emil Gruber

Mariensaule-Gesichtsfragment nach dem Anschlag 1988

©: Emil Gruber

zweintopf, Bribery

©: Emil Gruber

protestantischer Flugelaltar mit entferntem 'alleine'

©: Emil Gruber

Kuratorenteam von 'Glaube Liebe Hoffnung' im Kunsthaus Graz: Barbara Steiner, Katrin Bucher Trantow, Johannes Rauchenberger

©: UMJ / N. Lackner

Glaube als Sparringpartner im Gegen- und Miteinander. Religion in einem Kaleidoskop von Wahrnehmung, als Hort der Hingabe, als Labyrinth der Abneigung, als Altar frommer Widerspruchslosigkeit, als Präparat von Zweiflern. Eine Schau, die sich als Land von Milch und Honig zeigt, mit hunderten Objekten, Installationen, Film- und Videobeiträgen über das, das vereint, trennt, aufnimmt, ausschließt. Ist das eine Bergpredigt über das Mögliche jenseits aller Dogmen oder ein restauratives Himmelfahrtskommando?
Kunsthaus Graz, Minoriten, Diözesanmuseum sind drei der Missionare für Glaube, Liebe, Hoffnung - 800 Jahre Diözese Graz-Seckau. Das Jubiläum bespielt auch außerhalb von Graz noch weitere Orte.
Franz Kapfers Kapuzinerpater Marco d'Aviano steht überlebensgroß auf der Murkaiseite vorm Kunsthaus. Dieser frühe Motivationstrainer befüllte einst das dem bedrohten Wien zu Hilfe kommende Sobieski-Heer mit dem Segen des Einen, des Wahren. So aufgeladen und heilsgewiss fügte es 1683 den Osmanen eine entscheidende Niederlage zu. Ein Vierteljahrhundert später musste Aviano – mittlerweile seliggesprochen – auch noch den Ständestaat eines Dollfuß bewachen. (was dann nicht so gut ausging)
Heute bietet Kapfers als Ambivalenz zwischen Politik und Religion gedachte Figur denen, die nach Devotionalien mit Designgeschmack suchen, ihr Kreuz an. „Shop, Shop, Shop“ findet sich hinter Aviano an der Fassade als unglücklicher oder vielleicht doch ironischer Hinweis auf den mittlerweile hier verlagerten Museumsshop im Kunsthaus. Der Rest des Erdgeschoßes ist mittlerweile zu einem üppigen Genuss(?)tempel umfunktioniert. Echter Glaube, wahre Liebe und etwas Hoffnung findet sich hier nur in einem Objekt im Eingangsbereich. Markus Wilflings Schleuse eröffnet einen Pfad, sich aus dem babylonischen Sprachengewirr von Szenejüngern, die Schöpferisches eher als schicke Anordnung von Trendgetränken und Stylefood deuten, zu erheben.
Hier soll aber kein Ketzerbrief geschrieben werden, üben wir uns besser in Nächstenliebe. Die wirkliche Kunst wartet in der Höhe. Zwei Stockwerke inklusive Needle offenbaren für die nächsten Monate Weltanschauungen in acht Kapiteln. Sie nennen sich zum Beispiel Wunder & Übertragung, Abstraktion & Körperlichkeit, Schuld & Macht oder Zugehörigkeit & Ausschluss. Diskurs & Debatte sind erwünscht, Spreu & Weizen muss jeder selbst trennen.
Einen überzeugenden Beitrag liefern Slavs und Tatars mit Mystical Protest. Das Berliner Kollektiv erzeugt eine eigene Hermetik, eine Ausstellung in der Ausstellung. Es webt katholische und schiitische Riten ineinander und verweist auf die Parallelität von Bildersprache bei den polnischen Kundgebungen rund um Lech Walesa und den Protestkundgebungen gegen den Schah 1979. 
Harun Farockis Übertragung zeigt Menschen, die buchstäblich mit symbolisch aufgeladenen Orten in Kontakt treten. Hände werden als Mutprobe in den Mund des Bocca della Verita-Gesichts in Rom geschoben. Der Fußabdruck Marias bei einer Wallfahrtskirche in Würzburg hilft gegen Schmerzen. Am Vietnam Veterans Memorial streichen immer wieder Hände über einen Namen der 50.000 hier aufgelisteten amerikanischen Kriegstoten. Das 2007 entstandene Video sammelt Rituale, die auf der Suche nach unbeantwortbaren Antworten entstehen.
Karol Radiszewski bringt in The power of secrets Maria Padilha, eine aus Lateinamerika stammende Liebeshexe, an einem Kreuz an, konfrontiert damit ein einheimisches Schnitzwerk der eher puritanischen Heiligen Kümmernis. Im Spiel der Geschlechterrollen treffen Körper und Sexualität auf Entsagung und Leiden. (Und nein, ich nenne jetzt den Namen nicht, den alle sofort beim Anblick der hier bärtigen Maria Padilha auf den Lippen haben).
Verstörend wirkt auch Linda Fregni Naglers Hidden Mother. In der Frühzeit der Fotografie waren lange Belichtungszeiten bei Aufnahmen Normalität. Um eine nicht verwackelte Aufnahme eines unruhigen Kleinkinds „alleine“ zu erhalten, wurden diese auf dem Schoß ihrer dahinter vollkommen verhüllten Mutter porträtiert. Für eine Zeitspanne funktionaler Trend löst heute ein solches Foto sofort eine Assoziation zu Burka und Diskriminierung aus.
Eine berührende Arbeit findet sich in Schmerz & Identifikation bei den Minoriten: Uomoduomo. Knapp eineinhalb Minuten sehen wir einen alten, ärmlich gekleideten Mann, der, auf einer Kirchenbank im Mailänder Dom kauernd, eingeschlafen ist. Kurz bevor er umzukippen droht, stabilisiert er sich wieder. Der albanische Künstler Anri Sala wiederholt diese Szene in einem Loop: eine Parabel über Tod und Wiederauferstehung.
Marlene Dumas zeigt auf den ersten Blick ikonografische Christus Gesichter. In Jesus-Serene sind diese ein Mix von historischen Bildern der Kunstgeschichte mit Fotografien von Freunden der Künstlerin. 21 Porträts hängen in Serie an der Wand, 21x Jesus. 21x der Mensch. 21x ein Bild von einem, von dem es kein Bild gibt. (sieht man vom angeblichen Abdruck im Turiner Grabtuch ab, den Dumas auch in diese Sammlung aufgenommen hat)

Während im Kunsthaus und in den Minoriten Glaube, Liebe und Hoffnung trotz immer wieder ansprechender Exponate sehr bemüht miteinander ringen, gelingt dem Diözesanmuseum mit Last & Inspiration eine Ausstellung, die mit Polarisierung einen gelungenen Spannungsbogen aufbaut. 1988 rekonstruiert im steirischen herbst Hans Haacke die Verhüllung der Marienstatue am Eisernen Tor durch die Nationalsozialisten 1938. Fünf Tage vor Ende der Veranstaltung wird in der Nacht ein Brandanschlag auf das Objekt verübt. Die Marienstatue unter der Installation ist schwer beschädigt, muss neugestaltet werden. Im Diözesanmuseum ist das geschmolzene Gesichtsfragment in einer Vitrine erstmals zu sehen. Ihm gegenüber – in einer anderen Vitrine – eine Reliquie, wie die katholische Kirche sie sammelte: zwei Finger der Erzherzogin Maria Anna, der Gattin von Kaiser Ferdinand III.
Profan dagegen der in der Regentschaft von Joseph des II. im Einsatz gewesene Klappsarg. Der Kaiser baute dramatisch die damalige Kirchenstruktur um, verlangte Sparsamkeit. Ein mehrfach verwendbarer Sarg brachte auch beim letzten Gang Effizienz. Noch mehr Optimierung bringt nur noch der Kroate Zlatko Kopljar im Video K16 ein. Im strahlenden Anzug hebt sich der Künstler unter Orgelklängen selbst die Grube aus. Auf Rettung aus ist dagegen die Arbeit von zweintopf. Ihre selbst geformten Votivgaben mischen sich unter andere in der Wallfahrtskirche Frauenberg. Mit Logos von Bankinstituten verziert, gibt Bribery die Wunder-Richtung vor: Mehr Geld statt Fische und Wein bitte.
Die Gegenreformation im 16. Jahrhundert tilgte in der Steiermark gründlich alle protestantischen Spuren. Besonders anschaulich ist das an einer Inschrift am einzigen in der Steiermark erhalten gebliebenen protestantischen Flügelaltar zu sehen. Die Kernthese Luthers, dass der Mensch sein Ticket für die Himmelfahrt „allein durch Glauben“, also nicht auch durch gute Werke erhalten kann, wurde wieder in Richtung Katholizismus modifiziert und das „allein“ aus dem Text herausgekratzt.

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