28/09/2003
28/09/2003

Von Karin Tschavgova (Spectrum) 27.09.2003

INTERGALAKTISCH SIND 40 JAHRE GAR NICHTS, DOCH JETZT, WO DER "FRIENDLY ALIEN" ALS GEBAUTE VISION DER SECHZIGERJAHRE GELANDET IST, WIRKT ER STARK GEALTERT. ZUR ERÖFFNUNG DES NEUEN GRAZER KUNSTHAUSES.

Die Geschichte ist ungerecht. Man nehme die Kunstgeschichte: Widrige Produktionsbedingungen für Künstler werden nur dann thematisiert, wenn diese trotzdem ein Meisterwerk hervorgebracht haben. Die Architekturgeschichte wiederum ist nur interessiert an den Umständen, unter denen ein Bauwerk entstanden ist, wenn sie spektakulär sind und eine gute Story abgeben, etwa der Selbstmord eines Planers.

Soll ein Bauwerk in die Annalen der Architekturgeschichte aufgenommen werden, so muss es ohne Wenn und Aber für sich bestehen können. Es sollte aus sich heraus sprechen und seine Qualitäten im Idealfall bar jeder Vermittlung sicht- und spürbar machen. Das ist hart, denn jedes Bauwerk hat seine spezifische Entstehungsgeschichte, die es formt. Die Konfrontation kühner Träume, vager Vorstellungen und hoher Ansprüche mit der Pragmatik des Bauens, eben den "Umständen", erzeugt Reibungsverluste. Ein Realisierungsprozess unterliegt nicht nur den Gesetzen der Schwerkraft und der Bauphysik, funktionellen Anforderungen, der Bauordnung, dem Brandschutz und anderen Sicherheitsbestimmungen - wer heute baut, sieht sich auch immer stärker zeitlichem und finanziellem Druck ausgesetzt.

Das neue Grazer Kunsthaus, ein Entwurf der britischen Architekten Peter Cook und Colin Fournier, wird dieses Wochenende eröffnet. Nach umfassender medialer Vorbereitung und einem enormen Interesse am Baufortschritt sind die Erwartungen an die Anziehungskraft der "Blauen Blase" hoch gesteckt. Man rechnet in den ersten beiden Tagen mit bis zu 40.000 Besuchern, die das auffällige Gebäude am rechten Mur-Ufer endlich auch innen kennen lernen wollen. Wenige von ihnen werden wissen, dass das, was sie zu sehen bekommen, dem ursprünglich vorgelegten Entwurf in wesentlichen Punkten nicht mehr entspricht. Wer kennt schon das Wettbewerbsprojekt, und wenn, wer konnte sich unter einer "zweischaligen Membrane, deren äußere teflonbeschichtet und durchscheinend ist", als Hülle für das fremd anmutende, schwebende Objekt etwas vorstellen, wer verstehen, was "eine Fassade (ist), die den Eindruck einer soliden Konstruktion vermittelt, ohne es wirklich zu sein" (Projektbeschreibung der Jury)? Was sich jedoch in der Erinnerung vieler festgesetzt hat, ist die wiederholte Rede des Architekten von der intelligenten weichen Haut der Bubble, die in der Dunkelheit nach außen strahlen sollte.

Diese Haut ist im Reibungsprozess ihrer Umsetzung zur dicken, undurchsichtigen Hornhaut mutiert, zur bauphysikalisch opportunen Panzerhülle, wie sie jedem geförderten Wohnbau zur Ehre gereichen würde. Die transparenten Flächenanteile der Fassade, Sichtkontakte und Tageslichtspender zugleich, wurden weitgehend gestrichen, unter anderem der zumindest diskutierenswerten Logik des österreichweit agierenden Museumsberaters Dieter Bogner folgend. Es ist also keine Rede mehr vom nächtlichen Strahlen, auch nicht, nachdem man der Wetterschutzhülle eine weitere, höchst aufwändige Schicht aus 1280 gebogenen blaugrauen Acrylglasscheiben vorgesetzt hat. Sie soll, unterstützt durch annähernd tausend runde Neonröhren, die zwischen den Platten und der Dachhaut sitzen, jenes Leuchten imaginieren, das aus dem Bauwerk kommen hätte können. Materialstärke und Farbe der Platten, vielleicht auch der dunkle Folienhintergrund, dämpfen die Lichtwirkung der computergesteuerten Medienfassade erheblich. Und ist diese nicht aktiviert, so zeigt sich das nächtliche Kunsthaus im Straßenraum als schwarzes, schlafschweres Gebilde auf einem unbeleuchtet massig wirkenden Sockel.

Was es auch nicht mehr ist: ein dreigeschoßiger Innenraum (Juryprotokoll) als Volumen, das seine Wölbungen und Ausbuchtungen überall spüren lässt. Jede der drei Ebenen ist nun in sich abgeschlossen. Wo Glas gedacht war, um Blickbeziehungen herzustellen, ist die in jeder Hinsicht billigere Beton- oder Rigipsvariante zum Zug gekommen. Auch die oberste Ausstellungsebene, die durch 15 riesige rüsselförmige Öffnungen, die Nozzels, mit Tageslicht erhellt werden sollte, hat in der Bauzeit einige Metamorphosen mitgemacht. Anfangs grottenbahnartig schwarz gefärbt und düster verhängt, erschien sie dann, nach dem Einsetzen der kreisrunden Nordlicht-Verglasungen und der Innenskin, freundlich hell, später mit Sonnenschutzlamellen enttäuschend verdüstert. Letztlich scheint die Absicht der Tageslichtgestaltung durch die Installation von je sieben Lichtringen in den Trichtern der Nozzels ad absurdum geführt.

Einiges an Abstrichen beim Experiment, den "Friendly Alien" leichtfüßig zur Landung zu bringen, offenbart sich nur dem, der das nun vorliegende Ergebnis mit dem höchst ambitionierten Ausgangsprodukt vergleicht. Eine durchlässige Erdgeschoß-zone als Erweiterung des öffentlichen Stadtraums blieb, angesichts der schon im Wettbewerb verlangten Nutzungen, unrealistische Vorstellung der Architekten. Was auch dem Laien auffallen wird: dass das "Eiserne Haus", das in den Entwurf integriert werden musste, zwar vorbildlich restauriert und in seinen Originalzustand versetzt wurde, sein Herzstück aber, die oberste Ebene des ehemaligen Café Meran, durch unschöne, hypertrophe Raumeinbauten in Proportion und Transparenz zerstört wurde. Als ob das Zeitschriftenarchiv der "Camera Austria", die diesen Teil mit Fotoausstellungen bespielen wird, nicht auch in intelligenten Möbeln Platz finden hätte können. Das ist nur eines von vielen unausgegorenen, im äußerst knappen Zeithorizont bei zu geringem Budget nicht adäquat gelösten Details. Den Gesamteindruck des Bauwerks, seine Wirkung als "Eyecatcher" im Grazer Stadtraum, können sie nicht schmälern.

An Erklärungen für die nicht wirklich geglückte Umsetzung des Grazer Kunsthau-ses in der Form der Papier gebliebenen
Architekturproduktion der Gruppen archi-gram, superstudio, Haus Rucker & Co und Cedric Price aus den Sechzigerjahren mangelt es nicht. Während Siege jedoch immer mehrere Väter haben, ist der Buhmann immer nur einer - der andere. Während den einen mangelnde Bauerfahrung vorgeworfen wird, werden die örtlichen Planer, die den Architekten vom Bauherrn zur Seite gestellt wurden, der uninspirierten Umsetzung eines außergewöhnlichen Entwurfs bezichtigt. Tatsächlich sind Schuldzuweisungen meist einseitig und oberflächlich. Das zeitlich und finanziell atemberaubend eng geschnürte Korsett als Vorgabe des Bauherrn scheinen alle Seiten als notwendiges Übel hinzunehmen, dabei steckt genau darin die Ursache des Nicht-ganz-Gelingens.

Wenn man den Anspruch erhebt, das ultimative Bauwerk zu errichten - und das taten alle, einschließlich der politischen Ziehväter des Siegerprojekts -, dann muss man auch bereit sein, die Voraussetzungen dafür zu schaffen. Die Angemessenheit der Mittel bedeutet in diesem Fall, das Ziel zu erreichen.

Nur wer Fragen neu stellt, kommt zu neuen Antworten. Mit pragmatischem Denken finden sich keine innovativen Lösungen, genauso wenig, wie damit die Reise zum Mars gelingen kann. Eine Hoffnung bleibt: Auch Aliens landen in der Architekturgeschichte. Oder? [*]

Verfasser/in:
Karin Tschavgova
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