17/12/2015

REANIMATION
Ein Buch von Stefanie Weinrauch.

Seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten suchen KunstliebhaberInnen mehr Möglichkeiten, Bilder, Grafiken oder Skulpturen nicht nur in Museen und Galerien wahrnehmen zu können. Viele gibt es bereits, aber sie bleiben an Zahlen gemessen die Ausnahme.

Stefanie Weinrauch hat dutzende Möglichkeiten in der Steiermark recherchiert und in ihrem Buch vorgestellt.
 
Stefanie Weinrauch
REANIMATION - BRINGING ART TO NEW LIFE OUTSIDE THE MUSEUM
Leykam Buchverlag

17/12/2015

Cover: REANIMATION – BRINGING ART TO NEW LIFE OUTSIDE THE MUSEUM

©: Steirische Gesellschaft für Kulturpolitik - GKP

Mehr geistige und räumliche Flexibilität, mehr Phantasie und mehr Sensibilität

Endlich – ein systematisches und konkretes Vademecum für bildende Kunst außerhalb von Museen, Galerien und sonstigen Kulturtempeln. Mit dieser Erleichterung ist dieses Buch zu begrüßen. Und das, obwohl das Thema seit Jahrzehnten angestoßen wird. Siehe Hermann Glaser, Hilmar Hoffmann, Rudolf Scholten oder vor ihm Fred Sinowatz im deutschen Sprachraum sowie einige mehr im weiten Europa, beispielsweise der frühere französische Kulturminister Jack Lang. Sie alle konnten auch nicht immer in volle Budgettöpfe greifen. Das hinderte sie jedoch nicht, Phantasien anzustacheln und neue Möglichkeiten auszuloten. Kulturpolitische Botschaften, ästhetische Proklamationen und ideologische Parolen wurden mit und neben den, manchmal wahrscheinlich auch gegen die Genannten in großer Öffentlichkeit ausgebreitet.

Kunst und Museum bzw. Galerie sind eine allzu enge Verbindung, die nur schwer zu knacken ist. Daneben ist dann die Privatsphäre, und die ist überhaupt ganz dicht, auch wenn zur Vermehrung des Renommees ein Zipfel für die Öffentlichkeit gelüftet wird. So bleibt nur der berufliche und beschränkt öffentliche Raum von Behörden, Heilanstalten, Rechtseinrichtungen, mehr oder minder großen Unternehmungen (nicht nur Konzernzentralen), Handel und Gewerbe – in diesem Umfeld dürfen oder können künstlerische Arbeiten (noch?) nicht wirklich zur Geltung kommen. Das allerdings mit langsam wachsender Öffnung und Aufgeschlossenheit. Andererseits ist Kunst im öffentlichen Raum noch immer ein exotisches Unterfangen, mit viel Vorsicht und Rücksicht.

Auf diesem „weiten Feld“ hat sich Stefanie Weinrauch umgetan und wurde von dem in vielen gestalterischen Sphären erprobten Alexander Kada weitergeführt. Und zwar hier in der Steiermark! Mit leicht getönter ideologischer Brille gesehen ist zu erkennen, dass dieser Band, der 5. von der Steirischen Gesellschaft für Kulturpolitik in der Reihe Kultur des öffentlichen Raums herausgegebene, weitgehend Kunstmarkt-affin genährt wurde. Umso mehr sollte er einen Schub Selbstverständlichkeit hervorrufen. Niemand wird davon herausgefordert, sich in eine Revolution einzugliedern. Es geht schlicht und klar darum, dass Kunst selten besondere Orte verlangt. Oder mit anderen Worten: Museen und Galerien bieten – von ihrer üblichen Größe abgesehen – keine weiteren zwingenden Voraussetzungen für die Hängung, Aufstellung oder – wer will – Präsentation. Außerdem: im Vordergrund sollte die Stärke der Intensität und nicht die Größe der Menge stehen.

Obwohl diese Selbstverständlichkeit, der gelassene und erfrischende Umgang mit Kunst in möglichst vielen unserer Umgebungen noch lange nicht erreicht ist, trägt die Zusammenstellung im Buch den Keim von mehr: zunächst einmal, dass die aus öffentlichen Mitteln angekaufte Kunst nicht unbedingt in Archiven und Depots vor den SteuerzahlerInnen versteckt werden sollen. Artotheken und Vergleichbares müssen nicht mit dem Totschlagargument „noch mehr Bürokratie“ ausgehebelt werden. Haltungen für das Außergewöhnliche (gar nicht „Heilige“!) sollten auch ohne teure PR-Kampagnen entstehen können.

Eine weitere Stufe steht schon und wartet aufs Betreten: Kunst und Kultur sind auch Experimentierfelder für kreatives gesellschaftsgestaltendes Potenzial. Dieses strebt einen unbeschränkten Zugang für möglichst viele und möglichst wache Menschen an sowie die Auflösung der Trennung zwischen Kunst/Kultur und Alltag. Die Zäune um die „höheren Bildungsschichten“ oder um den „Migrationshintergrund“ trennen zwar noch immer mehr als eine Demokratie erlauben dürfte, aber auch weniger als manche wünschen.

Eben weil ein zu geringer Prozentsatz der Bevölkerung am öffentlich geförderten Kulturgeschehen teilnimmt, sind von einer heutigen Kulturpolitik nicht nur mehr Entwicklungs- und damit Lebensmöglichkeiten für KünstlerInnen und KulturarbeiterInnen zu erwarten, sondern auch weit mehr Öffnung, Anregungen und Überzeugungsarbeit für Menschen aller sozialen und Bildungsschichten. Das in diesem Buch Abgebildete, Beschriebene und Analysierte ist ein sehr praktisch angelegter Hebel in die von Wirtschaft und Politik herbei geschriebenen, ja immer häufiger von uns geforderten Fähigkeiten: mehr geistige und räumliche Flexibilität, mehr Phantasie und mehr Sensibilität.

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