05/03/2018

Kunst-Haus

Emil Gruber zur Ausstellung Hope House (Anne Frank Haus) von Simon Fujiwara im Kunsthaus Bregenz.

Die Schau, die in Kooperation mit lokalen Handwerkern gestaltet wurde, ist noch bis
2. April 2018 im KUB zu sehen.

05/03/2018

Detailansicht des im KUB eingebeauten 'Hope House' (Anne Frank Haus) anlässlich der von Simon Fujiwara gestalteten Ausstellung. Screenshot > kunsthaus-bregenz.at

Simon Fujiwara, Hope House im KUB

©: Kunsthaus Bregenz

Ausstellungsansicht EG. Foto: Markus Tretter, Courtesy of Simon Fujiwara

©: Kunsthaus Bregenz

Detail, EG: Simon Fujiwara, Untitled (Penthouse) mit Goldhund

©: Emil Gruber

Detail EG: ausgebreitete Einzelteile des Bausatzes Anne Frank Haus, dahinter die Faksimile-Tagebücher   

©: Emil Gruber

Ausstellungsansicht 1.OG. Foto: Markus Tretter, Courtesy of Simon Fujiwara

©: Kunsthaus Bregenz

Detail 1.OG: Utensilien aus dem Conceptstore für Flüchtlinge 'Choose Love'

©: Emil Gruber

Ausstellungsansicht 2.OG. Foto: Miro Kuzmanovic

©: Kunsthaus Bregenz

Detail 2.OG: einer der Anne Frank Tagebuchauszüge, die die Ausstellung durchziehen

©: Emil Gruber

Detail: Anne Frank’s Birthday Cake, Mixed-Media-Installation

©: Emil Gruber

Detailansicht 3.OG: Rekonstruktion des Dachgeschoßes des Anne Frank Hauses

©: Emil Gruber

Detail 3.OG: Blick in den Dachboden

©: Emil Gruber

Der Bausatz für das Hinterhaus von Prinsengracht 263 in Amsterdam besteht aus 16 Kartonbögen mit insgesamt 60 Einzelteilen im Maßstab 1:60, ist in sieben Sprachen erhältlich und kostet € 20,50. Seit 1960 ist das Anne Frank Haus Erinnerungsstätte an den Holocaust. Seit einigen Jahren kann im Bookshop des Amsterdamer Museums die Miniatur des Verstecks von acht jüdischen Menschen, von denen nur einer, Annes Vater Otto, den Nationalsozialismus überlebte, als Andenken(?), Souvenir(?) – mir fehlt dazu der Begriff – mitgenommen werden.

Wie ist das Vorderhaus mit dem Hinterhaus verbunden? Wo befand sich der Betrieb von Anne Franks Vater? Wo genau hielten sich die Untergetauchten versteckt? Und von welchem Fenster aus konnte Anne Frank den Kastanienbaum sehen? (aus der Beschreibung zum Bausatz auf der Homepage des Anne Frank Haus, s. Link annefrank.org)

Von der ehemaligen historischen Substanz der Gebäude ist nach mehrmaligem Umbau des Museums heute kaum mehr etwas vorhanden. Das Anne Frank Haus ist ein künstlicher Ort, der die Illusion erzeugt, nach wie vor das Original zu sein. Dieser Umstand inspirierte den britischen Künstler Simon Fujiwara zu einer der wohl ungewöhnlichsten Ausstellungen, die in Österreich aktuell zu sehen ist: das Anne Frank Haus als Nachbau im ursprünglichen Originalmaß, verteilt auf drei Stockwerke im Kunsthaus Bregenz.

Schon im Erdgeschoß des KUBs ist zu erkennen, da bleibt bei einem seit Jahrzehnten hermetisch geschützten Narrativ kein Stein auf dem anderen. Auf einem Podest ist der Bausatz als dreidimensionales Explosionsmodell ausgebreitet, flankiert von zehn ebenfalls im Anne Frank Haus käuflichen Faksimiles des berühmten Tagebuchs. Ein Video zeigt eine 3D-Animation des Hauses, ein anderes Schüler in ihrer Klasse im amerikanischen Illinois beim Zusammenbau des Kauf-Modells.

Weitere Hausmodelle sind, überlagert von anderer Architektur, in Glasstürzen zu sehen. Untitled (Extension) assoziiert mit seiner geschwungenen Blechhülle Frank Gehrys Museum in Bilbao, Untitled (Penthouse), ein Glaskubus auf Stelzen inklusive Goldhundfigur rund um das Dach des Modells, könnte Jeff Koons Eigenheim sein und bei Untitled (Correctional Facility) wird das Anne Frank Haus zu einem Innenhofobjekt eines Gefängnisbaus voll mit Zitatwänden zu aktuellen gesellschaftspolitischen Situationen in der Welt.

Das Haus wird Hülle, ein Ort, der Reibung braucht, um aus der Ergriffenheitsfalle entkommen zu können. Geschichte verlangt gelebt zu werden. Bewunderung oder Verachtung von historischen Ereignissen alleine sind Allerweltsdiskontware für das Gewissen, taugen höchstens als bequeme Lehne für den eigenen Standpunkt.

„Ich habe das Wort Hoffnung vollkommen aus meinem Vokabular gestrichen." sagte Pier Paolo Pasolini einmal. Fujiwaras Hope House ist ein Labor zur Rehabilitation dieses Wortes, nimmt Kurs Richtung Coup der guten Hoffnung.

Anne Frank war keine Widerstandskämpferin, keine Sophie Scholl, sie war ein Mensch am Anfang – mit Träumen, Wünschen, Idealvorstellungen. Viele davon waren trivial und banal. Sie wollte Schriftstellerin sein, in Hollywoodfilmen spielen, liebte Mode, freute sich auf ihren Geburtstag und entdeckte ihre Sexualität. Anne war eines von vielen Mädchen, die keine Chance hatten, ihre Jugend zu leben, weil draußen vor der Tür eine irrwitzige Mörderbande in Europa wütete. 

Fujiwara nimmt als Ausgangspunkt für seine Zeitreise, die im Heute beginnt und im Heute endet, Franks Tagebuch und sucht nach diesen jugendlich-zeitlosen Stellen, die die alte, die falsche Zeit aussparen. (Es gibt seit einigen Jahren eine heftige Debatte, ob nicht Annes Vater Otto die Tagebücher mitverfasst und damit „lesbar“ gemacht hat.)
Annes Träume werden zur Provenienz für einen Katalog an Fragestellungen, die Funktion und Form von bestehenden Systemen, sozialen Ordnungen und Verhaltensweisen untersuchen.
Der Künstler selbst nimmt sich dabei nicht aus, tritt aus der Beobachterrolle und spielt in diesem lebensprallen Theater mit.

Eine Kinderschwimmweste, ein Strampelanzug, eine Hygieneset liegen perfekt ausgeleuchtet auf einem Verkaufspult. Choose Love ist ein Concept Store, sowohl online als auch mit Laden in London, aus dem eine bezahlte Ware nie mitgenommen werden kann. Alle Einkäufe werden NGOs übergeben, die sie an Flüchtlinge weiterverteilt.
Am selben Pult findet sich ein Set modischer Herrenmode vorgeschlagen für Fujiwara von Outfittery, jenem Online-Versand, der den perfekten Look für den gut angezogenen Herrn des 21. Jahrhunderts via Algorithmen berechnet und damit Konsumenten von Selbstentscheidungskonflikten befreit.
Warehouse im ersten Stock des KUBs seziert Moral und Gefühl mit einer Rasierklinge.
Ein aus deutscher Fabrikation stammendes Tempelritter-Spielzeugwaffenset duelliert sich mit Spielzeug-Panzern zum Anmalen aus israelischer Herkunft. Eine Schokoladenmaske aus bester ghanesischer Kakaobohne des französischen Kult-Pâtissiers Pierre Hermé starrt auf den losgelösten Kopf einer Sexpuppe von Orient Industry. Die japanische Firma ist im Edelsegment der einsamen Zweisamkeit angesiedelt. Das beste Stück aus der Produktion kostet über 10.000 US-Dollar.
Ein großer Haufen Pulver erweist sich als Spezial-Make-Up, das exklusiv für Angela Merkel entwickelt wurde, um ein faltenfreies Gesicht für die HD-Auflösung im TV zeigen zu können.

Secret Annex befindet sich im nächsten Obergeschoß. Durch die Fensterfront am Eingang ist das Video einer selbstbewussten, energischen Frau zu sehen. Joanne ist Model und Boxerin, war aber auch Kunsterzieherin an einem englischen College. Von Unbekannten unautorisiert in Umlauf gebrachte Nacktfotos von ihr zerstörten die Karriere. Sie musste die Schule verlassen. In einem gemeinsam mit Fujiwara entwickeltem Re-Enanctment verschließt Joanne diesen tiefen Schnitt in ihrem Leben.
Das Bücherregal, das auf das historische Regal verweist, hinter dem der Zugang zum Versteck der Franks sich befand, ist mit Ausgaben von nur einem Buchtitel gefüllt, immer und immer wieder: Fifty Shades of Grey.
Daneben ein verwaschenes Video aus 1992: Simon Fujiwara singt bei einer Schultheateraufführung Edelweiss aus dem Musical Sound of Music, dieser Verklärung einer standhaften Familie in der NS-Zeit.

2014 besuchte Beyoncé das Anne Frank Haus. Natürlich durfte ein Instagram Selfie (I identify with you, Anne Frank, or I feel the pain of this experience, I understand the trauma.) vor den Fotos von Anne nicht fehlen. Wohlwollend wurde vom Boulevard der Hosenanzug der Sängerin als „sehr geschmackvoll und diskret“ besprochen. Das Kleidungsstück von Topshop Unique (Topshop Unique celebrates everything that is cool and unique about British style and heritage – Eigenwerbung des Fashionlabels) war danach binnen kürzester Zeit ausverkauft.

Die Lifestyle-Bloggerin Amelia Liana musste im letzten Jahr einen Shitstorm über sich ergehen lassen, weil offensichtlich sie sich in Landschaftsbilder einfügte, ohne wirklich vor Ort zu gewesen zu sein (s. Link dailymail.co.uk). Im Manifest „My Image Priciple“ tritt sie diesen Anschuldigungen empört entgegen.

Das Ölbild Salvator Mundi wird Leonardo Da Vinci zugeschrieben. 2017 wurde es bei Christie’s New York in einer Auktion für den Rekordbetrag von 450 Millionen Dollar versteigert. Es kann künftig im Louvre-Ableger in Abu Dhabi (See Humanity in a new light) betrachtet werden. Der Expertenstreit, ob tatsächlich Da Vinci der Urheber des Bildes ist, hält nach wie vor an.

Ein kleiner, leicht zu übersehender Strich an der Wand erweist sich als Körpergröße eines Menschen, der sich möglicherweise dann doch in Anne Franks Lage damals hinein fühlen kann: Malala Yousafzai, die heute zwanzigjährige pakistanische Frauenrechtlerin und Friedensnobelpreisträgerin, die 2012 ein Attentat von Talibans nur knapp überlebte, führt selbst seit Jahren ein Blog-Tagebuch.

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