18/11/2013

Im Fokus:
ENERGIE BAU KULTUR

Spricht man im Bereich der Baukultur von Energieeffizienz und Nachhaltigkeit, werden unterschiedliche Vorstellungen geweckt. Häufig werden diese Schlagworte mit energetischen Kennwerten und technischen Anlagen assoziiert, man denkt an Photovoltaikanlagen, Wärmedämmung und künstliche Raumbelüftung. Die gegenwärtigen Aufgaben auf diesem Gebiet gehen aber deutlich über technische Anlagen und Dämmmaßnahmen hinaus.
GAT wird ab 18. November 2013 unterschiedliche Sichtweisen und Lösungsansätze zu dem Themenkomplex medial in einem Schwerpunkt aufbereiten, mit dem Ziel, dass Architekturschaffende, Bauherren, Wissenschaftler und politische Entscheidungsträger die aktuelle Entwicklung, bei der vor allem auf technischen Fortschritt gesetzt wird, hinterfragen, um schließlich nach neuen, ganzheitlichen und nachhaltigen Lösungen zu suchen, diese zu fördern und zur Umsetzung zu bringen.

18/11/2013
©: Redaktion GAT GrazArchitekturTäglich

Es ist nicht unbedingt notwendig, sich auf eine wissenschaftliche Grundsatzdiskussion einzulassen – ein ehrlicher Blick auf unsere Situation, sei es die ökologische, die soziale oder die wirtschaftliche, genügt, um zu begreifen: Wir leben in einer befristeten Kultur der Ausbeutung. Eine Wende zu umfassender Nachhaltigkeit ist unabdingbar und richtet sich als Forderung nach Veränderung an jeden von uns.

Kritik, zumeist am Begriff, aber auch an der Sache selbst, wird forciert, sobald nachhaltiges Handeln die Paradigmen unseres gesellschaftliche Machtgefüges oder Wirtschaftssystems hinterfragt. Nachhaltigkeit ist eine Forderung an alle, ihre Umsetzung liegt aber keinesfalls in jedermanns vordergründigem Interesse. Zielkonflikte zeichnen sich ab, zwischen der Intention der Nachhaltigkeit, Möglichkeitsräume für die Zukunft zu erhalten, und dem, für unser aller Wohlergehen als unumgänglich postulierten Wachstumsparadigma.

Das reale Bruttoinlandsprodukt in Österreich erhöhte sich in den letzten 17 Jahren um durchschnittlich etwa 2,0 % pro Jahr, was einen Gesamtanstieg des Produktionsvolumens um etwa 40 % in diesem Zeitraum bedeutet. (1) Die beanspruchte Siedlungsfläche pro Kopf stieg in den letzten 60 Jahren von 200 m² auf 500 m². (2)  Die Wohnfläche pro Kopf lag 1971 bei durchschnittlich 22 m², 2001 bereits bei 38 m². (3) Unser energetischer Endverbrauch betrug  etwa 570.000 TJ im Jahr 1970 und 1,090.000 TJ im Jahr 2011. (4)  Im Jahr 2010 waren unsere Kohlendioxid-äquivalenten Treibhausgasemissionen auf 84,6 Mio. Tonnen angewachsen und lagen damit um 8,2 % höher statt um an die 13 % niedriger als im Kyoto-Protokoll festgelegten Vergleichsjahr 1990. (5)

Gesunken ist hingegen die Anzahl der Wirbeltierarten auf unserem Planeten:  in den letzten 30 Jahren um 40 %. (6) Durch unsere Lebensweise zerstören wir die Biosphäre und betreiben wider besseres Wissen Raubbau an den Lebensgrundlagen der Zukunft. Das Planetary Boundaries Modell nach Rockström listet und bewertet jene neuen Umweltveränderungen, die aufgrund des heutigen Erkenntnisstandes als Bedrohung für das globale Ökosystem identifiziert wurden. (7) Es sind dies, geordnet nach der Schwere der Belastung: Biodiversitätsverlust, Klimawandel, Stickstoff- und Phosphorkreislauf, Süßwasserentnahme, Landnutzungsänderung, Versauerung der Ozeane, stratosphärischer Ozonabbau, atmosphärische Aerosoldispersion und chemische Verseuchung.

Das Bauen und die damit in Zusammenhang stehende  Raumnutzung verursachen jedenfalls einen Verlust an Biodiversität durch die Zerstörung zusammenhängender Lebensräume und leisten dem Klimawandel durch Emissionen aus der Gebäudeerrichtung, dem Gebäudebetrieb und dem induzierten Verkehr Vorschub. Aber auch die Änderung der Landnutzung, der Verbrauch an Süßwasser und die Verseuchung durch Chemikalien sind zu beachten.

Und trotz Wachstum und Raubbau beobachten wir in Österreich, einem der reichsten Staaten der Erde, das Phänomen, dass sich immer größere Gruppen der Bevölkerung adäquaten Wohnraum nicht leisten können. So verwalten die ärmeren 40 % der österreichischen Bevölkerung nicht mehr als 4.800,- Euro Nettovermögen pro Kopf bei einem arithmetisch gemittelten Monatsnettoeinkommen der arbeitenden Gesamtbevölkerung von 1.906,- Euro. (8) (9)  Folglich haben sich die Prioritäten bei der Wohnungswahl im Lauf der letzten Jahre kontinuierlich verändert und zunehmend auf finanzielle Aspekte verengt. Waren im Jahr 2002 noch Qualitäten wie Wohnungsgröße, Grün- und Ruhelage sowie Raumanordnung im Fokus, sind es 2009 die laufenden und die Anschaffungskosten. (10)

In dieser hochschwierigen Ausgangslage ist und bleibt es die ureigene Aufgabe von PlanerInnen und ArchitektInnen, Lebensräume zu gestalten. Natürlich sind sie weder Bauherren noch Investoren, aber sie sind diejenigen, die ein Bild dessen skizzieren, was entsteht und dadurch Verantwortungsträger.  Die Planung an sich bestimmt entscheidend über den Einsatz der Ressourcen Boden, Energie und Material, legt fest, wie viel wir wovon jetzt und in Zukunft brauchen und damit in hohem Maße, welche Lebensqualität wir langfristig sicherstellen können. Das Eintreten für nachhaltige Architektur und einen nachhaltigen Umgang mit Raum ist daher eine der gesellschaftsrelevanten Aufgaben der Gegenwart.

Welchen Strategien, welchen Vorgehensweisen und Prinzipien können wir folgen, um langfristige Zukunftsfähigkeit zu erreichen? Die von uns derzeit am häufigsten angewandte Strategie ist die Effizienzsteigerung, also die Erzielung des gleichen Ergebnisses mit weniger Aufwand. In einer Wachstumsgesellschaft reicht das gleiche Ergebnis jedoch nicht. Daher steht der Gesamteinsparungserfolg, den wir durch Effizienzsteigerung im Bauen erzielen konnten, nicht im Verhältnis zu den vehementen Anstrengungen. Effizienz ist ein kluges und im Sinne der Nachhaltigkeit unabdingbares Handlungsprinzip, aktuell jedoch konterkariert durch unser stetes Streben nach Mehr. 

Wenn unsere Gesellschaft ohne Wachstum nicht funktioniert, mit Wachstum aber keine Zukunft hat, ist Wachstum wohl keine Kategorie für Lösungen. Es braucht einen Paradigmenwechsel – die Frage lautet nicht, wie viel, sondern was brauchen wir? Es geht um die Suche nach den Dingen, die wir ohnehin haben und nach jenen, von denen wir uns befreien sollten. Das Prinzip heißt Suffizienz, Angemessenheit. Hier beginnt die Herausforderung für PlanerInnen. Wann haben wir die Muster und Vorgaben, nach denen wir unsere Wohnungen, Büros, Schulen und Kindergärten entwickeln, das letzte Mal kritisch dahingehend überprüft, ob sie abbilden, was wir wirklich brauchen?

Ein paar Dinge lassen sich dazu statistisch festmachen: Den stärksten Einfluss auf die Lebenszufriedenheit hat die Gesundheit, und viel Besitz macht nicht viel glücklicher als genug Besitz. Stellen wir uns also eine Lebensumgebung vor, die uns vor allem gesund hält,und die uns genügt. (11)  Allzu konkret mag die erste Skizze nicht ausfallen, weil es nicht üblich ist, Bauaufgaben und Raumordnungsfragen unter diesen Gesichtspunkten zu betrachten. Um die Skizze in ein konkretes Bild und schließlich in gestaltete Umwelt umsetzen zu können, gilt es, interdisziplinäres, oft evidenzbasiertes Wissen zusammenzuführen und Innovation durchzusetzen.

Über das Prinzip der Suffizienz hinaus weist die Subsistenz, die besagt, dass souverän sein wird, wer wenig braucht und von diesem Wenigen einen großen Teil selbst oder im Umfeld des eigenen Wirkungskreises herstellt.  Subsistenz steht für die Möglichkeit der Eigenproduktion, für partielle Selbstversorgung und Steigerung der Unabhängigkeit. Sie mündet nicht zwangsweise in Autarkie, sondern ermöglicht den Austausch im bisher denküblichsten Fall etwa von vor Ort produzierter Energie, aber auch von Lebensmitteln oder Dienstleistungen.
Dadurch wird die Resilienz, beschrieben als Robustheit und Widerstandsfähigkeit,  als Toleranz gegenüber Störungen und Veränderungen erhöht. Resilienz kann konkret auf das Gebaute im Zusammenspiel mit dem Nutzer selbst angewendet werden, etwa durch die Anpassung der aktuell zu eng gesteckten Klimakomfortzone  im Innenraum an die Erfordernisse der menschlichen Physiologie und Gesundheit. Auch der Einsatz langfristig nutzbarer Haustechnik und Regelungssysteme sowie die Wahl entsprechender Materialien und Konstruktionen oder die Entwicklung vielfältig bespielbarer Raumkonfigurationen steigern die Resilienz.

Schließlich verlangt das Prinzip der Konsistenz, dass sich die Aufwendungen für das Bauen, für Nutzung und Betrieb von Gebäuden, in übergeordnete natürliche Systeme einfügen, etwa durch den Einsatz nachwachsender Rohstoffe oder durch regional ausreichend verfügbare Materialien  sowie den Einsatz erneuerbarer Energien.

Nachhaltigkeit bei der gestaltenden Weiterentwicklung unserer Architektur und unserer Lebensräume lässt sich durch die kombinierte konsequente Umsetzung von zumindest diesen fünf Strategien Effizienz, Suffizienz, Subsistenz, Resilienz und Konsistenz erreichen. Darüber hinaus bedarf es aber auch eines partiellen Rückbaus finanzialisierter und global arbeitsteiliger Wertschöpfungsprozesse zugunsten einer Stärkung lokaler und regionaler Selbstorganisationen. Gefordert ist eine tiefgreifende Veränderung unserer Gesellschaft, basierend auf einem neu ausgerichteten Wertesystem. Die nötige Reduktion heutiger  Treibhausgasemissionen um 80 % ist dafür eine veranschaulichende Maßzahl.

Zur Autorin:
DI Dr. techn. Renate Hammer, MAS studierte Architektur an der TU Wien und Philosophie an der Universität Wien. 1999 schloss sie das Postgraduales Studium Solararchitektur an der Donau-Universität in Krems ab und promovierte 2009 zur Doktorin der Technischen Wissenschaften an der TU Wien.
Seit 2006 ist Renate Hammer Vorstandsmitglied und aktuell Sprecherin der Plattform für Architekturpolitik und Baukultur, seit 2008 Mitglied des Beirats für Baukultur im Bundeskanzleramt und Mitglied des Oxford Round Table und seit 2012 Mitglied des wissenschaftlichen Beirats Europa Nostra Austria
Von 1998 bis 2013 war sie am Zentrum für Bauen und Umwelt der Donau-Universität Krems als wissenschaftliche Mitarbeiterin in verschiedenen Funktionen tätig, u.a als Dekanin der Fakultät für Bildung, Kunst und Architektur.
Von 2009 bis 2012 war sie an der Gründung des COMET Kompetenzzentrums Future Building GmbH beteiligt, Geschäftsführerin und wissenschaftliche Leiterin, gemeinsam mit DI Dr. Peter Holzer.
Seit 2013 ist sie Gesellschafterin und wissenschaftliche Mitarbeiterin des Insitute of Building Research & Innovation GmbH, Wien

Quellen:
(1) https://www.statistik.at/web_de/statistiken/wie_gehts_oesterreich/materieller_wohlstand/index.htm
(2) Haberl H. et al. (2001) Die Kolonisierung der Landschaft– Indikatoren für nachhaltige Landnutzung. In:
Schriftenreihe des BMBWK. Forschungsschwerpunkt Kulturlandschaft, Nr. 8. Wien., BEV 2007
(3) Statistisches Jahrbuch der Stadt Wien, HWZ 2001, Statistik Austria
(4)Gesamtenergiebilanz Österreich (1970 bis 2011) http://www.statistik.at/web_de/statistiken/energie_und_umwelt/energie/energiebilanzen/index.html
(5) Umweltbundesamt, REP-0393, Wien 2012 Emissionstrends 1990–2010, Treibhausgase (THG) Seite 52, Umweltbundesamt
(6) WWF World World Wide Fund For Nature; UNEP-WCMC  United Nations Environment Programm World Conservation Monitoring Center; https://lh4.googleusercontent.com
(7) Rockström J., A safe operating space for humanity, Nature 461, 472-475, 2009
 http://www.nature.com/news/specials/planetaryboundaries/images/main_bg5.jpg 
(8)The Eurosystem Household Finance and Consumption- Survey Results from the first wave. Statistics Paper Series 02/2013; Datengrundlage: Österreichische Nationalbank
(9)Eurostat – EU-SILC, Sozialpolitische Indikatoren, Österreich im Internationalen Vergleich, Mai 2013 ; Datenbasis 2010, STATISTIK AUSTRIA, Mikrozensus-Arbeitskräfteerhebung (Jahresdurchschnitt über alle Wochen) und Lohnsteuer-/HV-Daten. Erstellt am 17.12.2012. Bevölkerung in Privathaushalten ohne Präsenz- und Zivildiener. - Einkommen inkl. 13. und 14. Monatsgehalt
(10)Gallup – Institut im Auftrag der Agentur für Bauen, Wohnen und Immobilien: Wohninteressen 2002/2009
(11) Statistik Austria, Studie „Wie geht's Österreich?“, 2013 https://www.statistik.at/web_de/statistiken/wie_gehts_oesterreich/lebensqualitaet/15/index.html

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