22/12/2013

Nachtrag zum Gespräch mit Eugen Gross

"Einige Aussagen im Text des Buches Werkgruppe Graz, 1959-1989 müssen relativiert werden."

22/12/2013

Waisenhaus Amsterdam 1955-1960 (Fertigstellung), Aldo van Eyck

©: Bernhard Hafner

Engineering Building, Leicester University, England, 1960, Stirling and Gowan

©: Bernhard Hafner

Toulouse le Mireil, 1962-77, 1. Preis Wettbewerb, Candilis, Josic, Woods

©: Bernhard Hafner

Toulouse le Mireil, 1962-77, Modell, Candilis, Josic, Woods

©: Bernhard Hafner

Wettbewerbsprojekt Frankfurt-Römerberg, 1963, Modell, Candilis, Josic, Woods

©: Bernhard Hafner

Wettbewerbsprojekt Frankfurt-Römerberg, 1963, Modell, Candilis, Josic, Woods

©: Bernhard Hafner

Projekt Universität Salzburg, Lageplan, 1963-64, Fritz, Hafner, Lenz

©: Bernhard Hafner

Projekt Universität Salzburg, Strukturplan, 1963-64, Fritz, Hafner, Lenz

©: Bernhard Hafner

Projekt Universität Salzburg, E 4, OG 1, 1963-64, Fritz, Hafner, Lenz

©: Bernhard Hafner

Stadtzelle für Laibach, Modellfoto, einwöchige Klausurarbeit, 2. Staatsprüfung 1965, Hafner

©: Bernhard Hafner

Stadtzelle für Laibach, Modellfoto, einwöchige Klausurarbeit, 2. Staatsprüfung 1965, Hafner

©: Bernhard Hafner

Die Werkgruppe wurde 1959 von Eugen Gross, Friedl Gross, Hermann Pichler mit Werner Hollomey als Architekt mit Befugnis gegründet, als die Erstgenannten diese noch nicht hatten. Sie arbeiteten im Angestelltenverhältnis bei ihm bis 1964. Im Wohnbau gab es eine Arbeitsgemeinschaft mit Walter Laggner und Peter Trummer.
Anlässlich der Ausstellung Architektur als Partitur - Werkgruppe Graz 1959 - 1989 im HDA Graz (bis 20.12.2013) und der Neuerscheinung des Buches Werkgruppe Graz 1959 - 1989 sprach Architekt Bernhard Hafner (ab 1961 zweimal im Büro der Werkgruppe tätig) mit seinem Kollegen Eugen Gross über das Schaffen der Werkgruppe. Teil 1 und Teil 2 des Gesprächs wurden am 08.12. und 15.12.2013 auf GAT veröffentlicht.

Nachtrag

Einige Aussagen im Text des Buches Werkgruppe Graz, 1959-1989 müssen relativiert werden. Es geht im Besonderen um die Begriffe Struktur und Strukturalismus. Eugen Gross verwies schon in seinem Vortrag Wie beeinflusste der Strukturalismus die ‘Grazer Schule‘ der Architektur bei der Veranstaltung Was bleibt von der Grazer Schule an er TU Graz beim Begriff des Strukturalismus auf die zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts. [Was bleibt von der Grazer Schule? Architektur-Utopien seit den 1960ern revisited, Anselm Wagner | Antje Senarclens de Grancy (Hg.), 2012, jovis Verlag]. Im Vorwort zum Buch Werkgruppe wird von einer „geometrisch gedachten Großstruktur für Innsbruck-Völs aus dem Jahr 1962“ gesprochen. Im Beitrag Strukturen, die Freiheit schaffen heißt es: „Dieser letzte, vom Team 10 organisierte Kongress, der dann ja (sic) zur Auflösung des CIAM geführt hat, gilt auch als Auftakt des ‘strukturalistischen Denkens‘ in der Architektur …“, wobei gerade das Wort ja verräterisch ist. Es suggeriert nämlich, dass es sich um eine gesicherte Meinung handelt. In beiden Fällen handelt es sich nicht um Aussagen von Eugen Gross, sondern der Beitragsverfasser. Und dann noch dies: „Dieter Ecker (Anm. Mitglied der Architekturgruppe Team A Graz) hatte nach einem Stipendium an der Hochschule in Delft die Publikationen der holländischen Strukturalisten nach Graz gebracht. Er war der Erste, der sich damit auseinandergesetzt hat, dann haben sich Diskussionsrunden gebildet, und schon die nächste Generation war beteiligt an der Verbreitung dieser Ideen.“ Eugen Gross im Wort.
Die ersten beiden Aussagen sind meiner Meinung nach nur richtig, wenn man einen Strukturbegriff zugrunde legt, der wenig mit dem zu tun hat, den wir Anfang der 60iger Jahre verwendeten, ja prägten, und wie er für die international tätige Grazer Gruppe mit Helmut Richter, Heidulf Gerngroß, Horst Hönig, Konrad Frey und mir maßgeblich war.

Der Reihe nach. Am Entwurf für das Projekt Innsbruck-Völs habe ich in Zusammenarbeit mit Hermann Pichler entscheidend gearbeitet. Ich bin mir nicht einmal sicher, dass wir das Wort Struktur im raumbildenden, raumordnenden Sinn verwendeten. Wenn ja, dann ist die Pyramide in Gizeh eine Struktur, da sie, wie Riehl vermerkte, den Raum der sie umgebenden Wüste ordnet. Sicher nicht wurde das Wort im Sinn von baulichem Ordnungssystem verwendet. Es bot auch in diesem Sinne keine Freiheiten, es sei denn raumbildend nicht destruktive Änderungen der Bogengeometrie, die aber am Ordnungssystem, wenn man ein solches sehen will, nichts geändert hätten. Freiheit gibt es in der anfänglichen Wahl einer Vielzahl von Wohnungstypen im Gefüge eines dieser Bögen: Einmal getroffen, bleibt das Gefüge wie konfiguriert. Eine Rekonfiguration ist nicht möglich, ohne das Gefüge oder wesentliche Teile davon zu zerstören. Städtebaulich ist Innsbruck-Völs keine Struktur im Sinne meiner Erörterung. Auch die Terrassenhaussiedlung ist es nicht.

Zum zeitlichen Aspekt: Dieter Ecker kehrte nach einem Wintersemester an der TH Delft im Sommersemester 1964 nach Graz zurück (1). Da war unter uns der Begriff Strukturen schon fest etabliert. Man vergesse nicht, dass ich schon ein Jahr später mit einem Inkunabel strukturalistischen Entwerfens, wie wir es verstanden, mein Studium abschloss: dem Projekt einer Stadtzelle (2), das maßvolle Freiheit von Nutzung und Ausbau in einem erweiterungsfähigen Tragsystem, das auch nachträglich bauliche und Nutzungsänderungen erlaubte. Mit holländischem Strukturalismus hat das wenig gemein. Mit ihm sind wohl Aldo van Eycks Städtisches Waisenhaus in Amsterdam oder Hermann Hertzberger gemeint. Das Waisenhaus  (3) wird tatsächlich häufig als strukturalistisches Beispiel gesehen, ist es aber in meinem Sinn etwa ebenso wenig, wie es die Hallen des Gebäudes für das Engineering Building der Leister University von James Stirling, 1959, sind (4). Die Wiederholung von Modulen gleicher oder verschiedener Art ergeben so wenig keine Struktur in meinem Verständnis wie Bienenwaben. Bei van Eyck ist die Wegführung durch das Gebäude von außen nicht nachvollziehbar, bei Stirling liegt die Beziehung unter den Modulen im Konstruktiven allein, auch hier ist eine Erschließung der Module nicht erkennbar.

Im Sommer 1962, besuchten Gerhart Fritz und ich die Salzburger Sommerakademie unter Roland Rainer. Wir arbeiteten an einem Projekt für eine Universität am Leopoldskroner Teich zu Füßen der Festung. Noch waren wir von unserem späteren Strukturverständnis entfernt, aber ein Jahr danach war es da. Es ist in unserem eigenen, 1964 abgeschlossenen Projekt für eine Universität an diesem Ort dokumentiert, und als Beitrag der von Ferdinand Schuster organisierten Ausstellung der Architekturstudenten bei den Kapfenberger Kulturtagen 1965 veröffentlicht (5).  Ecker hat den Strukturalismus nicht nach Graz gebracht: Dies zu behaupten ist faktisch falsch. Wenn überhaupt welchen, dann einen, der dem als gedankliches Konstrukt unterlegen war, das wir schon entwickelt hatten. Wir waren schon weiter.

Ich habe im Frühjahr 1964 an STYLUS, dem internationalen Symposium für Architekturstudenten an der TH Delft teil, bei dem Architekten wie van Eyck, Bakema und andere Vorträge hielten. Van Eyck zeigte das Waisenhaus und wir sprachen ausführlich miteinander. Er hielt auch einen großartigen Vortrag über die Dogon Afrikas (6), was zeigt, dass er eher am kompositorisch-modularem Aspekt von Strukturen interessiert war. (Er war als gebildeter Mann, sehr an Literatur interessiert und wir sprachen über den österreichischen Beitrag. Hermann Broch kannte er nicht. Daher sandte ich ihm ein Exemplar des Werkes Der Tod des Vergil, wobei mir Professor Bieber das Geld zum Kauf gab.)

Damit kein Missverständnis aufkommt: Es geht hier nicht um architektonische Qualität, es geht um den Strukturbegriff, seine Exponenten und zeitliche Abläufe. Ein Plastilin-Model einer Siedlung für das Ragnitztal in Graz hat nichts mit dem späteren und preisgekrönten Modell von Huth-Domenig zu tun. Da liegt ein architektonische Quantensprung von der skulpturalen Architektur von Förderer, Otto und Zwimpfer zu Arbeiten der Ausstellung Struktureller Städtebau, 1966, in der Neuen Galerie in Graz vor.

Nachträglich meine ich, die ersten (für mich maßgeblichen) Ansätze zu städtebaulich-architektonischen Strukturen seien im siegreichen Wettbewerbsprojekt für Toulouse Le Mirail von Candilis, Josic, Woods zu sehen, bei dem erstmals Wohnblöcke nicht wie Kühe auf der grünen Wiese umherstehen, sondern Wohnbauten miteinander durch ein Erschließungssystem vernetzt sind (7).
Den große Durchbruch aber sehe ich im (noch erfolglosen) Wettbewerb Frankfurt Römerberg, 1963 (8), und durch den siegreichen für die FU Berlin, 1964, durch dieselbe Architektengruppe unter Federführung von Shadrach Woods. Dessen Arbeit habe ich in den Beiträgen 175,176 des SonnTAG "On Shad" im GAT ausführlich gewürdigt.

Wir sahen uns bestätigt, das war es, was auch wir machten, ohne es noch publizieren zu können. Shads Strukturalismus unterschied sich stark von unserem Verständnis. Er war äußerst stringent und philosophisch gegen die architektonischen Kraftmaier aus Holland (wie Bakema) oder anderswo gerichtet, die das Entwerfen als individuell schöpferische und geheimnisumwitterte Tätigkeit sahen. Meine Vorstellung war anders, sie unterwarf nicht alle Gestaltung den gleichen ästhetischen und konstruktiven Kriterien. In einem letzten Projekt an der TH Graz, dem für die Uni Salzburg, verwendete ich den Grundriss des Auditorium maximum aus dem FU-Projekt Shads, versah aber den weit gespannten Baukörper, wie die Schnitte zeigen, mit Schalenkonstruktionen in Form von Zeltdächern. Woods hatte dagegen dieselbe Konstruktion wie für Bürotrakte gewählt und musste daher die Höhe der tragenden Balken der Stützen-Balkenkonstruktion wesentlich vergrößern, was dem Bauwerk die Form einer Schachtel gab.
Darüber habe ich mit Shad nach seinem Vortrag an der Harvard University im Frühjahr 1967 noch gesprochen. Er lehnte meine Version des Strukturalismus ab: Ich die seine nicht, ich sah und sehe sie eher als Variante der gleichen Architekturphilosophie des Ordnens architektonischen Raumes durch tektonische Strukturen, um Kurzlebiges, das Besondere, individuell Gestaltbare innerhalb länger lebender Ordnungssysteme zu ermöglichen. Ich sagte es ganz so wie Eugen Gross: So wenig wie möglich festlegen, um so viel wie möglich sich entfalten zu lassen.

(1) Auskunft von Christa Ecker, Dieter Eckers Frau
(2) Bernhard Hafner, Brückenrestaurant als Stadtzelle, Klausurarbeit zur 2. Staatsprüfung 1965
(3) Aldo van Eyck, Waisenhaus Amsterdam
(4) Stirling and Gowan, Engineering Building – Leicester University, Leicester, England
(5) Hafner, Fritz, Lenz, Projekt Universität Salzburg, 1962-64
(6) Aldo van Eyck, Architecture of Dogon, Architectural Forum 1961, September, 116-121
(7) http://agingmodernism.wordpress.com/lemirail/
(8) http://www.historiaenobres.net/ficha.php?idioma=en&id=309

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