18/11/2014

Privatissimum vom Grilj
Jeden 3. Dienstag im Monat

Zur Person

Mathias Grilj (* Kamnik, SLO) lebt als freier Journalist und Schriftsteller in Graz.

18/11/2014
©: Mathias Grilj

FÜR EUCH (und in eigener Sache)

Wer sich nicht verbeugen kann,
bleibt klein.
M.G.

Im Grazer Literaturhaus wird am 3. Dezember 2014 mein jüngstes Buch vorgestellt, das bei Leykam erscheint: "FÜR EUCH - Reden an Tote, Reden zur Kunst, Reden zu Festen." Es enthält auch eine Rede, die ich am 16. März 2009 zur Eröffnung einer Ausstellung der Architekten Werner und Gerald Wratschko geschrieben habe. Diese:

"Sie werden diese Ausstellung, wenn Sie sich darauf einlassen, klüger verlassen, als Sie hereingekommen sind – soweit dies denkbar ist. Ich begrüße Werner und Gerald Wratschko und ihr taffes Team und danke für die feine Sache mit dem programmatischen Titel: „Beweis der Entscheidungen – 33 Architekturprojekte“. 

Jetzt ein paar versuchte Definitionen: Architektur ist – darin ähnelt sie dem Fußball – eine Angelegenheit, wo sich jeder auskennt. Und eine Meinung hat. Schließlich wohnen wir alle in Architektur, leben und bewegen uns dazwischen. Auch, wer unter einer Brücke wohnt, hat eine pragmatische und präzise Vorstellung von der Sache: Gute Brückenarchitektur ist, wenn es im Uferbereich windgeschützte Stellen gibt.
Ich stelle mir auch vor, dass es in den komplexen Schnittstellen von Ökonomie und Politik, wie die auch beschaffen sein mögen, von pragmatisiert dumpfer Stadtplanung und erfahrungsgemäß noch dumpferer Bürokratie, von ästhetischen und praktischen Anforderungen sowie den wetterwendigen Wünschen der Auftraggeber nicht einfach sein dürfte, Architekt zu sein.
Zudem sagt George Sand bekanntlich: Ärzte können ihre Fehler begraben, aber ein Architekt kann seinen Kunden nur raten, Efeu zu pflanzen.
Die Künstler sagen dir: Naja, ein Künstler bist du eigentlich nicht.
Der Baumeister sagt: Naja, von Statik hast du nicht übertrieben viel Ahnung, so als Künstler.
Der Polier, auf ein Detail angesprochen, sagt: Sicher geht das! Um nach zwei Wochen zu sagen: Jeder hat gleich sehen können, dass sowas nicht geht.
Die Anrainer sagen: Aber so wie der Hundertwasser gebaut hat, das hat schon was Modernes, oder?
Und der Bauherr sagt: Ähm, das mit dem Honorar verzögert sich. 
Zuletzt sagen die Mitarbeiter im Büro: Sicher leben wir von der Liebe. Aber entschuldige, wir müssen auch Miete zahlen.
Zwischen all dem also ist man Architekt. Somit zum Grazer Architektenduo Werner und Gerald Wratschko. Es hat bislang Einfamilienhäuser ebenso gebaut wie Bürogebäude, eine Turnhalle ebenso wie einen Kindergarten oder ein Hallenbad. Und es wurde für seine Werke mehrfach ausgezeichnet. Zudem merke ich noch etwas an, von dem ich behaupte, dass es der Haltung der beiden entspricht: Es reicht nicht, der beste zu sein. Das ist relativ. Du musst wirklich gut sein, auch wenn du nicht zum Zug kommen solltest. Das bist du dir selber schuldig, das verantwortest du dem eignen Wissen und Gewissen.

Gegenteilige und abschreckende Beispiele haben wir in dieser Stadt nicht erst seit dem signifikanten Kunsthaus. Laut Jury sei dies die beste Lösung gewesen. Auch wenn sie die Vorgaben der Auftraggeber wie nichts ins Nichts gewischt hat. So geht Jury.  Ob die Lösung wirklich gut ist, werde ich unbeirrt weiterhin bezweifeln. Aber im Moment geht es nicht um Bluff und Schnickschnack, es geht um Architektur. Das ist ein Wert. Architektur okkupiert Land und Auge und Gefühl. Das ist ihre Pracht, das ist ihr Stolz, das ist ihre Verantwortung.

Wovon wir uns eindrucksvoll und schlicht überzeugen können, ist, wie gewissen- und wie ernsthaft, wie verantwortungsvoll und liebesbewusst die Brüder Wratschko ihre Pflicht wahrnehmen. Ihre Architektur ist souverän – und plustert sich nie auf. Sie ist originell und pfiffig und elegant – und ohne Eitelkeit und Manierismus. Sie ist stolz und selbstbewusst – und dabei im Dienste der Menschen, für die sie geschaffen ist. Die Qualität der Wratschkos ist augenscheinlich und nachvollziehbar: Sie vermögen es, Eigenständigkeit und Harmonie zu einer ebenso klaren wie in ihrer Schlichtheit verblüffenden Symbiose zu gestalten. Und – das klingt jetztzutag geradezu reaktionär – sie wollen, dass sich die Leute wohlfühlen. Die Kleinen im Kindergarten, die Angestellten in den Bürogebäuden, die Familien in ihrem Nest.

In dieser Schau wird nachvollziehbar, wie jene Gebilde entstanden, die dann von vieler Hände Arbeit gebaut und verwirklicht wurden, alles, wo man nachher wohnt und arbeitet und lebt. Und die Vorgangsweise der Brüder: Es geht ihnen nicht um den genialen Geistesblitz, sie wollen alle Möglichkeiten und Optionen ausloten, ausprobieren, auf ihre Tauglichkeit prüfen. Entwerfen besteht zum Gutteil aus Verwerfen. Angesichts der hier affichierten Blätter verstehen wir die Rechnung, die Thomas Mann im Hinblick auf das so genannte kreative Schaffen aufgestellt hat: 10 % Inspiration, 90 % Transpiration.

Bei diesen Arbeiten sieht man zudem, bitte achten Sie darauf und überprüfen Sie es kritisch: Erstens, dass es dem Architektenduo darum geht, dass ihr Werk unmittelbar ohne Erklärung emotional erkannt und nachvollzogen wird.
Und zweitens bietet die Schau auch so etwas wie einen Einblick in die Geschichte eines Architekturbüros. Während heute das meiste der Computer besorgt, es aus allen Perspektiven und Bewegungen zeigt, haben die beiden ihre Pläne und Blätter noch von Hand machen gelernt. Damals, als eines der wichtigsten Arbeitsgeräte die Rasierklinge war, mit der man Patzer abgebschabt hat. Diese Blätter haben Patina und Würde. Die Wratschkos gehen heute noch an alle ihre Werke mit der Hand heran, mit der Zeichnung, mit der Bleistiftmine von 6B. Ganz im Sinne eines Yona Friedmann, der gemeint hat: „Der Computer liefert die beste Entscheidung für den Computer, aber nicht die beste Entscheidung für wirkliche Menschen.“ Ich glaube, die bedenken mit Herz auch den Satz von Jean-Philippe Vasall: „Das wichtigste Werkzeug eines Architekten ist sein Kopf.“

Geht nun in allerjüngster Zeit landauf-landab die salbenvolle Rede vom kreativen Potenzial in diesem Lande... Da, bitte, steht es. Es will nur gebraucht werden. Also Schluss mit dem Gerede - und her mit den Aufträgen!

Was ich beim Vorbereiten dieser Schau auch lernen habe können, ist zwar keine wissenschaftliche Kategorie, aber eine menschliche: Architektur ist schön. Und ohne Schönheit geht die Welt den Bach hinunter.
Euch beiden nicht Efeu, sondern Lorbeer und Dank."

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