10/01/2014

Beim Schubhaftzentrum Vordernberg der Wiener Sue Architekten werden neue Wege im Umgang mit Migration beschritten.

Eröffnung:
15.01.2014

10/01/2014

Schubhaftzentrum Vordernberg: Wohngruppen, Gemeinschaftsbereiche, Höfe

Architektur: Sue Architekten©: Hertha Hurnaus

Schubhaftzentrum Vordernberg: Gemeinschaftsraum

©: Hertha Hurnaus

Den Menschen ihre Würde lassen
Engagierte Architekten entwickeln oft eine starke innere Bindung an die von ihnen geplanten Bauten. Weil sie stolz sind auf die realisierten Projekte – und weil sie mit der Funktion der Gebäude, die sie entworfen haben, im Zuge der Arbeit sehr vertraut geworden sind.

 Das Schubhaftzentrum Vordernberg, das vom Wiener Büro Sue Architekten entworfen wurde, fällt aus dem üblichen Rahmen. Hier ging es nicht um Stolz und Vertrautheit, sondern darum, aus schwierigen Situationen das Beste zu machen.
Das Schubhaftzentrum Vordernberg ist ein Gebäudekomplex für bis zu 200 Menschen, die in Schubhaft genommen wurden, weil sie ohne gültigen Aufenthaltstitel in der Europäischen Union leben. Zielsetzung der Architekten war es, diesen Menschen während ihrer Anwesenheit im Schubhaftzentrum eine Herberge zu geben, die ihnen Würde lässt und die nicht einmal ansatzweise etwas mit dem Begriff Strafe zu tun hat. Durch die gute Zusammenarbeit mit den Auftraggebern (Bundesministerium für Inneres, Bundesimmobiliengesellschaft) wurde es möglich, Wege zu gehen, die in Österreich für die Unterbringung in Polizei-Anhaltezentren und Gefängnissen völlig neu sind.

Sue Architekten ging es bei der Übernahme des Auftrags darum, die Situation der Unterbringung von Schubhäftlingen, wie sie sich momentan darstellt, dramatisch zu verbessern. Schubhäftlinge sind keine Strafhäftlinge. Sie haben nichts verbrochen – sie sind nur illegal im Land. Doch sie werden oft behandelt wie Straftäter, die in Polizeigefängnissen aus dem 18. und 19. Jahrhundert ihre Haft absitzen: Nur eine Stunde pro Tag Aufenthalt im Freien. Doch 23 Stunden in Zellen, aus denen man manchmal nur hinaussehen kann, wenn man aufs Bett steigt.

 Im Schubhaftzentrum Vordernberg ist nicht von Gefängniszellen, sondern von Schlafräumen die Rede. Es gibt Wohngruppen statt Haftbereiche, es gibt Gemeinschaftsbereiche anstelle eines Gesperres.

Sue Architekten hoffen, dass diese Haltung in der Praxis vor Ort auch gelebt wird.

 Das Schubhaftzentrum ist ein ca. 10.000 Quadratmeter umfassender Neubau, der in zwei Bereiche gegliedert wurde. Zur Straße hin findet sich der langgestreckte Verwaltungstrakt, der etwa ein Drittel der Grundfläche einnimmt. Von diesem abgewandt entwickelt sich der kammartig gegliederte Wohntrakt mit ca. 6.500 Quadratmetern. Die Höfe dieser Wohnbereiche öffnen sich zu Bach und Berg.
 Es gibt neun Wohngruppen für jeweils etwas mehr als 20 Personen. Zu den Wohngruppen gehören außer den Schlafräumen ein Wohnzimmer, eine Gemeinschaftsküche und zusätzliche Aufenthaltsräume, die den Insassen, wichtige private Rückzugsbereiche geben.
Eines der wichtigsten Merkmale des Schubhaftzentrums: auf die Vergitterung der Fenster wurde verzichtet. Stattdessen sind fix verglaste Fensterbänder eingebaut, deren zehn Zentimeter breite Lüftungsflügel es verhindern, dass jemand unbeobachtet aussteigen könnte. Für die Inneneinrichtung wurden hochwertige Materialien gewählt, die auch bei starker Nutzung gut altern können. Die Wandverkleidungen sind aus Seekiefer. Der Vinylteppichboden, die Vorhänge und die spezielle Bestuhlung werden die Wohngruppen hell und wohnlich machen.

Den Menschen ein Gesicht geben
Diese relativ offene Gestaltung des Gebäudes soll den Menschen im Schubhaftzentrum ein Gesicht geben. Im Unterschied zur herkömmlichen Gefängnistypologie gibt es Ausblicke und Einblicke. Die Bewohner von Vordernberg können sehen, was drinnen geschieht. Die Angehaltenen können sehen, was draußen los ist.
Auch das entspricht der Philosophie von Christian Ambos, Michael Anhammer und Harald Höller, den Partnern von Sue Architekten: „Wir meinen, dass Menschen anders miteinander umgehen, wenn Dinge nicht im Geheimen passieren. Wir haben uns entschlossen, dieses Projekt zu bearbeiten, da wir der Meinung sind, dass Orte wie diese, an denen die ungelösten Fragen unserer Gesellschaft verhandelt werden, von zentraler Bedeutung sind. In diesem Fall geht es um die Fragen, wie Europa mit Migration umgeht, wie Verteilung funktioniert und wer am Wohlstand teilhaben darf. Bei den harten Antworten, die die Europäische Union momentan gibt, erachten wir es für besonders wichtig, dass den betroffenen Personen in der Zeit, in denen der Staat für sie die Verantwortung übernimmt, ein Aufenthalt ermöglicht wird, der ihnen ihre Würde lässt. In der Wettbewerbsauslobung des Bundesministeriums für Inneres haben wir gestalterische Spielräume und Möglichkeiten gesehen. Wir sahen es als unsere Aufgabe, diese zu interpretieren und bestmöglich im Sinne der Angehaltenen zu nutzen."

wolfgang feyferlik

die lauterkeit und die positiven absichten der architekten sind und werden nicht in frage gestellt. trotzdem scheint es einen persönlichen darstellugnsbedarf zu geben warum man als architekt so eine arbeit macht. all das kann aber die fehlentscheidung so ein zentrum überhaupt zu bauen und noch dazu an so einen ort weder erklären noch rechtfertigen.
das ausgewählte grundstück ist der zynismus pur. die schön gedachte erklärung ich sehe was drinnen ist und ich sehe auch was draussen ist, passt nicht mit der erklärung zusammen dass es kein "gefängnis" ist. der dafür ausgewählte ort hat einen immens hohen leerstand an gebäuden - ein anderes gesicht wäre gewesen diesen leerstand zu nutzen, die hier beschriebenen einheiten auch in kleingruppen zu dislozieren, leerstand sanieren, den insassen das vertrauen entgegen zu bringen, dass sie nicht wie gefangene sofort flüchten und untertauchen würden sondern vielleicht durch ihre andere kultur dem ort eine bereicherung geben könnten etc. das alles hat per se auch mit architektur zu tun. es wäre eine chance gewesen dem begriff „illegal im land“ eine andere haltung zu geben. das geld das dafür aufgewendet wird anders einzusetzen. Das was hier passiert ist, ist geschäft mit menschen. 200 arbeitsplätze für den ort aber bitte nicht im ort sondern im engen unwirtlichen tal aber mit schönem bergblick den der illegale aber nicht erwandern darf.

Fr. 10/01/2014 3:57 Permalink
Edith Glanzer

Zur Diskussion um das Schubhaftzentrum Vordernberg
Ich melde mich als jemand zu Wort, der nicht aus der Architektur kommt, sondern aus der Menschenrechtsarbeit und über viele Jahre mit dem Thema Schubhaft als Geschäftsführerin bei ZEBRA beruflich befasst war. Sowohl der Bericht von SUE Architekten zum Schubhaftzentrum Vordernberg als auch der Kommentar von Wolfgang Feyverlik lassen meiner Meinung nach einen zentralen Punkt außer Acht: Schubhaft ist Gefängnis und ist unabdingbarer Teil einer Maschinerie, deren ursächlicher Sinn und Zweck es ist, zu überwachen, wer nach Österreich oder in die EU einwandern darf und wer nicht und dies – auch mit Gewalt – durchzusetzen. Und dieses System dient auch dazu, den völligen Wahnsinn, der unter dem Titel Dublin-Abkommen läuft und der nichts anderes bedeutet, als Flüchtlinge in jenes EU-Land (zumeist Italien oder Griechenland) das sie als erstes betreten haben, zurückzuschicken und dort ihrem Schicksal zu überlassen.
Liebe SUE Architekten: in der Schubhaft wird nichts, aber schon gar nichts verhandelt! Die Frage, wie die EU und Österreich nicht nur mit Migration sondern auch mit Flüchtlingen/Verfolgten/Folterüberlebenden umgeht, wird nicht in der Schubhaft entschieden, sie ist immanenter Teil des Abwehrsystems. Es ist aber genauso euphemistisch und die Realität verschleiernd, wenn hier von der Nutzung von Leerstand in Vordernberg, von Insassen, die den Ort mit ihrer Kultur bereichern könnten, geschrieben wird. Für fast alle Menschen bedeutet Abschiebung ein traumatisches Ereignis, unter Umständen ist sie der Beginn einer neuerlichen Verfolgung im Heimatland oder ein Leben auf der Straße in Athen oder Rom. Da geht es nicht um Vertrauen entgegenbringen, um nette Treffen mit der Vordernberger Bevölkerung! Für jede/n der von Schubhaft bedroht ist, wäre es nur logisch, sich dieser und damit all den Folgen einer Abschiebung zu entziehen, wenn dies möglich wäre und schleunigst das Weite zu suchen.
Wir sprechen von Schubhaft (auch wenn diese seit einiger Zeit als Anhaltezentrum bezeichnet wird) – wir sprechen von Gefängnis! Nichts anderes ist es und das sollte auch so benannt werden. Und eigentlich geht es um eine viel grundlegendere Frage: Dürfen ArchitektInnen den Bau eines Schubhaftzentrums planen, noch dazu ein Schubhaftzentrum, das von einer privaten Security-Firma betrieben werden wird? Machen sie sich dadurch nicht zu KomplizInnen eines Systems?
Das Schubhaftzentrum Vordernberg wird den Schubhäftlingen wesentlich verbesserte Haftbedingungen bieten, als sie sie in den alten Polizeigefangenhäuser haben, ohne Zweifel. Und das ist keine Kleinigkeit, wenn man das PGh in der Paulustorgasse kennt und gesehen hat, wie auch die Haftbedingungen dazu führten, dass Menschen dort in Hungerstreik traten, Suizidversuche unternahmen, völlig verzweifelten. Trotzdem bleibt die Frage, ob und unter welchen Bedingungen sich Architekten am Bau von Einrichtungen beteiligen, in denen die dort Festgehaltenen - zumindest latent - von Menschenrechtsverletzungen bedroht sind. Dieser Diskussion sollten sich ArchitektInnen – und nicht nur sie sondern auch andere Berufsgruppen, wie z.B. ÄrztInnen, SozialarbeiterInnen usw. - stellen.
Edith Glanzer

Di. 14/01/2014 1:45 Permalink

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