15/02/2004
15/02/2004

Hotel Anton/Arlbg., Foto: P. Ott

Hotel Anton/Arlbg., Foto: P. Ott

"Kargisch und Dekoro" - von Benedikt LodererWie funktioniert die Auseinandersetzung zwischen den Architekten und den Hoteliers? Wie bitte? Auseinandersetzung? Da müsste man miteinander reden können, dazu bräuchte es eine beiden verständliche Sprache. Doch sie reden aneinander vorbei, denn die Hoteliers reden Dekoro und die Architekten Kargisch.
Dekoro ist die Sprache der Verkäufer und die wollen Umsatz machen. Sie versuchen daher dem Gast nach dem Mund zu reden. Die Grammatik des Dekoro hat nur eine Regel: Der Gast will es so. Der Gast will Lederhosenarchitektur, will trostlose Fröhlichkeit, will Opulenz, Schmuck und Abwechslung. Falsche Antiquitäten will der Gast und optischen Rummel. „Und verstehen Sie mich recht,“ sagt der Hotelier, „der schlechte Geschmack meiner Gäste ist meine Richtschnur. Sie reden durch mich hindurch Dekoro, darum verstehen sie mich alle.“
Dekoreo ist eine Dienersprache.
Kargisch dagegen ist die Sprache der Ichstarken. Die wissen es besser. Kargisch verstehen nur die Kargen und das langt ihnen auch, denn sie wollen unter sich bleiben. Kargisch ist die Sprache der Auserwählten, ein Verschwörerdialekt. Das Bildungsgesetz des Kargischen lautet: So einfach wie möglich, egal, was es kostet. Daraus entstehen Härte, Schärfe, Genauigkeit. Nie gestattet das Kargische irgendwelche Gefühlsschlamperei. Kargisch kommt aus kühlem Kopf und brennendem Herzen und ist eine der anspruchsvollsten Sprachen überhaupt. Sie ist mühsam zu erlernen, doch wer sie kann, gehört dazu. Kargisch ist eine Herrensprache.
Dekoro wird überall verstanden, das Kargische hingegen ist nur in Nischen zu finden. Als Faustregel gilt: Wo der Tourismus herrscht, wird überall Dekoro gesprochen, also über der Schneegrenze, am Meeresstrand und in der Umgebung von Baudenkmälern. Kargisch hingegen wird nur in geschlossenen Zirkeln geredet, wo Dekoro als unfein gilt.
Wenn die Hoteliers mit den Architekten der strengen Observanz sprechen, scheitern sie am Sprachproblem. Doch da gibt es Abhilfe. Der Hotelier sucht sich einen Baufachmann, der perfekt Dekoro spricht und es auch anzuwenden weiß. Architektur braucht es dazu nicht, die ist ohnehin zu anstrengend und kein Gast zahlt etwas dafür. Dass sie kein Kargisch können, wurmt die Hoteliers in stillen Stunden dennoch. Kargisch nämlich hat mehr Prestige als Dekoro. Kargisch allein ist wirklich exklusiv, es schließt aus. Kargisch spricht der Geistesadel und das kulturelle Kapital. Im Abwehrreflex überschreien die Hoteliers jeden Ton Kargisch, den sie hören. Das sieht man ihren Häusern an: Dekorierte Schuppen.
Die Architekten führen unterdessen auf Kargisch Klagen, dass die Schönheit der Landschaft mit Dekoro verwüstet wird, doch einzig ihresgleichen hört zu und versteht das Lamento. Unbeeindruckt führen die Hoteliers ihr Dekoro weiter, denn längst haben sie herausgefunden, dass es auch ohne Kargisch geht. Der Gast will es so.

Verfasser/in:
Benedikt Loderer
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