29/02/2004
29/02/2004

"Tourismusland und Skination: Ein Wintermärchen?" - von Bernhard Tschofen

Mit dem Tourismus hielt die Moderne Einzug in den Alpen, und mit dem Skilauf haben ihre Täler und Dörfer Anschluß an die Kulturindustrie gefunden: Österreichs Nationsbildungsprozess ist ein Alpenmärchen, aus Bildern komponiert, die mit dem modernen Wintertourismus erst so richtig in Fahrt kamen.
Nach 1918 und dem Ende imperialer Identitätspolitik sah sich das Land auf Kultur und Landschaft zurückgeworfen. Was für die touristische Repräsentation gut war und der Außenwahrnehmung durch die europäischen Nachbarn entsprach, erwies sich bald als nützlich für das Selbstbild. Alpine Natürlichkeit wurde zum Exportschlager, ihr Konsum zur Grundlage einer der erfolgreichsten Freizeitindustrien des 20. Jahrhunderts – und was sich äußerlich zivilisationsskeptisch gab, brachte in Wirklichkeit eine Modernisierungsmaschinerie ins Rollen. Ein Beispiel: Die Seilbahnbauten der Zwischen- und Nachkriegszeit bedienten Natursehnsüchte und verkörperten gleichzeitig den symbolischen Aufstieg der Republik.
In keinem anderen europäischen Land ist der Tourismus zu einer derart wirkmächtigen Identitätsressource geworden. Trifft er sich mit dem Sport, geht es ans Allerheiligste: Denn hier ist die Weltordnung noch eine nationale, die Chauvinismen in der Sprache der (Co-)Kommentatoren und die Nationalfarben auf den Wangen lassen darüber keine Zweifel. Schicksalhaft ist Österreichs Selbstverständnis mit dem Aufstieg des Skilaufs und den Erfolgen seiner hiesigen Ikonen verbunden. Sein (nicht immer nur) sanfter Nationalismus wirkte und wirkt, weil im Alpentourismus Natur und Ökonomie zur vorgeblich unschuldigen „Konsumheimat“ verschmelzen.
Das zeigen am besten die wiederkehrenden Ereignisse des sogenannten Skiwinters: Sie können – wie etwa das jährliche „Kitzbühel“ (mit den Hahnenkammrennen) – als Beobachtungsfeld für die Rolle fungieren, die dem Skilauf bei der Verständigung über das „Österreichische“ zukommt. So trat ja auch während der Ski-WM 2001 am Arlberg pünktlich zur besten Sendezeit im ORF-Fernsehen ein Kauz in uriger Trachtenmode auf und moderierte – in einer alpinen Gaudilandschaft sich bewegend – den nationalen Wetterbericht. Während der Dauer der Bewerbe gab es in Österreich im Grunde kein anderes Wetter als das „WM-Wetter“, das ein zugleich knorriges und wintertouristisch zugerichtetes Land ins Bild setzte und so mit einer spezifischen Benützeroberfläche überzog.
In die unkomplizierten Bilder, die Schwarzblau gerne über Österreich verbreitet sähe, fügt sich das wunderbar. Auch „einfache Parteimitglieder“ feiern schließlich ihre runden Geburtstage dort, wo Heimat und spätmoderne Eventkultur koalieren: auf der wintertouristisch zugerichteten Alm.

Bernhard Tschofen
Dr. Ao. Univ.-Prof.
Kulturwissenschafter und Kunsthistoriker, lehrt und forscht als Ao. Univ.Prof. am Institut für Europäische Ethnologie an der Universität Wien. Mitarbeit an Museen und kulturwissenschaftlichen Ausstellungen, zahlreiche Veröffentlichungen zur Stadt- und Bergforschung, Symbol- und Wahrnehmungsgeschichte, Biographieforschung, Ethnizität und Museologie; u.a.: Berg Kultur Moderne. Volkskundliches aus den Alpen. Wien 1999.

Institut für Europäische Ethnologie der Universität Wien
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Verfasser/in:
Bernhard Tschofen
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