06/12/2009
06/12/2009

Alle Fotos: Hans Fraeulin

HANS FRAEULIN
Habernik im Dezember

Es war wie immer in Graz um die kalte Jahreszeit zu warm. Die Kulturpolitik feierte sich selber und schickte ihre Musikanten in den Feierabendverkehr. Radfahrer und Rettungsfahrzeuge dominierten das Straßenbild. Mein Habernik-Projekt bekam gerade die längst versprochene Finanzspritze für die Ausrüstung, mit der ich seit Wochen herumspielte. Statt wie sonst vor der Oper herumzulungern, fuhr ich am nächsten Tag nach Berlin, um dort ein Bündnis Recht auf Spiel zu gründen. Der Eurocity "Joze Plecnik" war wie immer pünktlich. Jetzt ist der Zug zwischen Laibach und Prag Legende für alle, denen er ohnehin nichts bedeutete. Da mir die stolzen Österreichischen Bundesbahnen nicht verraten wollten, wie ich von Prag nach Berlin weiterkomme, machte ich in Linz Station, das sich als Schwulenhochburg bereits profilieren konnte und sich anschickte Europas Kulturhauptstadt zu werden. Mit seinem "Akustischen Manifest" ließ es erstmals aufhorchen. Aber das nur nebenbei.
Nachdem mich so bedeutende Organisationen wie der Deutsche Sportbund und das Deutsche Kinderhilfswerk, das als Erfinderin der Spendendose Millionen verwaltet, als Bündnispartner akzeptiert hatten, suchte ich wie immer meine Stammkneipe, das Terzo Mondo am Savignyplatz auf, dessen Wirt es in meiner Abwesenheit auch in der bunten Fernsehwelt zu Ansehen gebracht hatte. Spätnachts griff Kostas noch zur Gitarre und ersparte mir damit die Suche nach einer Bleibe. Um halb sieben schloss er hinter mir und besoffenen albanischen Pizzabäckern die Kneipe. Ich nahm den nächstbesten Zug, um im Ohrensessel aus trüben Fenstern zu schauen und zu schlafen.
Rostock war nach Graz, Linz und Berlin der vierte Weihnachtsmarkt. Der von Bremen, wo ich das Universum besichtigen wollte, sollte noch folgen. Dort gab es eine Überraschung: Jahrmarkttheater mit einer vom Aussterben bedrohten Tierwelt. Auch in Bremen ist es schön, ein Stadtmusikant zu sein. Bei Gagen um den Gefrierpunkt. Und das sollen die Kinder glauben? Lächerlich.
Um ein Wochenendticket zu lösen, braucht es in Deutschland zwei Automaten. Dennoch schaffte ich es, im regionalen Bahnnetz über Wolfsburg, wo ich Zaha Hadids Phänobau gerade noch von außen ablichten konnte, bis nach Göttingen. Das Fernverkehrsnetz war bereits gegen Mittag zusammengebrochen. Der Nachtzug nach Wien war pünktlich.
In Graz hatte die Kronen Zeitung die Macht übernommen und ich fragte die Leute besorgt, was sich für sie seither geändert hatte, beruhigte mich aber wieder, als ich feststellte, dass alle eigene Uhren besaßen. Nur ich als notorischer Tourist schaue zum Uhrturm hinauf, um zu erfahren, ob das Uhrwerk noch geht oder endlich kaputt ist. Einst durfte ich da oben ein Wunder der Natur erblicken: der beschneite Schatten. Seither freue ich mich wie ein Kind, wenn ich zum Uhrturm hinaufschauen darf. Der Zorn über die Kronen Zeitung hält an. Für einen Fackelzug zum Schlossberg ließen sich die sonst eilfertigen Grazer Grünen, die sich jederzeit und stundenlang für Nebensächliches das Maul zerreißen, nicht erwärmen. Das katholische Tagblatt ist leider keine Alternative zur Kronen Zeitung, im Gegenteil rückfällig geworden, als es wegen einer lausigen WM wieder einmal zum Sportblatt mutierte.
Lang konnte ich in Graz nicht bleiben. Denn es trieb mich in eine Gegend, wo sich Genie und Wahnsinn "Gute Nacht" sagen. Dort spüre ich seit Jahren nach, was sich im Finstern hinter Brauchtum, Masken, und einer Geheimsprache versteckt hält. Besonders hellhörig werde ich, wenn mir der pensionierte Gemeindesekretär am Stammtisch, wo ich inzwischen gelitten bin, zuraunt: „Jou, in der Faschingszeit, da haumer Sochn gmocht...“ Bevor ich nachfragen kann, hat er sich schon französisch verabschiedet und wird wochenlang nicht mehr gesehen.
Mit meiner neuen Kamera kann ich auch im Dunkeln filmen. Sie hat alles, was die alten Panzergranatwerfer der Branche auch können, passt aber unauffällig in meine Faust. Die Detektivarbeit förderte einiges zu Tage, alte Vorurteile und mehr. Ein Brauseritter zu Pferde darf nicht in die gute Stube, in der lustig und regelmäßig in die Hände geklatscht wird, um den Tee nicht trinken zu müssen. Kaum hat einem die Habergoaß das Wintergemüse vom karg behaarten Schädel gezupft, fummelt der Schmied zwischen deinen Beinen, um das Schuhwerk an den Dielen festzunageln.
Wer als Bauer früher kein Gesinde bekam, weil er geizte oder die Leute schlug, dem blieben die Garben auf dem Felde stehen. Nachts wurden sie lebendig, sammelten sich zu Nikolo auf den Wegen und trieben als Schab die Sünder mit Haselruten durchs Dorf. Das Tun und Treiben der Krampusse aus dem Wald kennt kein Strafgesetzbuch und auch nicht das ABGB. Um sich mit ihnen gut zu stellen, wird ihnen mit geistigen Getränken Intelligenz eingeflößt, wohl auch, um sie anzustacheln, ja nicht die Falschen zu verprügeln. Die örtlichen Autoritäten behelfen sich mit Ermahnungen, nicht zuviel Schnaps zu trinken und mit der Rute nicht auf die Wangen tapferer Jungfrauen zu schlagen.
Eigentlicher Mutmacher ist die Maske, hinter der man sich für seine Taten nicht verantworten muss. Dann war es die Cobra, das SEK oder ein anderer Krampus. Wer mit einer Krampuslarve ein Vierteljahr später auf einem Faschingsball für Stimmung sorgen will, wird es daher nicht leicht haben. Rache bringt ihn ans Kreuz. So erging es dem Herrn Ingenieur Leo Habernik aus Linz. Und so wird es allen gehen, die sich damit beschäftigen. Wolfgang Bauer, der Autor einer Groteske über einen einschlägigen Kriminalfall, ist bereits eines unnatürlichen Todes gestorben – auf dem Operationstisch, umgeben von Burschenschaftlern und alten Herren mit Messern in der Hand, die später angaben, der Alkohol hätte ihnen ins Handwerk gepfuscht und sei ihnen zuvorgekommen.
Wen trifft es als nächstes? Das Habernik-Projekt bringt die Wahrheit ans Licht. Namhafte Spenden werden gerne entgegengenommen.

BIOGRAFISCHE NOTIZ:
Hans Fraeulin ist Diplom-Volkswirt mit Studienpraxis in der Stadt- und Regionalplanung, Journalist. Regiestudium, Theaterleiter, Inszenierungen eigener Stücke, fünf Jahre Kinderbeauftragter der Stadt Graz, lehrte zuletzt an einem Zentrum für Sozialberufe Theater und Medien.

KONTAKT:
Hans Fraeulin
Stiftingtalstr. 120
A-8010 Graz
T 0316-356123
hans.fraeulin@pickuptheater.com

Verfasser/in:
Hans Fraeulin
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