26/01/2023

ÖGFA Jahresprogramm 2023:
Stop Building Now! 
Alles wird Umbau

1. Trimester
ABBREMSEN
Umbau als Haltung, Strategie und Praxis

2. Trimester
STOPPEN
Praktiken des Nichtstuns

3. Trimester
UMDREHEN
Umbau der Institutionen und der Planungskultur

26/01/2023

Bauteilbörse Basel

©: Maik Novotny

Angesichts der zahlreichen sich überlagernden Krisen kann man schon etwas die Übersicht verlieren und vergessen, dass im Jahr 2023 eine vergangene Krise ihr 50-jähriges Jubiläum feiert: Die Ölkrise von 1973, gemeinsam mit dem kurz zuvor erschienen Bericht „Limits of Growth“ die erste große Erschütterung des Wirtschaftswachstums-Selbstverständnisses der Nachkriegszeit.

Auch die ÖGFA hatte schon damals den Bauwirtschaftsfunktionalismus als gefährliche Synthese des Zukunftsversprechens der Moderne und der Ideologie ewigen Wachstums, der sich nur mit erheblichen Zerstörungen ermöglichen lässt, kritisiert. All dies wird heute, da die Bauwirtschaft für rund 40 Prozent des CO2-Ausstoßes weltweit verantwortlich ist und sich die Zerstörungen zur Zivilisationskatastrophe kumulieren, noch dringlicher. Im September 2022 richteten deutsche Architekt*innen in einem offenen Brief an Bundesbauministerin Klara Geywitz die Forderung nach einem Abrissmoratorium, wie es unter anderem auch die Architekturtheoretikerin Charlotte Malterre-Barthes postuliert.

Mehr als genügend Gründe also für uns, mit dem ÖGFA-Jahresprogramm 2023 genau hier anzusetzen. Der Titel: 

Stop Building Now! – Alles wird Umbau

Denn die ÖGFA sieht hier dringenden Handlungs- und Redebedarf. Es ist unmöglich, den Beitrag, den Architektur, Planung und Design an der Zerstörung der Umwelt tragen, länger kleinzureden. Wir bauen zu viel, falsch und mit den falschen Mitteln, energetisch verschwenderisch, versiegeln Oberflächen für eine falsche Verkehrspolitik und tragen mit all dem obendrein auch noch zur sozialen Ungleichheit bei.

Die Verantwortung dafür können die Architekturschaffenden nicht abgeben. Wo Moderne auf eine angebliche „Verhältnismäßigkeit von Mittel und Zweck“ reduziert wird und der Glaube an scheinbar neue „technische Lösungen“ ungebrochen ist, wird Architektur ihren eigenen Grundsätzen nicht gerecht – weil sie sie nicht in Frage stellt.

Das wissen wir nicht erst seit gestern.

Die Empfehlung, die heute immer öfter vorgebracht wird, ist einfach: aufhören zu bauen. Nur: was bedeutet das für eine Disziplin, die in der Errichtung von Gebäuden ihre Aufgabe, im immer Neuen ihr Projekt fand? Die Herausforderung ist nicht weniger als die Architektur neu zu erfinden.

„Ein Umbau ist interessanter als ein Neubau, weil im Grunde alles Umbau ist“ schrieb Hermann Czech vor genau 50 Jahren. Czech erkennt im Umbau das eigentliche Programm der Architektur, die stets ein Beziehungsfeld vorfindet und lediglich etwas hinzufügen kann. Gegen das Reinheitsdenken der Moderne ist Bauen in dieser Hinsicht immer ein Weiterbauen, das der Mehrdeutigkeit, dem Mehrfachsinn, dem Widerspruch Platz einräumt. 

Für die ÖGFA nicht ganz unwichtig – man benannte die hauseigene Postille danach – war Umbauen stets auch einem Anspruch geschuldet, Dinge weiterdenken zu wollen und dabei nach vorne und zurück zugleich zu blicken, ohne dabei eine naive oder reaktionäre Position zu vertreten. Heute heißt die Forderung umzubauen auch, die Frage der Um- und Neuverteilung neu zu stellen, den Einsatz von Mitteln und Ressourcen neu zu überdenken.

Das ÖGFA-Programm 2023

Unser Jahresprogramm 2023 wird sich der Dringlichkeit des Richtungswechsels in einer per se langsamen Disziplin in drei Kapiteln widmen. Im 1. Trimester diskutieren wir unter dem Motto ABBREMSEN den Umbau als Haltung, Strategie und Praxis. Wir blicken zunächst zurück auf den Diskurs zu Klima und Ökologie in den 1970er-Jahren und laden Protagonist*innen jener Zeit zum Dialog mit ökologischen Architekturpositionen der heutigen Generation. Wir entdecken zusammen mit Jochen Becker und Jesko Fezer Lucien Krolls ökologischen Werkzeugkasten neu. Wir learnen from Switzerland und stellen die Bauteiljäger des Basler Büros zirkular und die Schweizer Initiative Countdown2030 vor, die die Dringlichkeit des Handelns für die Architektur formuliert. Wir blicken mit Barnabas Calder auf die Architekturgeschichte aus der Perspektive von „Form follows fuel“. Wir besuchen das vom Abriss bedrohte Bezirkszentrum Kagran und seine soziale und bauliche Substanz, und feiern anlässlich seines ersten Todestags den singulären Architekturdenker Christopher Alexander.

Das 2. Trimester wird sich ab April unter dem Motto STOPPEN möglichen neuen Praktiken des Nichtstuns widmen, und im Herbst werden wir im Kapitel UMDREHEN den Blick auf die Architekturdisziplin selbst wagen und den möglichen Umbau der Institutionen und der Planungskultur in den Fokus stellen.

Neues Format: Wiener Alltag

Das ist noch nicht alles, denn Anfang 2023 startet die ÖGFA zusätzlich zu bewährten Formaten wie den Bau- und Stadtdiskursvisiten und dem Easy Reader ein neues Diskussionsformat unter dem Titel „Wiener Alltag“. Dieses nimmt sich die Architekturproduktion der Gegenwart abseits von singulären Best-Practice-Beispiel vor. Hier werden Phänomene untersucht, die an mehreren Orten der Stadt gleichzeitig auftreten. Welche Architekturen sind das, und welche Personen, Ideen, Begehrlichkeiten oder Paragrafen stehen dahinter? „Wiener Alltag“ ist ein offenes Format, zu dem jede*r eigene Recherchen beitragen kann, die dann gemeinsam diskutiert werden. Die erste Ausgabe widmet sich den Wohnbauten der 2010er und 2020er Jahre, die exakt an die Hochhausgrenze der Wiener Bauordnung (35 Meter) stoßen. Eine Flut von zehn- bis elfgeschossigen Bauten, scheinbar wahllos hier und da in der Stadt aufschäumend. Folgt die Form hier nur dem Paragrafen? Werden die 35 Meter zur neuen Wiener StandardTraufhöhe? Welche Dichten werden hier produziert, welche Stadtbilder und Stadträume?

„Wiener Alltag“ wird voraussichtlich dreimal im Jahr stattfinden, eine laufende Dokumentation ist geplant.

Fotos, Thesen und Debattenbeiträge zum Veranstaltungsthema sowie Vorschläge für weitere diskussionswürdige Wien-Themen können Sie jederzeit unter wieneralltag@oegfa.at einreichen.

Kuratierung: Claudia Cavallar, Elise Feiersinger, Ulrich Huhs, Christina Linortner, Gabriele Kaiser, Michael Klein, Maik Novotny, Gabriele Ruff, Manfred Russo, Felix Siegrist, Andreas Vass

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