06/12/2014

Hommage an W. W. Anger

In drei unmittelbar aufeinander folgenden Ausstellungen zeigt die Kunsthalle Graz, Conrad von Hötzendorfstraße 42a
W. W. Angers subSysteme

Eröffnungen
_ 19. Nov. 2014
_ 04. Dez. 2014
_ 17. Dez. 2014

06/12/2014

Hommage an W. W. Anger in der Kunsthalle Graz

©: Wenzel Mraček

Stadt/Land (Keiner weiß mehr), 1994/1995

©: Wenzel Mraček

Import – Export– Freizeit, 1998

©: Wenzel Mraček

Ausstellungsansicht, rechts vorne: Still/Leben, 1994

©: Wenzel Mraček

Nach den expressiven Bildern von Josef Wurm präsentieren Wenzel Mraček, Arnold Reinisch und Jani W. Schwob in ihrer "neuen" Kunsthalle Graz mit der Hommage an W. W. Anger einen dandyhaft ironischen, dabei überaus sinnlichen Analytiker.

Man muss nicht besonders scharfsinnig sein, um aus dem Titel subSysteme, der das 2005 erschienene Werkbuch des Künstlers zitiert, die Nähe W. W. Angers zu Niklas Luhmanns Systemtheorie herauszulesen. Ähnlich wie Wolfgang Buchner mit Foucault hat sich der jüngere W. W. Anger vor allem in seiner Auseinandersetzung mit Luhmanns "Die Gesellschaft der Gesellschaft" um (s)einen Freiraum außerhalb des "Systems der Kunst“ bemüht.

Er unterwarf sich weder dem Ideal einer "zu sich selbst befreiten Kunst“, noch ihrer Selbstverpflichtung zu einer gesamtgesellschaftlichen Utopie, sondern bemühte sich um Unterscheidung zu diesen klassischen Positionen der Moderne. Aus dieser Differenz ergab sich dann für W. W. eine "Kunst der Gesellschaft in der Gesellschaft“. Mit diesem Ansatz des "weder – noch“ wurde für W. W. Anger nicht nur der hiesige Kunstbetrieb etwas eng.

Für ihn bedeutete das eine Entheroisierung der Künstlerperson und für sein Œvre eine formale Diversifizierung, die bei aller Unverwechselbarkeit nicht auf eine "Handschrift“ abzielte. Die Fotografien, Tafelbilder, Objekte und Texte des Künstlers W. W. Anger entspringen keiner (triebhaften) Kreativität, sondern sind Hybride, Ergebnisse einer gegenseitigen Durchdringung von Lektüre und Material. Verstörend und faszinierend an Angers Objekten ist dabei der Verzicht auf ästhetische Selbstgenügsamkeit. Nicht der visuelle Aha-Effekt der jeweiligen Arbeit zählt, sondern die Anschlussfähigkeit seiner Arbeiten untereinander, wobei der Künstler das "System Kunst“ insgesamt sehr in Frage stellt.

Beispielsweise lässt sich ein Granitblock, von dem ein Schlauch in einen Metallzylinder führt, – Kommunizierende Gefäße (Der Traum vom Bewußtsein) – weiter denken zu den Köpfen in miteinander verbundenen Plexiglaskugeln (subsysteme/Zellteilung). Es ist die Gedanken-Lust des Künstlers, in der seine Arbeiten wie in einem Medium wirken. Ein von W. W. Anger beigebrachtes Zitat von Laotse (?) dient als generelle Erklärung: „Das eigentlich Wirkliche eines Raumes sind nicht die Wände, es ist vielmehr die Leere, die sie umschließen“. W. W. Angers Arbeiten, die sich kaum als Wanddekoration eignen, sind selbst für Sammler sperrig – mit ein Grund für eine relative Unbekanntheit bei einer schon zu Lebzeiten stark geahnten Bedeutung.

Der Sohn eines Tischlers, der an der Ortweinschule bei Pillhofer Bildhauerei und anschließend Bühnenbild studierte, verfügte über eine gleichsam ererbte, handwerkliche Lust. Es ist ein bitterer Hohn, dass der Siebenundvierzigjährige, der es liebte, langsam zu arbeiten – ganz so, als ob noch viel Zeit vor ihm läge –, 2004 völlig überraschend an einem Kopfaneurysma starb.

Häufig von architektonischen Konstruktionen ausgehend, behandelt W. W. Anger das Bedürfnis nach Unterscheidung bzw. die unentrinnbare Uniformität und beschwört damit pathoslos Einsamkeit.

Die "architektonisch“ vielleicht interessanteste Arbeit besteht aus einer Reihe Glaskästchen mit Hausmodellen in unterschiedlicher Größe auf einer leicht verdrehten Achse, als sollte so der Blick aus einem gerade anfliegenden Helikopter simuliert werden. Der Titel Stadt/Land (Keiner weiß mehr) wird durch aufgeklebte Sinn-Worte wie "grenzenlos“ "gemeinnützig“, "erdgeschichtlich“, "normal“ usw. zugleich verdeutlicht und rätselhafter.

Wirklichkeits(de)konstruktion durch Manipulation der Blickachsen demonstriert auch die nicht gezeigte Arbeit Landeanflug, die aus Reihen gleicher Papierhäuser besteht, die kopfüber, mit den Dächern nach unten, auf einer Zimmerdecke montiert sind.

Import – Export – Freizeit besteht aus kleinen Kartonautos, die im Karree aufgestellt sind und einschlägige Namen wie Mercedes, Opel oder Ford tragen, sowie einer Reihe von Tafelbildern, die gleich Werbesujets "Freiheit“ mittels Autokauf anpreisen.

Eine andere Arbeit besteht aus Fotos, die den Künstler bei banalen Tätigkeiten wie Rasieren, Trinken, Rasenmähen zeigen. Wieder in einer ironischen Umkehrung der Perspektive trägt sie den Titel Sponsored by … (Coca Cola, Gillette, Sun und wie die einschlägigen Marken eben heißen).

Indem W. W. Anger in Still/Leben, einem großen "Lebensrad“ aus Holzflächen mit organischen Umrissen, Zeitungsausschnitte affichiert, projiziert er Todesdrohung und Glücksversprechen auf das gegenwärtig herrschende Wirtschaftssystem.

Anger, weder dem Ideal einer "zu sich selbst befreiten modernen Kunst“, noch ihrer Selbstverpflichtung zu einer gesamtgesellschaftlichen Utopie verhaftet, bemühte sich um Differenz, indem er gerade aus der behaupteten Autonomie der Kunst ihre gesellschaftliche Verfasstheit heraus präparierte.

Im Herbst habe ich auf einem Symposion zu Konrad Bayer das erste Mal "Laufumgebung" gehört. Das Wort bezog sich auf ein künstlerisch relevantes Umfeld, das essentieller für die Mitglieder war, als der eher zufällige Name Wiener Gruppe. Vor W. W. Angers subSystemen in der Kunsthalle Graz fragt man sich, welchen Impakt seine Arbeiten in einer besser belichteten als seiner steirischen Laufumgebung wohl gehabt hätten. Dass Willi Wagner seinen Künstlernamen W.(illi) W(agner) Anger nach seinem Heimatort Anger bei Weiz gewählt hat, zeigt seine Spannung zwischen Verwurzelung und Verlorenheit.

Während es W. W. Angers Arbeiten bei ihren frühen Präsentationen durch ihre beiläufige Untertreibung schwer hatten, beeindrucken sie nun durch ihre geheimnisvolle Kühle, durch ihre beiläufige Eleganz und ihren ironischen (Sprach)witz. Die Kuratoren der Kunsthalle Graz haben das Kunststück zuwege gebracht, aus Angers autopoetischem Kosmos eine sparsame und dabei informative Auswahl zu treffen. Die drei unmittelbar aufeinander folgenden Ausstellungen von W. W. Angers subSystemen (Eröffnungen am 19. 11., 4. 12. und 17. 12.) zeigen eine kleine Auswahl von W. W. Angers auf eine gesellschaftliche Zukunft verweisenden Gegenwartsbefunde. Aber der Wahrheitsgehalt seiner Prognosen kann nur mit einer Gesamtschau überprüft werden.

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