Der Himmel über Athen, die Irische See bei 53° 28´ West, 5° 18´ Nord
Auf großformatigen Fotografien ist nächtlicher Sternenhimmel zu sehen, leicht variiert in Stufen von Helligkeit, bedingt durch die nächtliche Beleuchtung am Aufnahmeort. Im Herbst 2012 bereiste Sven Johne das griechische Festland und die Inseln, wie zu anderen Projekten auch hier ganz im Stil eines Reisejournalisten. Der daraus hervorgegangene Griechenland-Zyklus (2013) handelt allerdings keineswegs – wie man vordergründig erwarten möchte – von der wirtschaftlichen Lage des Landes und den damit verbundenen Alltäglichkeiten der Bevölkerung. Vielmehr vermittelt dieser Zyklus die metaphorische Haltung eines Autors gegenüber dem Prinzip einer möglichen Dokumentation durch Bild und Text. Kurz gesagt hat Sven Johne seine Erfahrung von Wirklichkeit an etlichen Orten Griechenlands vollständig und in gewisser Weise richtig abgebildet: Unter den nahezu immer gleichen Himmelsbildern sind jeweils Datum, Aufnahmeort und Uhrzeit vermerkt, dazu Auszüge aus dem parallel geführten Tagebuch wie am Beispiel 20. Juni 2012, 22:49 Uhr, Olympia: Der Garten des Hotels Europa: unter alten Olivenbäumen ein paar Tische mit weißen Tüchern, ein laues Lüftchen weht. Wunderbarer Blick hinunter auf die olympische Ebene. Sonnenuntergang, Wein wird ausgeschenkt. Wenige Gäste, viel Personal, es wartet diskret im Hintergrund. Zum Nachbestellen genügt ein kurzer Wink.
Was als Text beiläufig erscheint, ist erlebte Wirklichkeit des Autors, die man sich bildlich vorstellen mag. Zu sehen ist der (Kamera-)Blick in den Sternenhimmel von diesem Ort aus, zu dieser Zeit – alle dokumentarischen Kriterien sind damit erfüllt, lassen aber zugleich weiten assoziativen Raum.
Unter dem Titel Wehre the sky is darkest, the stars are brightest zeigt Camera Austria die erste umfangreiche Einzelpräsentation des 1976 auf Rügen geborenen und in Berlin lebenden Sven Johne in Österreich. Hinsichtlich Themenfindung und Recherchen vor Ort orientiert sich Sven Johne an journalistischer Praxis, verknüpft die Ergebnisse seiner Untersuchungen allerdings nach konzeptuellen Methoden in Bild und Text und befragt so den Wirklichkeitsgehalt üblicher dokumentarischer Verfahren. Formal dem Griechenland-Zyklus vergleichbar ist auch die Serie Ship Cancellation (2004), aufgenommen während mehrerer Fahrten auf Containerschiffen. Neben den exakten Ortsbezeichnungen nach Längen- und Breitengraden sind auf verschiedenen Fotografien nichts als Himmel, Meer und Horizont auszumachen. Tatsächlich könnten diese einander sehr ähnlichen Aufnahmen auch irgendwo auf See gemacht worden sein. Zweifel an der Authentizität der Bilder scheint Johne entkräften zu wollen, indem er Textpassagen über die Fotografien legt, die von der Geschichte mehrerer Schiffe erzählen, die schließlich genau an der bezeichneten Stelle sanken.
Mit Greatest Show on Earth (2011) dagegen begibt sich der Autor dezidiert in den Bereich der Fiktion. In einem Video ist auf leerer Bühne vor leerem Auditorium ein virtuoser Erzähler zu hören und zu sehen, der in unzähligen Episoden die nachgerade sensationelle Geschichte um einen Zirkus beschreibt, den sich Barnum and Bailey wohl gewünscht hätten. Die Unzahl von Tieren, Artisten und horrenden Attraktionen, von denen nur die Rede sein kann, lässt an Wolfgang Bauers nicht aufführbare Mikrodramen denken. Sven Johne aber hat die weit größere Schau erfunden.