23/06/2022

Talking Heads #3. Reden wir über Stadtentwicklung!

In der dritten Diskussionsrunde der Reihe Talking Heads im Club Hybrid lädt die IG Architektur zum Gespräch über Stadtentwicklung in Graz ein. Und stellt die Frage nach der Notwendigkeit der Wiedereinrichtung des Amts für Stadtentwicklung.

23/06/2022

Graz, Murpark, aus der Serie: Reden wir über Baukultur! Die Baukulturausstellung der IG Architektur.

©: paul ott photografiert

Window of Opportunity zur Wiedereinführung des Grazer Amts für Stadtentwicklung

©: Club Hybrid

v.l.n.r._Fabian Wallmüller, Gerhard Springer, Judith Schwentner, Wolfgang Köck und Johannes Fiedler

©: Club Hybrid

Im Publikum, an der Wand Bilder der Baukulturausstellung der IG Architektur von paul ott photographiert

©: Club Hybrid

Input mit Zwischenrufen
„Es geht um viele Bündnisse [...]“, schreibt Gabu Heindl über die Beziehung zwischen „Politik, Planung und popularer Handlungsmacht“ in der Einleitung ihres 2020 erschienenen Buches „Stadtkonflikte“. Wenige Minuten vor Beginn der Veranstaltung im Werkraum des ersten Obergeschoßes im Club Hybrid, nimmt eine Zuhörerin die Publikation aus dem Bücherregal und blättert darin. Die IG Architektur hat im Rahmen des New European Bauhaus: beautiful, sustainable, together – Festivals zur Podiumsdiskussion rund um das Thema Stadtentwicklung und einer möglichen Wiedereinrichtung des Grazer Amts für Stadtentwicklung eingeladen. Der Architekt und Vorstandsvorsitzende der IG Architektur, Fabian Wallmüller, beginnt den Abend mit einem Input zum Großraum Graz, dessen geografische Lage und Anbindung. Er umreißt auch kurz die Historie des ehemaligen Amts für Stadtentwicklung, das in Graz bis 2005 existiert. Noch bevor er die geladenen Gäste, Judith Schwentner (Vizebürgermeisterin und Stadtplanungsrätin von Graz) sowie die Architekten Gerhard Springer (Büro gsp architektur, Kammer der Ziviltechniker*innen für Steiermark und Kärnten), Wolfgang Köck (Büro Pentaplan, Mitglied der Gruppe Strategie 2050) und Johannes Fiedler (Stadtplaner, Büro fiedler.tornquist arch+urb) auf das Podium bittet, erläutert er weiter, wie ein solches Amt (wieder) in bestehende Strukturen implementiert werden könnte. Ein Raunen geht durch das Publikum und es folgen die ersten Zwischenrufe. Der Diskussionsteil der Veranstaltung beginnt.

Vision: wie soll das Graz der Zukunft sein?
Für sie gehe es dabei vielmehr um einen Visionsprozess, antwortet Judith Schwentner auf die Eröffnungsfrage und kommt von der Zukunft auf die Gegenwart zu sprechen. Man müsse sich fragen, wie es zum Beispiel zu solchen mangelhaften Zwischenräumen, zwischen den errichteten Gebäuden, wie in der Smart City komme. Schwentner beschreibt weiter, dass sie und ihr Team im ersten halben Jahr im Amt vor allem damit beschäftigt sind, eine andere Kultur der Zusammenarbeit der verschiedenen Abteilungen der Stadtplanung zu etablieren. Damit müsse man anfangen, mit dem Eingreifen in tiefe Gewohnheitsstrukturen. Neuerlich auf die Zukunftsvision angesprochen bekräftigt sie, dass nicht nur Objekte, sondern auch Zwischenräume wichtig sind, und man ein Bild entwickeln muss, das sowohl politisch als auch in der Umsetzung gemeinsam getragen werden kann. Wolfgang Köck stimmt zu, das Umfeld sei wichtig, sanfte Mobilität sowie schöne Grün- und Stadträume. In diesem Zusammenhang müsse es auch Schutzgebiete geben (Innenstadt, Parks) bei gleichzeitiger Erweiterung der Kerngebietszone auf weitere Stadtgebiete. Gerhard Springer identifiziert die Qualitäten einer Vision für das zukünftige Graz bei einem erweiterten geografischen Horizont (überregionale Betrachtung), mit vielen Zentren, mit dem Zugang zum Wasser und dem sukzessiven Öffnen der Innenhöfe in der Stadt. Auch für Johannes Fiedler ist der öffentliche Raum das Grundgerüst der städtischen Gemeinschaft, und dieser Anspruch soll auch für neue städtische Gebiete gelten. Dennoch sei er der Meinung, der durchgehende öffentliche Raum, wie Springer ihn vorschlage, sei eine Sackgasse. Er sehe stattdessen das Kultivieren der guten Zusammenarbeit zwischen der Öffentlichkeit und dem Privaten als wichtig an.

Die Frage nach der Organisation
Im zweiten Teil der Diskussion richtet Fabian Wallmüller die Frage an das Podium, wie man die Umsetzung der vorhin artikulierten Visionen und die Einhaltung der identifizierten Qualitäten organisieren könnte. Johannes Fiedler optiert diesbezüglich für eine strategische Planungslinie, deren Entwicklung und Implementierung von einer übergeordneten Planungsperson in einer Art Planungsdirektion geleitet wird, die unabhängig von operativen Tätigkeiten (wie der Verwaltung) agieren kann. Anders würde es Wolfgang Köck angehen. Er spricht sich für die Loslösung von einem Amt aus, um nicht ein zusätzliches „starres System“ zu haben. Die Politik soll diese Aufgabenstellungen aus seiner Sicht, mithilfe von externen Expert*innen bewältigen. So etwas wie ein Gremium, das dem Gemeinderat gegenüber verantwortlich ist, anstelle eines Verwaltungsapparates, ist auch für Gerhard Springer vorstellbar. Am Ende müssten dennoch alle – inklusive der Verwaltung – zusammenarbeiten. Die entscheidende Frage für ihn in diesem Zusammenhang ist, wie das durch die Politik umgesetzt werden kann. Johannes Fiedler ergänzt, dass seiner Erfahrung nach die partnerschaftliche Zusammenarbeit an einer konkreten Herausforderung in weiterer Folge auch die Bildung von Institutionen begünstigt. Dennoch, die Wiederbelebung des Amts für Stadtentwicklung, eines „vergangenen Amtes“, sieht Judith Schwentner nicht als erstrebenswert an. Für sie fehlt in Graz prinzipiell die interdisziplinäre Praxis und ihr Team sieht eine der Aufgaben darin, diese auf politischem Weg zu implementieren. Dieser Prozess hat ihrer Meinung nach Vorrang. Darauf aufbauend, könnten entsprechende Strukturen nachfolgen.

Kritik und Vorschläge aus dem Publikum
Das Publikum nimmt bei dieser Diskussionsrunde von Beginn an eine spürbar aktive Rolle ein. Waren es nach dem Input nur kurze Zwischenrufe, entlädt sich nach dem ersten Teil, bei dem nach Visionen gefragt wird, die Kritik, dass das Podium fast ausschließlich über Stadtplanung und nicht Stadtentwicklung sprechen würde. Eine Besucherin ruft diesbezüglich dazu auf, Stadtentwicklung als Regionalentwicklung zu betrachten und den viel bemühten „Raum“ nicht nur architektonisch und städtebaulich, sondern vor allem als Sozialraum zu denken. Als Fabian Wallmüller nach dem zweiten Teil das Forum öffnet, kommen noch von zahlreichen Zuhörer*innen Wortmeldungen hinzu. So plädiert ein Gast dafür, die Gegenwart akribisch zu analysieren, denn man befinde sich gerade in einem historischen Moment, den es wahrzunehmen gelte. Und man müsse organisatorische Strukturen schaffen, die es ermöglichen würden, aus der Analyse definierte Ziele möglichst effizient umzusetzen. Eine andere Zuhörerin macht deutlich, dass die Baukultur Teil eines großen kulturellen Ganzen ist und man Strukturen und Formate schaffen muss, um die vielen Interessensgruppen durch moderierte Gesprächs- und Verhandlungsrunden einzubeziehen. Die Moderation wiederum sollte höchste Kompetenz besitzen, politisch unabhängig sein und die Aufgaben des Übersetzens und Vermittelns übernehmen.

Schlussrunde
Die offene Diskussion mit dem Publikum wird von Fabian Wallmüller nach mehreren Anläufen in die offizielle Schlussrunde übergeleitet, und in dieser sprechen sich die Gäste auf dem Podium für unterschiedliche Maßnahmen aus, die theoretisch alle für sich eine positive Auswirkung auf die Stadtentwicklung haben könnten. Sei es die Aufhebung und Neudefinition des aktuell gültigen räumlichen Leitbildes oder die Erstellung von Bebauungsplänen mithilfe von Architekturwettbewerben. Diese und andere Argumente sollen von Expert*innen breit diskutiert werden. Das Ziel muss aber sein, daraus umsetzbare, gesetzlich verankerte Beschlüsse zu fassen. Das wird weder ohne die zu Beginn zitierten „Bündnisse“ noch ohne den geeigneten organisatorischen Rahmen funktionieren.
Die Forderungen des Abends könnten also zusammengefasst lauten: Es muss die Möglichkeit geschaffen werden, Visionen zu erarbeiten, die von den Beteiligten im professionellen Dialog formuliert und in weiterer Folge mitgetragen werden. Deren Entwicklung und Umsetzung muss innerhalb entsprechender Strukturen, mit einer kompetenten Moderation und im Zuge konstruktiver Teilhabe und Arbeit forciert werden. Die maßgebenden Fragen sind, wer diese Beteiligten sein sollen und ob für ihre Zusammenarbeit ein Amt braucht oder nicht. Obwohl vom Podium in der Diskussion die Bitte um Geduld kommt, schlägt ein Gast aus dem Publikum sinngemäß vor, sich für diese Fragen und deren Beantwortung in Form konkreter Schritte nicht allzu lange, sondern maximal ein bis zwei Jahre Zeit zu nehmen.

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