13/09/2003
13/09/2003

Neubau Ecke Schubertstraße - Herdergasse

Dachbodenausbau Ecke Humboldtstraße - Wormgasse

Dachbodenausbau Ecke Humboldtstraße - Wormgasse

Entwurf Thalia Neu

Neubau Auerperggasse - Holteigasse

Über den Umgang mit Bebauungen in strukturrelevanten Freiräumen gründerzeitlicher Stadtteile und deren Entwicklungen

Am 28.06.03 hat sich der „Verein Grazer Altstadt“ in der „Kleinen Zeitung“ über die das „Weltkulturerbe“ gefährdenden jüngsten „Bausünden“ von Graz geäussert.
Im Schlusssatz ergeht der dringende Wunsch des Vereins an die Landesregierung(!?), „mehr Mut zum aktiven Eingreifen“ zu zeigen.
Seitdem sind weitere Artikel in anderen Zeitungen erschienen, die – allem voran und wohl zurecht - den nunmehr fast fertiggestellten Neubau Ecke Schubertstrasse / Herdergasse und den bewilligten Umbau der Thalia kritisieren.

An den Fehlentscheidungen, welchen diese Bauten ihre behördlich genehmigte Existenz verdanken, tragen weder die Landesregierung noch der jeweils tätige Architekt die Schuld, wenngleich die Architektur beider Baukörper zumindest diskussionswürdig erscheint.

Die Verantwortung für fachliche Grundlagen und Vollzug des Baugeschehens in Graz liegt bei der Baubehörde der Stadt, d.h. bei Stadtplanung (Begutachtung von Baugestaltungen, Erarbeitung von Stadtentwicklungskonzepten ► STEK, Flächenwidmungsplänen, Bebauungsplänen), Baupolizei (technische Angelegenheiten, ebenfalls Gestaltungsgutachten) und Baurechtsamt (Bescheiderlass).
Das Amt der Stmk. Landesregierung ist lediglich für das aufsichtsbehördliche Verfahren in der Raumordnung zuständig und hat gegen den Revisionsplan 3.0 der Stadt Graz fristgerecht im Jänner 2002 seine Einwände erhoben:
Neben den großflächigen Baulandausweisungen im Grüngürtel usw. war die von der Stadtplanung beabsichtigte und nun in Rechtskraft erwachsene Anhebung von Bebauungsdichten in Teilen der Gründerzeitviertel ein Einwendungsgrund sowie die damit begünstigten Verbauungen von strukturrelevanten Grünflächen.
Darüberhinaus waren der zu erwartende Wildwuchs von Dachraumausbauten („Gaupenorgien“) und Aufstockungen - speziell im Bereich Humboldtstrasse / Wormgasse / Grillparzerstrasse usw. anzuführen: Sie sind nun im Bau und die ersten Ergebnisse erschreckend.

An sich ist gegen das Anheben von Bebauungsdichten in Städten nichts einzuwenden, im Gegenteil.
Das setzt aber voraus, dass eine Baubehörde in der Lage ist, sich auf Basis der geltenden Baugesetze in einwandfreien, schlüssigen Gutachten zu Angelegenheiten der Gestaltung zu äussern.

Um Fehlentwicklungen, wie im Gegenstand das myzelartige Wuchern von Bebauungen in strukturrelevanten Freiräumen gründerzeitlicher Stadtteile oder deren Beeinträchtigung durch schlechte Baugestaltungen zu verhindern, gibt es im Baugesetz 95 zwei einschlägige Normen, die im baubehördlichen Verfahren Gegenstand einer Begutachtung sein müssen:
> § 29 Abs. 2, der ein Ausschöpfen von festgesetzten Höchstbebauungsdichten zwar ermöglicht, jedoch abhängig von der Verträglichkeit der Baumasse im betroffenen Strassenbild, und
> § 43 Abs.2 Ziff.7 mit der Forderung nach einer dem Strassen- und Ortsbild gerecht werdenden Baugestaltung. (Diese Formulierung stammt übrigens aus der Feder der Ingenieurkammer und ist nahezu wörtlich ins Gesetz übernommen worden).
Beide Bestimmungen (das eingeschränkte, d.h. bedingte Recht auf Ausnützung von Maximaldichten und das eingeschränkte Recht auf Gestaltungsfreiheit) reichen jedenfalls aus, um Fehlgestaltungen behördlicherseits entgegenzutreten, allerdings muss das auf Basis von nachvollziehbaren, schlüssigen Gutachten geschehen.

Und hier liegt das Problem der Stadt Graz: Diese beiden gesetzlichen Qualitätsnormen werden in den Bauverfahren der Stadt seit Jahren nicht oder nur mangelhaft vollzogen - aus welchen Gründen immer – vielleicht aus Mangel an geeigneten Amtssachverständigen oder wegen unklarer Zuständigkeiten?
Oder war man von Seite der Amtssachverständigen tatsächlich der Meinung, dass der Neubau in der Schubertstrasse oder jener der Thalia „...in seiner gestalterischen Bedeutung dem Strassen- und Ortsbild gerecht wird“ (§ 43Abs.2 Ziff.7) und dass dem Ausschöpfen der dort höchstzulässigen Bebauungsdichten „....keine Belange des Strassen- und Ortsbildes entgegenstehen“ (§ 29Abs.2)...?

Dieser Vollzugsmangel ist Ursache, dass in Graz eigentlich jeder, der die Situation und die richtigen Wege kennt, bauen kann wie, wo und so groß er will, siehe Schubertstrasse, Thalia, Auersperggasse / Holteigasse, Nibelungengasse / Schillerstrasse, Humboldtstrasse / Wormgasse, Wohnbau Lindweg / Körblergasse, Palais Inzaghi - um nur einige zu nennen, weitere werden folgen.

Dem Stadtplanungsamt müsste das Problem längst bekannt sein: Selbst fachlich unbelasteten Bürgern von Graz fallen die Fehlentwicklungen seit Jahren ins Auge!
Eine interne Lösung wird beharrlich vermieden und Graz wird mit vielen der baubehördlich „abgesegneten“ Bauwerke um ein weiteres Stück seiner Besonderheit gebracht.
Eine der organisatorischen Maßnahmen bestünde im Schaffen einer entsprechend ausgebildeten Sachverständigengruppe im Stadtplanungsamt (das Erarbeiten schlüssiger Gestaltungsgutachten ist ein Spezialgebiet für sprachlich versierte Fachbeamte), des weiteren in der Einberufung eines Gestaltungsbeirates (ausserhalb der Altstadt-Schutzzonen). Der Status der ASV-Kommission wäre ebenfalls zu überdenken. Die geeigneten fachlichen Maßnahmen wären auf Basis der einschlägigen gesetzlichen Möglichkeiten zu treffen (präziseres STEK - seine Rechtsverbindlichkeit wird von Seite der Stadtplanung nach wie vor in Abrede gestellt, großräumige Bebauungsplanungen oder die Verordnung von „Bauklassen“ wie in Wien usw.).

Der Revisionsplan 3.0 ist von der Stadt Graz ohne Berücksichtigung der Einwendungen des hies. Amtes beschlossen worden:
Die baulichen Folgen wachsen nun aus den Gärten und aus den Dächern unserer hochwertigsten Stadtviertel.
In welchem Zustand kann man ein Weltkulturerbe eigentlich noch als solches vererben?

Verfasser/in:
DI Gerda Missoni,
Amt d. Stmk. Landesregierung
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