30/11/2013
Im Fokus:
ENERGIE BAU KULTUR
GAT im Gespräch mit dem Vordenker des nachhaltigen Bauens im deutschen Sprachraum, dem Bauingenieur und Architekten Werner Sobek.
30/11/2013

Bauingenieur und Architekt Werner Sobek

©: A. T. Schäfer
©: Redaktion GAT GrazArchitekturTäglich

Der Bauingenieur und Architekt Werner Sobek, Vordenker des nachhaltigen Bauens im deutschen Sprachraum, wurde am 8. November von der Technischen Universität Graz mit einem Ehrendoktorat geehrt. Im Vortrag „Wie weiter?“ zur Zukunft des Bauens erläuterte er am Abend zuvor vor zahlreichem Fachpublikum in der Aula der TU Graz seine Thesen und Visionen zu Möglichkeiten nachhaltigen und Ressourcen schonenden Bauens. Im Anschluss an die Veranstaltung sprach GAT mit Prof. Sobek über die Rolle des Architekten, neue Paradigmen und innovatives Denken bei der Planung und Umsetzung von Gebäuden.

GAT: Wie sehen Sie die Zukunft des Bauens und wo liegen die Herausforderungen?

W. Sobek: Um die zentralen Probleme zu erfassen, muss man zunächst einen Blick auf die globale Situation werfen. Die zwar nicht in Europa, aber in der gesamten übrigen Welt weiterhin stattfindende Bevölkerungsexplosion führt in den kommenden zwanzig Jahren zu einem weiteren dramatischen Anstieg des Ressourcen- und Energieverbrauchs, aber auch der Emissionen und Abfälle. Das bedeutet weitere Verknappungen und daraus resultierende Verteilungskämpfe, in deren weiterer Folge soziale Destabilisierung, Migrationsströme usw. entstehen werden. Aus diesem Wissen um diese Entwicklungen heraus müssen wir versuchen, die drohenden Probleme einzudämmen, indem wir das Bauschaffen völlig anders strukturieren – Europa hat hier eine sehr wichtige Vorreiterfunktion, deren es sich endlich bewusst werden muss. Seit Jahrzehnten sinkt zwar der Energieverbrauch bei Neubauten kontinuierlich (während gleichzeitig die Wohnfläche pro Kopf permanent steigt, so dass unterm Strich keine Einsparung erfolgt). In Zukunft muss es aber darauf ankommen, nicht nur den Verbrauch im laufenden Betrieb, sondern den über den ganzen Lebenszyklus zu betrachten. Der Bau von Gebäuden verschlingt durch Herstellung und Transport der Materialien sowie die Errichtung und Montage einen sehr großen Anteil der Energie, die über den Lebenszyklus dieser Objekte insgesamt anfällt. Ein typisches mitteleuropäisches Einfamilienhaus verschlingt für das Erbauen ebenso viel Energie wie für die folgenden 30 Jahre zum Heizen dieses Objekts. Darüber wird jedoch in der aktuellen Debatte kaum ein Wort verloren, weil sich das Interesse heute im Wesentlichen auf die Optimierung der laufenden Energiekosten konzentriert.

Der weltweite Rohstoffverbrauch steigt nach wie vor stark an. Müssen wir nicht bald unser Verhalten grundsätzlich überdenken?

Die Gefahr liegt meiner Ansicht nach vor allem darin, dass durch die Erschließung neuer billiger fossiler Ressourcen (Stichwort „Fracking“ in den USA) das Problem des Global Warming weiter verschärft wird (mal ganz abgesehen von den sonstigen Umweltschäden, die durch Fracking entstehen). Schließlich wird selbst durch neue Vorkommen und Fördermethoden der Peak Oil nur um maximal 20 Jahre nach hinten verschoben.

Was bedeutet der laufende technologische Fortschritt für die Effizienz von Gebäuden und wo liegen seine Grenzen in Hinblick auf Nachhaltigkeit?

Der Schwerpunkt der Forschung liegt nicht so sehr in der Entwicklung neuer Werkstoffe, sondern der Optimierung bestehender. Das beste Beispiel dafür ist Glas. Dieser Werkstoff hat in den letzten 20 Jahren eine revolutionäre Entwicklung hinter sich; und nun steht schon die nächste Revolution bevor, nämlich neuartige Vakuumgläser, die mit einer extrem guten Wärmedämmqualität auftrumpfen, gleichzeitig aber auch äußerst dünn und leicht sind. Ähnliche Entwicklungen gelten für Stahl, Aluminium und Beton. Die sogenannten „neuen Materialien“, über die zur Jahrtausendwende immer gesprochen wurde (wie z.B. Kohlefaser) haben sich bislang nicht auf breiter Front durchgesetzt. Was die Dämmstoffe betrifft, gab es zwar Verbesserungen; aber es darf nicht übersehen werden, dass diese meist aus Erdöl hergestellt werden (wofür in der Regel auch noch fossile Energie verwendet wird). Wir müssen hier zu nachhaltigen Produktions- und Rezyklierprozessen kommen – eine rein „thermische Verwertung“ ist sicher nicht das angemessene.

Welche Rolle spielen Recycling und innovative Technologien im Bauwesen?

Leider noch eine sehr geringe. Wir müssen dahin kommen, dass wir ein Haus nach 20 oder 30 Jahren säuberlich in seine einzelnen Komponenten zerlegen können, um diese Stoffe zu recyceln, anstatt neue Müllberge zu errichten. Im Grunde ist das, was heute an vielen Stellen gebaut wird, zu großen Teilen nichts anderes als Sondermüll. Dieser Punkt wird heute leider bei der Planung von Gebäuden noch viel zu wenig berücksichtigt. Wir werden daher in Zukunft eine scharfe Kehrtwendung hin zu Leichtbauweisen und minimalem Bauen erleben. Das erfordert neue Bautechnologien und eine instationäre Steuerung unserer Gebäude, die dynamisch auf sich ändernde Bedingungen reagieren müssen. Ein Gebäude sollte sich nach außen an die Veränderungen des Wetters anpassen bzw. nach innen an die An- oder Abwesenheit der Nutzer. Nur so können wir den energetischen Verbrauch wirklich optimieren. Unsere Gebäude müssen auch als Wärmespeicher funktionieren bzw. der Gewinnung und Speicherung von Solarenergie dienen.

Auf welche Lebensdauer sollte denn nach Ihrem Konzept ein Haus ausgelegt sein?

Die Nutzungsdauer eines Gebäudes lässt sich nicht mit einer Zahl spezifizieren, denn es besteht aus einer Reihe von Subsystemen, die man gesondert betrachten muss. Der Rohbau kann ohne weiteres 100 Jahre genutzt werden, während die Lebensdauer der Innenausbauten bzw. der Fassaden z.T. wesentlich geringer ist. Bei Isolierverglasungen liegt die typische Lebensdauer bei 20 bis 30 Jahren. Im Sanitärbereich liegt der Zyklus bei 15 Jahren, bei den modernen Kommunikations- und Elektroniksystem gar nur bei durchschnittlich fünf Jahren. Daher ist es so wichtig, dass durch eine kluge Bauweise die Komponenten leicht getauscht werden können, ohne die Benutzer längere Zeit auszuquartieren.

Wie sehen Sie die Probleme der Dämmtechnologien, etwa im Umgang mit historischer Substanz bzw. deren Erscheinung?

Dazu habe ich eine ganz klare Meinung, da sollte man die Finger davon lassen. Ich bin dagegen, die Fassaden historischer Gebäude mit Dämmstoffen zu entstellen. Hier sollte man mit nicht-invasiven Methoden arbeiten, wie der Funk-Steuerung der Temperatur je nach Nutzung und Anwesenheit, was bis zu 40 Prozent der Heizkosten sparen kann. Es macht wenig Sinn, historische Zentren rundum energetisch zu sanieren, denn wir müssen die Stadt als Ganzes betrachten. Die Plusenergiehäuser können die Defizite der denkmalgeschützten Objekte ohne weiteres ausgleichen bzw. diese mitversorgen. Meine Sichtweise besteht in der Aufhebung der Grenze rund ums Haus, und die Erweiterung des Betrachtungsraumes hin zur Siedlung, Stadt und Region.

Zur Verkehrsthematik – sind E-Fahrzeuge für den Individualverkehr ein sinnvoller Weg bzw. wie sollte der öffentliche Verkehr aussehen?

Ich favorisiere die individuelle E-Mobilität im innerstädtischen Bereich bzw. in den großen Metropolen, um das Lärm- und Abgasproblem in den Ballungsgebieten in den Griff zu bekommen. Natürlich entstehen dabei Problemstoffe wie Batterien, aber hier muss einfach konsequent recycelt werden. Dann die Herkunft des Stroms: optimal kommt der aus der selbsterzeugten Energie des Plusenergiehauses, wo das Fahrzeug direkt aufgeladen wird und so ja zugleich als Energiespeicher dient. Auch der öffentliche Verkehr sollte vorwiegend mit Strom betrieben werden. Ein weiteres: das individuelle Mobilitätsverhalten ändert sich. So hat in Stuttgart fast die Hälfte der jugendlichen Bevölkerung keinen Führerschein, da man lieber – unterstützt durch eine Fahrplanabfrage über das Smartphone – lieber mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs ist.

Was kann man von den großen Metropolen der Welt mit ihrem Bevölkerungswachstum für Europa ableiten?

Dort bestehen ganz andere Probleme als hier, wo eher an den Rückbau von Strukturen gedacht werden muss. Es ist so, dass in diesen Ländern nach Lösungen aus Europa gefragt wird, obwohl sich der moderne Städtebau in Asien oder Südamerika natürlich vorwiegend an nordamerikanischen Vorbildern orientiert. Die nach amerikanischem Vorbild angelegten, weit ausgedehnten Suburbs verursachen ein hohes Verkehrsaufkommen, was ebenso wie der steigende Lebensstandard in Hinblick auf den Pro-Kopf-Energieverbrauch sehr kritisch zu sehen ist.

Heutige Bauweise bzw. -materialien sind nicht selten auf billigst und schnell abgestimmt, wäre nicht eine Rückkehr zu solideren Gebäuden wünschenswert?

Historische Gebäude werden oft über viele Generationen hinweg genutzt. Bei der Errichtung von Wohngebäuden sind Planung und Ausführung die wesentlichen Faktoren. Vor allem bei dem zweiten Faktor hat ein ruinöser Preiskampf negative Auswirkungen auf die Qualität der Gebäude. Billige Arbeitskräfte und Materialien kommen vor allem im Siedlungswohnbau häufig zum Einsatz. Diese Entwicklung liegt auch in der Verantwortung der Kunden, die nicht bereit sind, mehr zu bezahlen.

Welche Rolle wird der Architekt in Zukunft spielen? Wird er sich zunehmend in einer Mehrfachrolle als Planer von Gebäuden und gleichzeitig als Stadtplaner und als Ressourcenmanager etc. finden?

Man sollte die armen Architekten nicht überfrachten. Die Komplexitätssteigerung in der gebauten Umwelt, sowohl technologisch, wie sozio-kulturell als auch juristisch ist derartig intensiv, dass es zukünftig niemanden mehr geben wird, der diese Klaviaturen souverän alleine bespielen können wird. Die architektonische Ausbildung reflektiert heute darauf nicht. Sie hat insbesondere ein großes Defizit, insofern als die Multidisziplinarität immer noch vernachlässigt wird. Die Studierenden erlernen daher nicht die Sprache der anderen Fachdisziplinen und auch nicht deren Wertesystem. Das ist die Ausbildungssituation. Aber nun zur Praxis: Ich habe Sorge, dass die Architekten, auch aufgrund der Kleinteiligkeit ihrer Büros, in eine Entwicklung hinlaufen, in der sie zu Stylisten, ähnlich wie im Automobilbau die Designer, degradiert werden, und der ganze Rest von großen technischen Büros erledigt wird. Das wäre der Untergang des klassischen Architekten in seiner bisherigen Rolle.

Was schwebt Ihnen als Alternative dazu vor?

Wir müssen weg vom sequentiellen Planen hin zum integralen Planen, wobei ich noch nicht ganz sicher bin, wer welche Aufgaben übernehmen sollte. Vielleicht ist hier in Zukunft eine Doppelführung aus Architekt und Ingenieur sinnvoll, wobei jeder der Vertreter auch ein wenig ein Hybrid aus beiden (Archgenieur) sein kann.

Im September 2013 fand an der TU Graz die Sustainable Buildings Conference 2013 statt: Wie sehen Sie die Fortschritte auf wissenschaftlichem Gebiet bzw. hinsichtlich der Politik bei der Schaffung und Umsetzung von gesetzlichen Rahmenbedingungen?

Ich bin eigentlich mit der Entwicklung sehr zufrieden. Nachdem jahrzehntelang überhaupt nichts passiert ist – die „verlorenen Jahrzehnte“, wie Peter Sloterdijk mir gegenüber einmal äußerte –, ist in dem Bewusstsein, dass nicht zuletzt durch die Intergovernmental Panels on Climate Change geschaffen wurde, relativ viel passiert. Im Zuge dessen kam es natürlich zu Doppelgleisigkeiten und Lücken in den zu erforschenden Feldern. Die dabei entstehende Konkurrenz hatte aber auch viele positive Seiten. Man hat jedenfalls akzeptiert, dass man die Menge der Probleme nicht mehr einfach zur Seite schieben kann. Inzwischen hat sich die Forschungstätigkeit fokussiert und vertieft und zeitigt ihre Auswirkungen auf konkrete Bauprojekte, die sich an den diversen Zertifizierungssystemen orientiert. Der Politik sollte man nicht zu viel abverlangen, denn sie reagiert in erster Linie nur; wir müssen auch bedenken, dass selbst die Wissenschaft die große Stoßrichtung noch nicht definitiv vorgeben kann. Was wir brauchen, ist ein ehrliches Bemühen um Gebäude, die den Gesetzen der Physik gehorchen und die auf die Bedürfnisse der Menschen abgestimmt sind.

GAT: Danke für das Gespräch!

Biografische Notiz:

Werner Sobek (geb. 1953) arbeitet in seinem weltweit vertretenen Unternehmen (u.a. in Stuttgart, Frankfurt, London, New York, Moskau, Sao Paulo und Dubai) mit Architekten wie Norman Foster, Hans Hollein, Christoph Ingenhoven, Helmut Jahn, Dominique Perrault und Zaha Hadid an Hochhäusern, Flughäfen, Bürogebäuden und Museen. Daneben ist Sobek mit eigenständigen Projekten und höchst innovativen Konzepten als Architekt in Erscheinung getreten. Seine Schwerpunkte in der Forschung liegen im konstruktiven Glasbau, adaptiven Systemen im Bauwesen sowie Gebäudehüllen und Fassaden. Sobek ist ordentlicher Professor an der Universität Stuttgart und hat den Mies van der Rohe-Lehrstuhl am Illinois Institute of Technology in Chicago inne. Er ist neben zahlreichen anderen Funktionen einer der Initiatoren der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB), deren Vorsitz er bis 2010 innehatte.
Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
GAT+