03/04/2013

Im Fokus: WOHNBAU
GAT widmet sich von März bis Juni 2013 schwerpunktmäßig Fragen zur Qualität im österreichischen Wohnbau. Ziel ist es, aufgrund der Analyse des Ist-Zustands künftige Entwicklungen in Hinblick auf neue Lebensformen und mögliche Wege zu einer nachhaltigen Qualität im Wohnbau aufzuzeigen und die Erkenntnisse Entscheidungsträgern nahezulegen.

03/04/2013

HafenCity Hamburg: Die Marco-Polo-Terrassen laden mit ihren Holzdecks und grünen Rasenhügeln zum Entspannen ein.

©: HafenCity Hamburg

HafenCity Hamburg: Auf der Dalmannkai-Promenade lässt es sich bestens radeln, flanieren und verweilen.

©: HafenCity Hamburg

HafenCity Hamburg: Am Kaiserkai genießen die Bewohner den Ausblick auf die Elbhilharmonie. In den Erdgeschoßen ist jede Nutzung außer Wohnen erlaubt. Zur Unterstützung der Grundstückskäufer wird zentral Nutzerakquise betrieben, um Vielfalt zu erreichen.

©: HafenCity Hamburg
©: Redaktion GAT GrazArchitekturTäglich

In meinem ersten Beitrag zur Reihe Im Fokus: Wohnbau vom 4. März versuchte ich unter dem Titel Qualitäten städtischen Wohnbaus: Das Beispiel Wien den Stand der Dinge hierzulande am Wiener Beispiel zu erläutern: Wohnungspolitik als Sozialpolitik funktioniert noch und die architektonische Qualität ist grundsätzlich hoch, war das Fazit.

Verbesserungspotenziale gibt es etwa hinsichtlich Kleinteiligkeit und alternativer städtebaulicher Typologien, Nutzungsmischung, des öffentlichen Raums und der Mobilität – oder, kurz gesagt, hinsichtlich des Städtebaus.

Wo kann man nun gute Beispiele dafür finden?
Das ist tatsächlich ziemlich schwierig – es gibt immer wieder gute europäische Beispiele für neue Stadtviertel, die in bestimmter Hinsicht besonders innovativ sind, aber hohe Qualität in allen diesen Punkten und dann noch im großstädtischen Kontext, das ist kaum jemals zu finden. Am ehesten wird die Kombination vieler solcher Aspekte in herausragender Form im mittelstädtischen Kontext erreicht, etwa in Tübingen oder Freiburg in Südwestdeutschland. Im Folgenden soll anhand dreier Städte und ihrer Stadtentwicklungsprojekte aus der jüngsten Vergangenheit gezeigt werden, was es gibt und was möglich ist. All diese Städte versuchen Lösungen für all die genannten Teilaspekte zu finden; allerdings sind sie jeweils in bestimmten Bereichen besonders erfolgreich, deshalb sollen die in den Mittelpunkt gestellt werden.

Kleinteiligkeit, Mischnutzung: Hamburg
Die Hafencity Hamburg (2000–2025) ist ein innerstädtisches Konversionsgebiet, das kurze Wege, Nutzungsmischung und hohe Dichte bieten will. Die Entwickler wurden verpflichtet, in den Erdgeschoßen fünf Meter Raumhöhe einzuhalten, um dort attraktive öffentliche Nutzungen und vor allem auch Nutzungsveränderungen zu ermöglichen. In diesen Erdgeschoßen ist jede Nutzung außer Wohnen erlaubt. Zur Unterstützung der Grundstückskäufer wird auch zentral Nutzerakquise für diese Flächen betrieben, um Vielfalt zu erreichen. Ergänzend werden Nutzungsmischungen, etwa im Einzelhandel, zentral konzipiert, statt einfach zu nehmen, was zu haben ist. Das Viertel wurde vergleichsweise kleinteilig parzelliert und bei der Grundstücksvergabe entscheidet nicht vorrangig der Preis, sondern die Qualität des Nutzungskonzeptes – und Grundstücke werden grundsätzlich immer im Wettbewerb vergeben. Dabei versucht die Entwicklungsgesellschaft, Gebäudenutzungen sinnvoll aufeinander abzustimmen – so werden in Wohngebieten Baugruppen und Bauträgerprojekte, Miete und Eigentum, geförderter Wohnbau und spezifische Angebote etwa für Ältere, Studierende, Familien kombiniert, statt Monokulturen anzustreben. Weiters wird großer Wert auf die Qualität des öffentlichen Raums gelegt.

Nachhaltigkeit: Stockholm
Ein Beispiel für innovative Weiterentwicklung der Nachhaltigkeit in der Stadtentwicklung bietet Stockholm mit den Projekten Hammarby Sjöstad (1995–2018) sowie Königlicher Seehafen (2012–2030). Stockholm setzt auf innere Stadtentwicklung: auf Konversionsflächen (hauptsächlich Hafenanlagen), die Entwicklung von Subzentren, den Ausbau des öffentlichen Verkehrs und die Verknüpfung der Stadtgebiete zu einer Stadt der kurzen Wege. In der früheren Industriehafenanlage Hammarby Sjöstad im Süden der Innenstadt wurde dem entsprechend ein Stadtviertel mit 11.000 Wohnungen und 10.000 Arbeitsplätzen geplant. Grundlage war das Hammarby-Modell, das die Umgangsweise mit Energie, Abfall, Wasserver- und -entsorgung festlegt. Ein Heizkraftwerk für Bioenergie (Strom, Fernwärme und -kälte), Solarstromproduktion, Separation von Regen und Abwasser und ein innovatives Recyclingsystem gehören dazu. Der Erfolg der Maßnahmen wurde laufend durch ein „Umweltbelastungsprofil“ kontrolliert: Jede Umsetzung (Abbruch, Konstruktion und Betrieb von Gebäuden, Betriebsanlagen, Straßenbauten, etc.) wurde hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Umwelt in ein Datenmodell eingetragen, sodass man immer genau wusste, wie weit man am geplanten Weg schon gekommen war. Ziel war es, die Umweltauswirkungen auf die Hälfte jener anderer Stadtviertel zu reduzieren – erreicht wurden etwa 30 bis 40 Prozent. Für die nächste Entwicklung, den Königlichen Seehafen, wurden deshalb Schlussfolgerungen gezogen, wie man noch besser werden kann: integrierte Planung, Bodenmanagement, klare Vision und Strategie, Organisation und Kooperation, Konzentration auf Energiereduktion – der Seehafen soll 2030 ohne fossile Energie auskommen. Als zentral wird dabei Bewusstseinsbildung bei den BewohnerInnen des zukünftigen Stadtteils angesehen, darin liegen die noch fehlenden etwa 15 Prozent, um die negativen Auswirkungen zu halbieren.

Öffentlicher Raum: München
Ein wesentliches Instrument der Stadtentwicklung in München ist die sozialgerechte Bodennutzung, ein Instrument für den Abschluss städtebaulicher Verträge, durch das die Begünstigten von Grundstücks-Wertsteigerungen einen Beitrag zur Stadtentwicklung leisten. Zumindest ein Drittel der Wertsteigerung bleibt dem jeweiligen Eigentümer, mit dem Rest finanziert er den öffentlichen Raum (Straßenbau und Grünflächen), Kindergärten und Schulen, kostengünstigen Mietwohnungsbau und Planungskosten. Stadtentwicklungsgebiete wie die Zentralen Bahnflächen (2004–2020) setzen auf Nutzungsmischung, insbesondere rund um die neu angelegten Plätze, die die Gebiete gliedern. An diesen Plätzen sind öffentlichkeitswirksame Nutzungen in den Erdgeschoßen nicht bloß verlangt, sondern vorgeschrieben – Handel, Gastronomie, Kultur. Zusätzlich sind dort Quartierszentren mit öffentlichkeitswirksamen Nutzungen in den Gebäuden angeordnet, die zur Belebung beitragen. Die Freiräume sind in ein übergeordnetes Fuß- und Radwegekonzept, ein Spielraumkonzept und ein Biotopentwicklungskonzept eingebunden, sodass nicht zuletzt ein hochwertiges Stadtklima erreicht wird. Ziel ist es, den öffentlichen Raum so anzulegen und so attraktiv zu gestalten, dass er zu Fuß und per Rad genutzt wird. Um das zu erreichen, muss man auf BewohnerInnenbeteiligung setzen, also nicht bloß im Fachdiskurs unbestrittene Zielvorstellungen umsetzen, sondern gemeinsam mit den betroffenen Laien planen und realisieren – ohne die wird nämlich aus der Planung niemals Realität.

Im Fokus: WOHNBAU / VORSCHAU:
Am 15. April 2013 setzt sich der Essay von Architektin Elisabeth Anderl, Wohnbau-Expertin und Assistentin am Institut für Wohnbau der TU Graz, mit künftigen Entwicklungen im Wohnbau im Bezug auf neue Lebensformen auseinander.

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