12/11/2019
Wolkenschaufler_28
 

Wirtschaftlichkeiten an Beispielen aus Tourismus und Kunst

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Die Kolumne Wolkenschaufler von Wenzel Mraček zu Lebensraum, Kunst und Kultur(-politik) erscheint jeden 2. Dienstag im Monat auf GAT.

12/11/2019

Bezeichnet: Linker Fernerkogel. Bereich der geplanten Verbindung der Schigebiete zwischen Pitztal und Ötztal (Screenshot: siehe Link google.com/maps)

©: Wenzel Mraček

Wirtschaftlichkeiten an Beispielen aus Tourismus und Kunst

Zunächst sei auf ein Tiroler Bauvorhaben hingewiesen, das vermutlich sogar den Architekten Bruno Taut erschüttert hätte, der 1919 immerhin Entwürfe für die Überbauung der Alpen mit „farbigem Glase“ angelegt hatte.
Schifahren ist ein Kulturgut, das lassen wir uns nicht nehmen! So ist mir die Aussage eines ehemaligen Schirennläufers vor einigen Jahren in Erinnerung, der anlässlich seiner Beteiligung am Bau von Schihotels um die Zukunft des Schilaufs angesichts der Klimaerwärmung gefragt wurde. Vielleicht nicht gerade das Kulturgut, jedenfalls den Wirtschaftsfaktor Schilauf will sich offenbar die Pitztaler-Gletscherbahn-Gesellschaft nicht nehmen lassen. Geplant ist der Zusammenschluss der Schigebiete Pitztal und Ötztal, woraus das größte, zusammenhängende Gletscherschigebiet Europas entstehen soll. Laut Umweltorganisationen sind drei Seilbahnen, ein Speicherteich, ein Schitunnel und die Planierung, Überschüttung und Abtragung von 72 Hektar Gletschers geplant. Das bedeutet, der Gipfel des zwischen den bisher erschlossenen Schigebieten gelegenen Linken Fernerkogels soll gesprengt werden. Derzeit wird das Vorhaben auf seine Umweltverträglichkeit geprüft. Auffallend allerdings ist die Brutalität dieses Plans angesichts von Klimaerwärmung und des konstatierten Abschmelzens der Gletscher. Eine Sprecherin der Naturfreunde sagte dazu im Ö1-Mittagsjournal (4.11.19), dass eine Fläche entsprechend der Größe von 116 Fußballfeldern verbaut werden soll, über 750.000 Kubikmeter Eis und Gestein sollen abgesprengt werden. Der Nationalratsabgeordnete und Obmann der Seilbahnwirtschaft in der Wirtschaftskammer Tirol, Franz Hörl, spricht von der Erhaltung konkurrenzfähiger Schigebiete bei stagnierenden Tourismuszahlen. Das „Konzept Wintersport“ sei die „absolute Erfolgsgarantie“ und es würden mit diesem Projekt die „Angebote optimiert“. Die kolportierten „enormen Erdbewegungen“ seien „Fake News“. Mit „ganz eigenartigen Mitteln“ werde „gegen das Interesse der dort lebenden Bevölkerung gearbeitet“.

Deutlich subtiler dagegen legt der aus Baden-Württemberg stammende Künstler Pablo Wendel seine Projekte an. Schon als Student der Bildhauerei trat er im Jahr 2006 auf den Plan, als es ihm in perfekter Verkleidung gelang, für einige Zeit unbemerkt – und scheinbar als einer von ihnen – inmitten der Terrakotta-Armee am Mausoleum des Kaisers Qín Shǐhuángdì zu verharren. Während der Aktion wurde kein Schaden angerichtet. Als Wendel schließlich von Polizisten entdeckt wurde, die ihn wie eine Statue aus dem Ausstellungsbereich trugen, kam er mit einer Verwarnung davon.
2012 gründete Wendel das Unternehmen Performance Electrics zur Produktion und Distribution von Kunststrom, dessen Zentrale in Stuttgart angesiedelt ist. Designer, Architekten, Künstler und Kunsthistoriker beteiligen sich teils projektbezogen, teils dauerhaft an verschiedenen Standorten wie Berlin, Stuttgart oder São Paulo an der künstlerischen Produktion von elektrischem Strom. 2013 etwa wurde ein Generator an die Uhrzeiger einer Stuttgarter Kirchturmuhr angeschlossen, der aus der Bewegung der Zeiger Strom gewann. Über eine Freileitung wurde Strom an die Zentrale von Performance Electrics geleitet und von dort in das öffentliche Netz eingespeist. Im Projekt Schmarotzer wurden Solarmodule an Leuchtreklamen in der Stuttgarter Innenstadt montiert. Aus dem durch Strom erzeugten Licht der Werbemittel wurde abermals Energie gewonnen.
Freilich gleichen solche Konzepte einem weiteren Versuch, ein Perpetuum mobile herzustellen. Dem Anspruch, Kunstwerk zu sein, gereichen sie jedoch allemal. Mit seiner Firma Performance Electrics steigt Pablo Wendel nun aber wirklich ins Stromgeschäft ein. Im brandenburgischen Luckenwalde wurde ein stillgelegtes Kohlekraftwerk zum Kulturzentrum ausgebaut, zugleich wird hier Strom aus Biomasse erzeugt und ins öffentliche Netz gespeist. Das Stromnetz sei nämlich eine „Großskulptur“ an der man mit „homöopathischen Impulsen“ teilhaben wolle. Langfristig soll sich das E-Werk Luckenwalde – Zentrum für Kunststrom und zeitgenössische Kunst über den Verkauf von Strom finanzieren. Seit 14. September 2019 läuft auch die erste Ausstellung, in der es naturgemäß um Stromerzeugung durch Kunst geht.

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