24/09/2014

Bis April 2015 werden mittwochs regelmäßig Artikel zum GAT-Fokus Architektur- und Baukulturvermittlung erscheinen. Alle Nachrichten und Veranstaltungshinweise werden in einem Dossier gesammelt und in der Folge durch aktuelle Beiträge ergänzt.

Riklef Rambow, geboren 1964 in Wiesbaden, studierte Psychologie und promovierte über "Experten-Laien-Kommunikation in der Architektur" an der Universität Frankfurt. Ab 2005 baute er den Masterstudiengang "Architekturvermittlung" an der BTU Cottbus mit auf und leitete ihn bis 2012. Im Oktober 2009 wurde er auf die Wüstenrot Stiftungsprofessor für Architekturkommunikation am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) berufen und leitet seitdem das gleichnamige Fachgebiet.

24/09/2014

Dieser Artikel erscheint im Rahmen des Schwerpunkts Architektur- und Baukulturvermittlung.

©: Alexander Krischner

Riklef Rambow

©: Nicola Moczek

Buch von Riklef Rambow: Experten-Laien-Kommunikation in der Architektur, 3. Auflage, Cover, Waxmannverlag

Bevor man sich an die Beantwortung der im Titel formulierten Frage wagt, ist wohl erst einmal eine Begriffsklärung erforderlich. Die führt dann aber, wie wir sehen werden, gleich mitten hinein ins Geschehen. Wie ist also das Verhältnis von Architektur zu Baukultur zu fassen, und was soll hier eigentlich vermittelt werden? Die Nachzeichnung dieser beiden Begriffskarrieren in den letzten zwanzig Jahren, möglicherweise differenziert nach den Diskursen in Österreich, Deutschland und der Schweiz, wäre ohne Zweifel ein lohnendes Thema für eine Dissertation und kann an dieser Stelle nur kurz angerissen werden.

Stand 2014 ist Folgendes festzustellen: Immer häufiger setzt sich die "Baukultur" an die Stelle der Architektur und sie tut das vor allem dort, wo politische Ziele verfolgt werden; offensichtlich besteht die Annahme, dass Baukultur ein inklusiveres Konzept ist und deshalb leichter Unterstützung und Förderung mobilisieren kann als die Architektur, die – im Gegensatz zur Baukultur – begrifflich klar einer Berufsgruppe zugeordnet ist und an eine zweitausendjährige Geschichte gebunden ist. Der Architektur haftet damit etwas Exklusives und gelegentlich Elitäres an, das als schwer vermittelbar (im doppelten Sinne) gilt. Baukultur hingegen umfasst erst einmal alles, was mit der menschlichen Grundaufgabe des Bauens zusammenhängt, sie betrifft uns alle und wird von uns allen mitgetragen und mitgestaltet. Sie schließt niemanden aus und nimmt (zunächst) keine Wertungen vor. Baukultur bezieht sich auch nicht bloß auf das Bauen und seine Ergebnisse, also das Gebaute, sondern schließt alle Prozesse rund um das Bauen ein. Deshalb liest man manchmal: Baukultur ist Kommunikation. Das macht vorderhand vieles einfacher, wirkt sympathisch und egalitär. Schaut man genauer hin, entsteht aber auch ein Problem: Wenn die vielfältigen Kommunikationsprozesse rund um das Bauen und den Umgang mit dem Gebauten bereits Bestandteil einer erfolgreichen Baukultur sind, was ist dann eigentlich Baukulturvermittlung? Was soll vermittelt werden, wenn der Begriff Baukultur so umfassend ist, dass er kaum Abgrenzungen zulässt und die Vermittlung selbst schon impliziert?
Um diese Schwierigkeiten zu umgehen, möchte ich im Folgenden gern an dem Begriff Architekturvermittlung festhalten. Architekturvermittlung beschäftigt sich mit der Vermittlung architektonischen Denkens an die Öffentlichkeit. Sie ist ein wesentlicher Beitrag zu einer erfolgreichen Baukultur, nicht mehr und nicht weniger.

Wozu braucht es also Architekturvermittlung? Zunächst einmal geht es gerade darum, den spezifischen Beitrag der Architektur zu einer qualitativ hochwertigen, lebenswerten, attraktiven und bedeutungsvollen gebauten Umwelt sichtbar und nachvollziehbar zu machen. Es erscheint mir wichtig, hierbei die Grenzen zwischen Architektur und ihren Nachbardisziplinen nicht zu verwischen, sondern im Gegenteil hervorzuheben und in ihrem Nutzen zu bestimmen. Natürlich ist z.B. die Gestaltung von sogenannten Ingenieurbauwerken eine wesentliche baukulturelle Aufgabe; es ist aber sinnvoll, diese nicht von vornherein als Architektur zu behandeln, sondern deutlich zu machen, dass die Perspektiven von BauingenieurInnen und ArchitektInnen auf die damit verbundenen Aufgaben sich unterscheiden, so dass nur in geeigneten Formen der Kooperation optimale Lösungen gefunden werden können. Die traditionelle Feststellung, dass es einen grundlegenden Unterschied zwischen Architektur und Bauen gibt, halte ich nach wie vor für sehr produktiv. Die Aufgabe der Architekturvermittlung besteht dann darin, diesen Unterschied weithin begreifbar zu machen und ein Verständnis dafür zu schaffen, dass es ein Gewinn für alle ist, wenn an konkreter Stelle architektonisch über das Bauen nachgedacht wird (und nicht nur funktional, konstruktiv, ökonomisch etc.)

Aber was bedeutet das? Worin besteht das spezifisch Architektonische der Architektur? In der Reflektion darüber liegt zunächst einmal eine Kernaufgabe der Architektur selbst; die Auseinandersetzung über ihre Identität (Was ist Architektur?) und die daraus sich ableitende Frage nach zeitgemäßen Qualitätskriterien (Was ist gute Architektur?) findet kontinuierlich innerhalb des Faches und insbesondere auch innerhalb der akademischen Ausbildungsorte statt, und genau dort gehört sie auch hin. Die Aufgabe der Architekturvermittlung besteht darin, diese Diskussion, die, weil sie nun einmal eine fachinterne Diskussion ist, gelegentlich sehr abstrakt und selbstbezüglich geführt wird, auf ihre lebensweltliche Bedeutung zu prüfen und Mittel zu ihrer Darstellung zu finden, die auch für außerhalb des Fachs Stehende verständlich sind. Der Begriff Verständlichkeit greift dabei eigentlich zu kurz: Streng genommen geht es nicht nur darum, architektonische Sachverhalte so zu vereinfachen, dass sie ohne spezielles Vorwissen nachvollzogen werden können, sondern es müssen vor allem Gründe dargelegt und Anlässe erzeugt werden, die zur Beschäftigung mit solchen Fragen motivieren, also zuallererst dazu verführen, verstehen zu wollen. Dies gelingt meist einfacher über die abgeleitete Frage der Qualitäten als über die zugrundeliegende Frage der Identität.

Architekturvermittlung, und das ist wichtig, schafft sich ihren Vermittlungsgegenstand also nicht selbst, sondern sie dient der Architektur. Sie stärkt die Wirkung und die Möglichkeiten von Architektur, indem sie zu deren Wahrnehmung und Wertschätzung beiträgt. Gleichwohl darf Architekturvermittlung nicht passiv oder als Einbahnstraße verstanden werden. Indem sie Schnittstellen zwischen Architektur und Öffentlichkeit herstellt, ermöglicht sie auch Rückkopplungen und erzeugt Wissen darüber, wie Architektur gesehen, verstanden und gebraucht wird. Sie wirkt also idealerweise auch in die Architektur hinein und setzt Impulse zu deren Entwicklung. Die Beobachtung, dass es an solchen Schnittstellen mangelt, dass viel zu oft über architektonische Qualität in einer Weise gesprochen wird, die außerhalb der Architektur nicht verstanden wird, war und ist ja einer der wesentlichen Gründe für das wachsende Engagement im Bereich der Architekturvermittlung.
Situationen, in denen sich diese Problematik beispielhaft verdichtet, sind Architekturwettbewerbe und Architekturpreise. In beiden Fällen wird explizit über architektonische Qualität verhandelt und es werden Lösungen ausgezeichnet, die den Beitrag der Architektur zu einer besseren Umwelt veranschaulichen sollen. Und doch ist gerade hier noch allzu häufig zu beobachten, wie die Chancen, die darin lägen, solche Verhandlungsprozesse öffentlich und  transparent zu gestalten, vertan werden, weil die Herausforderung, die darin liegt, die fachinternen Beurteilungskriterien nachvollziehbar zur Diskussion zu stellen, nicht aktiv angenommen wird. Hier gibt es noch viel zu tun.

Architekturvermittlung benötigt viel Optimismus. Sie muss ihren Gegenstand, die Architektur, lieben. Sie muss davon überzeugt sein, dass Architektur, wenn sie gut ist, die Welt tatsächlich ein Stück besser macht. Sie muss daran glauben, dass auch heute noch gute Architektur möglich ist, trotz aller ökonomischen, politischen oder juristischen Hindernisse. Architekturvermittlung muss erkennen, dass auch gute Architektur sich nicht von selbst erklärt, sondern dass gerade gute Architektur immer auch Bedeutungs- und Erfahrungsebenen enthält, die sich leichter erschließen, wenn man über Hintergrundwissen verfügt. Und dass der Gewinn, den Menschen aus einer solchen vertieften Beschäftigung mit Architektur ziehen, den zeitlichen und kognitiven Aufwand rechtfertigt, den sie dafür aufbringen müssen.
Aus dieser Haltung heraus sind in den vergangenen fünfundzwanzig Jahren zahlreiche Initiativen entstanden, die sehr erfolgreich praktische Architekturvermittlung betreiben. Die Vielfalt an Methoden, Ideen, Gegenständen und Zielgruppen ist beachtlich, und die erzielte Wirkung nicht zu unterschätzen. Es gibt, zumindest in Ansätzen, institutionelle Strukturen, die zu einer gewissen Professionalisierung geführt haben. Es gibt Vernetzungen, auch über Ländergrenzen hinweg, die in Form von Tagungen, Symposien und Workshops zu einem regelmäßigen Erfahrungsaustausch der wichtigen Akteure beitragen. Es gibt aber auch klar erkennbare Defizite, die einer weiteren dynamischen Entwicklung der Architekturvermittlung im Wege stehen: Hier ist vor allem der Umstand zu nennen, dass es bislang kaum gelungen ist, das Fach an den Hochschulen zu verankern. Dadurch gibt es kaum systematische Forschung zu Prozessen, Grundlagen und Effekten der Architekturvermittlung und es kann sich keine Didaktik der Architektur entwickeln, welche die reichhaltigen Erfahrungen aus der praktischen Vermittlungsarbeit aufarbeitet und sich von den Nachbardisziplinen, insbesondere der Kunstpädagogik, emanzipiert. Dies wäre nicht nur für die Architekturvermittlung, sondern auch für die Architektur ein wichtiger Schritt.

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