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"das Kind mit dem Bade ausschütten"

ist das dazu passende Sprichwort.

So sehr uns allen zunehmend bewusst wird, wie dringend wir eine Umstellung unserer Energiegewinnung erreichen müssen, so sehr müssen wir aufpassen aufgrund dieser Erkenntnis mit dem "Ausbauturbo" zwar nicht zu wissen wo wir hinfahren, dafür aber schneller dort zu sein.

"Turbo", ein Begriff aus der Verbrennungsmotortechnik, wird in der bezughabenden Medieninformation des Bundeskanzleramts (https://www.bundeskanzleramt.gv.at/dam/jcr:e169af62-602a-4334-ae1a-000af...) 6 mal verwendet. Dort findet sich auch der Satz des Anstoßes „Für Photovoltaikanlagen auf versiegelten Flächen braucht es keine Genehmigungen mehr, nur aufgrund des Orts- und Landschaftsbildes können Anträge nicht mehr abgelehnt werden.“

Zum ersten Satzteil:
Wie darf man sich das vorstellen? Alle können im urbanen Raum, dem Bereich also wo sehr vieles versiegelt ist, montieren was sie wollen? Irgendeine Art des Regulativs wird es geben müssen, wenn wir nicht den totalen Wildwuchs mitten in unseren Lebensräumen erleben wollen. Die Notwendigkeit eines Regulativs, das - wenn es wirken soll - kontrolliert werden muss, erschließt sich jedem im Baugeschehen tätigen Menschen bei der Vorstellung der möglichen Zerwürfnisse wenn in einer engen Wohnumgebung alle beginnen sich PV-Paneele an den Balkon, die Fassade, vors Fenster der Nachbarn usw... zu montieren. Es wird wie für alles andere auch Rahmenbedingungen geben müssen, schon allein um unsere Gerichte nicht mit einer zusätzlichen Flut an Nachbarschaftsprozessen zu blockieren. Diese Rahmenbedingungen müssen entweder auf die Materie bezogen neu verhandelt werden (dann wird der schnelle Ausbauturbo an einem beträchtliche Turboloch leiden) oder man bemüht doch die vorhandenen Baugesetze und deren Vollstreckung.

Womit wir beim zweiten Satzteil sind:
"...nur aufgrund des Orts- und Landschaftsbildes können Anträge nicht mehr abgelehnt werden."
Die Intention ist vielleicht zu verhindern, dass unbelehrbare(?) Gegner von PV-Anlagen weiterhin versucht sein könnten sich des Ortsbild- und Landschaftsbildschutzes als Feigenblatt zu bedienen um etwas zu verhindern, das ihnen aus welchen Gründen auch immer nicht in den Kram passt. Und in manchen Fällen möchte man da auch zustimmen, wenn vielleicht bei einer PV-Anlage am Nachbarhang der Untergang das Tourismus droht, das eigene Hotel aber nie groß genug in der Landschaft stehen kann (man verzeihe mir das Klischee). Vielleicht ist es aber auch an die Orts- und Landschaftsbilschützer selbst gerichtet, die sich mit den visuellen Auswirkungen der Photovoltaik-Elemente auf unsere Umgebung nach wie vor schwer tun und bei entsprechende Projekten kaum in zustimmenden Jubel ausbrechen.
Leider würde bei Umsetzung dieses zweiten Satzteils aufgrund der dann fehlenden Sanktionierungsmöglichkeit aber vielfach auch die Möglichkeit entzogen werden, visuell störende Photovoltaik-Vorhaben in Zusammenarbeit zwischen Behörde und Bauwerber so zu entwickeln, dass eine positive Einfügung in eine Orts- oder Landschaftsbildsituation möglich ist.

In der oben zitierten bezughabenden Medieninformation des Bundeskanzleramts findet sich im Absatz davor ein bemerkenswerter Satz zum ebenfalls dringend notwendigen besseren Umgang mit Böden: "Für jedes Projekt braucht es ein Bodenkonzept, das den sorgsamen Umgang mit unserer Natur sicherstellt."
Es wäre zu hoffen, dass die Menschen in unserer Regierung, die solches zu Recht erkannt haben und vorantreiben, ihr Verständnis von nachhaltiger Ganzheitlichkeit auch soweit entwickelt haben, dass sie den Wert von Kulturleistungen, von Baukultur und schlußendlich den Wert einer schönen, nicht mißgestalteten Umgebung für uns alle verstehen und zu schätzen wissen und in ihren Entscheidungen berücksichtigen. Dann besteht die Hoffnung, dass die Gesetzwerdung des im zweiten Satzteil formulierten Vorhabens in ähnlich sorgsamer Weise erfolgen wird, wie es für den Umgang mit unseren Böden gefordert wurde. Das könnte z.B. bedeuten, dass der politische Entschluss gefasst wird auch in baulich oder landschaftlich sensiblen Zonen PV-Anlagen grundsätzlich zuzulassen, dass die Umsetzung solcher Anlagen aber einhergehen muss mit einem "Konzept, das den sorgsamen Umgang mit unserer Umgebung sicherstellt". Auch bei diesem Ansatz wird es den einen oder anderen Fall geben, der erst von Gerichten gelöst werden kann, aber zumindest muss man die Juristen dann nicht wegen jeder zweiten Balkonanlage beanspruchen.

Bleibt die Frage nach den Altstädten: Sollten Modellrechnungen gezeigt haben, dass eine signifikante Erhöhung der installierten Flächen in Österreich nur durch die Belegung alter Innenstadtdachflächen mit PV zu erreichen ist, müssten betroffene Bauwerber für den erhöhten Aufwand für eine sensible Umsetzung entsprechend finanziell unterstützt werden. Vielleicht ist aber doch in der Aktivierung existierender Flächen im weiteren städtischen Umfeld eine deutlich stärkere, generell einfachere und mit höheren Wirkungsgraden (Ausrichtung der Altstadtdächer) gesegnete Ausbauleistung zu erwarten, die zuerst realisiert werden könnte. Man denke nur an die Parkplatzflächen, die weiterhin vor jedem Einkaufsmarkt errichtet werden und setze dies in Verhältniss zu den Flächen im Altstadtbereich.
Für investitionswillige Altstadt-Bürger wäre die Schaffung von Möglichkeiten mit Gemeinschaftsanlagen bzw. exterritorialen Aufstellungen dann vielleicht auch ein möglicher Ansatz.

Sollte der zweite Satzteil aber so aufzufassen sein, dass geplant ist die Prüfung jeglicher PV-Vorhaben in Hinblick auf Orts- und Landschaftsbild abschaffen zu wollen, würde das gleichzeitig bedeuten den Stellenwert der Baukultur auf unser Leben zu negieren und die Anstrengungen derer, die seit Jahrzehnten versuchen überbordende Entwicklungen in für alle erträgliche Bahnen zu leiten, handstreichartig zu egalisieren.

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