01/10/2003
01/10/2003

Das blaue Leuchten
Das Grazer Kunsthaus ist eröffnet
Lange haben die politischen Debatten gedauert, zwei Standorte wurden verworfen, jetzt ist das Grazer Kunsthaus fertig. Nach knapp zwei Jahren Bauzeit eröffnet Graz sein seit den fünfziger Jahren wichtigstes architektonisches Projekt.

Die Umstände, ach die Umstände, sind der Feind der Utopie. Was hätte das Projekt, mit dem Peter Cook und Colin Fournier 2000 den Wettbewerb für das neue Grazer Kunsthaus gewonnen haben, nicht alles werden sollen. Eine transluzente, biomorphe High-Tech-Blase, deren Haut mit Medienmodulen durchzogen sein sollte. Das Innere hätte bei Nacht nach aussen geleuchtet. Bei Tag wären die Ausstellungshallen lichtdurchflutet gewesen. «Nozzles» genannte Ausstülpungen am Dach hätten mit Hilfe einer komplizierten Mechanik ebenfalls Licht ins Innere gelenkt. Bis zur jetzigen Eröffnung haben sich die Visionen von Peter Cook und Colin Fournier schliesslich einiger Einsicht beugen müssen: Keine Zeit für so viel baulichen Aufwand und auch kein Geld. Aus einer dünnen, schwebenden «Skin» wurde ein solider Panzer aus Plexiglasplatten. Drinnen ist es jetzt ziemlich duster.

Ein «Iconic Building» haben Cook und Fournier der europäischen Kulturhauptstadt Graz versprochen. Erhaben steht das Kunsthaus jetzt inmitten der alten Barock- und Historismusarchitektur am Grazer Murufer. Es richtet seine Fühler in den Grazer Herbsthimmel, die Blase schimmert bläulich, und doch ist der 62 Millionen Franken teure Bau vor allem das Zitat seiner selbst. Ein gigantisches «Als-ob», das seinen visionären Ernst gegen elegante Ironie getauscht hat. Davon gibt es beim neuen Grazer Kunsthaus reichlich. Von oben betrachtet, vom Grazer Schlossberg aus, wirkt die blaue Blase wie ein Anschlag auf die guten Sitten der Stadtanatomie. Weil das Grundstück klein ist, schlägt das Kunsthausherz fast gegen die organisch gewachsene Umgebung.

Man kann die radikalen und rund dreissig Jahre alten Ideen der Architektengruppe Archigram, zu der auch Peter Cook gehörte, aus dem Grazer Kunsthaus herauslesen. Was damals als schwebende, bedarfsdeckende Instant-City konzipiert wurde, ist in Graz gelandet. Als autarke Kunstblase hat es an einen revolutionären Bau des vorletzten Jahrhunderts angedockt. Das 1847 gebaute und vom Denkmalschutz vor dem Abriss bewahrte «Eiserne Haus» ist eine Gusseisenkonstruktion, deren reich verzierter Historismus jetzt Cook/Fourniers Blase zur Seite hin abschliesst. Zum «Eisernen Haus» ist die grünblaue Blase eine Art biologischer Anbau. Mühelos schlägt das neue Kunsthaus von Peter Cook und Colin Fournier einen Bogen zwischen den Zeiten. Es ist Antithese zur Architektur der expressiven und aggressiven Grazer Schule, ein Comic-Zitat, das zu den Archigram-Sechzigerjahren passt, und es ist Blob-Architektur auf dem neuesten Stand.

Die mit 1280 Plexiglasteilen verkleidete «Bubble» ruht auf einem gläsernen, gestalterisch höchst konventionellen Sockel. Ihr Bauch, der auch im Gebäudeinneren mit Kunststoffplatten ummantelt ist, bildet die Decke im Erdgeschoss. Dort hat man jetzt das Restaurant untergebracht, das ursprünglich in der «Needle», die als gläserne Tangente das «Eiserne Haus» mit der «Bubble» verbindet, vom Ausblick auf die Stadt hätte profitieren sollen. «Travelator» genannte Förderbänder durchschneiden die Räume und bringen den Besucher auf die oberen Ausstellungsebenen. Der Weg hinauf und zur Kunst ist von einer pathetischen Gemächlichkeit, die im sonst so verspielten Ambiente Symbolwert hat. Elf zierliche Säulen tragen die Decke im ersten Stock, in Längsrichtung angeordnete Neonröhren geben dem Raum die Dynamik. Die äussere Rundung der Blase wölbt auch das Innere. Und so wird der neue Kunsthaus-Chef Peter Pakesch auf orthogonale Wände weitgehend verzichten müssen. Die Konkurrenz zwischen Architektur und neuer Kunst wird bestenfalls mit einer Pattstellung enden.

Innen ist die «Bubble» wabenartig mit dunklen Stahlgewebepaneelen ausgeschlagen. In der oberen der beiden etwa 1200 Quadratmeter grossen Ausstellungsflächen gibt es keine Innenstützen. Wie ein Dom ragt der Raum in die Höhe und verjüngt sich allenthalben in die Ausstülpungen der «Nozzles», an deren himmelseitigem Ende man Jalousien angebracht hat. Spiralförmig drehen sich Neonröhren in die Kunsthausfühler und spenden fahles Licht. Überhaupt bliebe dieser Bauch ein Fall für Internisten, wenn es nicht auch eine nach draussen weisende «Schlossbergnozzle» gäbe, die auf den Grazer Uhrturm zeigt - ein schönes Bild. Über einen Steg gelangt man auf die «Needle». Diese bietet einen Blick auf die Aussenhaut des Kunsthauses und über die Dächer von Graz. Von ihr aus ergeben sich Sichtachsen ins Innere des Gebäudes, die sonst in der hermetischen Schwere der Innengestaltung fehlen.

Man hat das Grazer Kunsthaus in atemberaubend kurzer Zeit gebaut, hat mit einem lokalen Architektenteam unter Herfried Peyker kaum einen Aufwand gescheut, um kostensparend und rechtzeitig fertig zu werden. Solcher Pragmatismus schlägt sich auch in vielen ambitionslos wirkenden Details nieder. Am deutlichsten wird der jetzt durch Ironie bemäntelte Abstand zwischen Vision und Wirklichkeit bei der sogenannten Bix- Medienfassade des Kunsthauses, gestaltet von den Berliner Designern realities:united. Durch 925 handelsübliche ringförmige Leuchtstoffröhren, die unter den Plexiglasplatten eingeschraubt sind, kommuniziert die Grazer Wunschmaschine mit der steirischen Aussenwelt. Leuchtbotschaften können so mit Grossmutters Küchenlampen ausgesandt werden. Es ist ein rührendes Low-Tech- Spektakel, das mit seinen an- und ausgehenden Lampen, die auch gedimmt werden können, wenigstens annäherungsweise vermittelt, was aus dem ursprünglichen technischen Ehrgeiz hätte werden können. Zur Programmierung der Medienfassade werden demnächst Angela Bulloch, Lawrence Weiner und Rémy Zaugg antreten. Das «Eiserne Haus», eines der ersten Projekte des Gussskelettbaus überhaupt, wurde vorbildlich restauriert. In seinem langen schmalen Obergeschoss wird künftig die «Camera Austria» ihre Fotoausstellungen zeigen.

Die seit den sechziger Jahren entstandenen künstlerischen Experimente, mit denen Pakesch Einzelausstellungen gestalten will, werden sich auf die eigenwillige Atmosphäre des Kunsthauses einlassen müssen. Die Medienkunst als spezieller Schwerpunkt sollte es da noch am leichtesten haben. Als «Friendly Alien» preisen Cook und Fournier ihr Grazer Kunstwerk. Das ist eine Marke, die nach Architektur-Showbusiness klingt. Dieser Tage, wo Graz sein Kulturhauptstadtjahr mit der Eröffnung des Kunsthauses krönt, wird sie dankbar verwendet. Von Frank Gehrys Bilbao-Effekt hat man in der steirischen Metropole geträumt. Kein Zweifel: Das neue Kunsthaus ist spektakulär. Ob es aber mehr ist als ein Spektakel, wird sich zeigen. Über die Halbwertszeit architektonischer Ideen gibt indessen Vito Acconcis Murinsel Auskunft. Vom blauen Leuchten des neuen Kunsthauses wird diese schwimmende Stahlkonstruktion mühelos überstrahlt. Im Niedrigwasser treibt sie dahin, verdeckt von sanft im Wind schwankenden Haselnusssträuchern. Die allerdings verdecken auch die Sicht aufs neue Kunsthaus. Es ist die Grazer Natur, die sich um Biomorphes aus Blob und Blase nicht schert.

Paul Jandl

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