01/10/2003
01/10/2003

Das neue Grazer Kunsthaus zwischen Computerspielerei und Bautechnik

Kulturhauptstadt Europas? Für ein läppisches Jahr? Damit gibt sich die Metropole der Steiermark nicht mehr zufrieden. Graz hat nun vielmehr, so glaubt es, die Weltspitze erklommen. Dauerhaft. Mit der "Zukunft als Grundstein", wie man beim festlichen Anlass so schön sagte. Und wenn die steirische Ministerpräsidentin, die "Frau Landeshauptmann" Waltraud Klasnic, dabei von einer "Freude für die kommenden Generationen" sprach, dann hatte sie ausnahmsweise keine Rentenreformen oder ähnliche soziale Grausamkeiten im Sinn. Nein, sie rühmte das frisch eröffnete Kunsthaus in Graz.

Als "friendly alien", als freundlicher Außerirdischer also, ist das Bau-, ach was: das Kunstwerk über eine Stadt gekommen, deren barockes Zentrum zum Weltkulturerbe zählt. Genau gegenüber dieser Altstadt, nur durch die schmale Mur getrennt, quillt die blaue Blase nun aus dem biedermeierhaften Schachtelwerk ziegelroter Dächer, einem deplatziert gelandeten Ufo gleich.

"Biomorph" nennen die Londoner Architekten Peter Cook und Colin Fournier ihr Werk; "tierhaft" solle die Baukunst sich zeigen, meinen sie, und was sie in Graz geschaffen haben, mutet an wie das anatomische Modell eines Herzens, mit den messerscharf gekappten Ansätzen dicker Adern, welche im neuen Grazer Architekturdeutsch "nozzles" heißen und in Wahrheit rüsselförmige Lichtöffnungen sind.

Ein spektakuläres Haus, gewiss. Und mit britisch unterkühltem Jubel präsentiert Colin Fournier das Modell, mit dem er seinerzeit den Architektenwettbewerb gewonnen hat: Ob jemals ein so kühner Entwurf irgendwo auf der Welt so originalgetreu umgesetzt worden sei? Man ist versucht, die Gegenfrage zu stellen: Hat jemals ein Architekt so eine Mogelpackung vorgezeigt? Fournier hat zwar Recht: Die Verwirklichung sieht aus wie der Entwurf. Aber im Lauf der bautechnischen und finanziellen Umsetzung ist eben nur das Aussehen übrig geblieben, nur die Hülle, die Packung. Der Gag ist weg.

Am Computer haben die Architekten geplant; die so mühelos über den Bildschirm jonglierbaren 3-D-Animationen haben sie als ihre "driving force" betrachtet. Cook und Fournier wollten eine leicht und flockig schwebende Wolke schaffen, ein schwerelos gläsernes blaues Gebilde, durchscheinend, geheimnisvoll leuchtend, so etwas wie das erste Weltwunder des dritten Jahrtausends.

Nun aber steht es. Und wenn man mit dem Laufband - "Travelator" soll man dazu sagen - in die Blase hinauffährt, deren "Hülle durchschneidet", dann landet man nicht in einer mystischen Kathedrale, sondern in einem bunkerartigen, betongrauen Ausstellungsraum, der genauso gut im Bauch von Mutter Erde liegen könnte. Noch ein Stockwerk höher, unter dem düsteren Blasengewölbe, dem nicht mal Loriot "frisches Steingrau" attestieren könnte, fühlt man sich wie in der Kommandozentrale von Raumschiff Enterprise. Die "nozzles" lassen wenig Licht durch, nur an einer Stelle öffnet eine Art Bullauge den Blick zum Grazer Schlossberg.

Bautechnische Erfordernisse, finanzielle Zwänge, Brandschutz, Wärmedämmung und das banale Röhrenwerk der Haustechnik haben der Blase ihr Leben genommen. Statt mit lichtem Glas umhüllt ist die Wolke nun in Stahl und hermetisch blickdichte Folien eingeschlagen. Die außen aufgeschraubten graublauen Acrylplatten wirken wie eine traurige, wenn nicht sarkastische Erinnerung an einen fernen, großartigen Entwurf. Sie dienen nur mehr der Dekoration.

Bautechnisch angelegt ist die Grazer Blase als umgedrehter Schiffsrumpf mit Stahlprofilen als Rippen und Spanten; durchaus eine Herausforderung an den Stahlbau von heute. Den Einwänden, gemessen an den lichtdurchfluteten ersten Stahl-Glas-Konstruktionen aus dem 19. Jahrhundert sei die Grazer Höhle eigentlich ein Rückschritt, begegnet man vor Ort mit dem Hinweis, diese Bahnhöfe, Messehallen, Palmenhäuser und Orangerien von damals hätten eben auch nicht den Anforderungen eines modernen Museums genügen müssen. Sie hätten, dies nur als Beispiel, in keiner Weise jene Temperatur- und Klimastabilität gewährleisten müssen, die heute für die Ausstellung teurer, weltweit womöglich einzigartiger Kunstwerke erforderlich sei.

Schade trotzdem und überdies paradox. Denn exakt am selben Ort, auch noch einbezogen in das neue Kunstwerk, steht das "Eiserne Haus", entstanden zwischen 1848 und 1852, die erste Gusseisen-Architektur Mitteleuropas. Riesenfenster. Raumhoch. Ein größerer Widerspruch zwischen den realisierten Möglichkeiten von einst und den preisgegebenen von heute lässt sich kaum denken. Seinerzeit gingen Bautechnik und Idee bei einem avantgardistischen Projekt Hand in Hand; heute müssen Computerspielerei und Bautechnik erst noch zueinander finden.

Folgerichtig gibt Colin Fournier zu, die Grazer Blase stehe architektonisch "an der Wegscheide" zum 21. Jahrhundert. Dass sie dort schon angekommen sei, behauptet niemand. Möglicherweise wird das Werk zu einem Meilenstein der Baugeschichte. Ein äußerlich imposantes Museum, ein ungewöhnliches Studienobjekt und Wallfahrtsziel ist es schon jetzt. Keine Blase. Sondern ein Versuchsballon.

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