10/02/2008
10/02/2008

Die Grazer Gemeinderatswahlen sind geschlagen, die Sitze im Gemeinde- und Stadtrat verteilt. Nun geht es darum, Bündnisse für eine arbeitsfähige Regierung für die kommende Legislaturperiode zu bilden und ein Arbeitsübereinkommen für die nächsten fünf Jahre zu beschließen.

Das Kinderbüro, eine Interessenvertretung für junge Menschen von 0-14 und Plattform von 40 Mitgliedsorganisationen, die im Kinder- und Jugendbereich in der Steiermark tätig sind, unterstützt die verhandelnden Parteien bzw. die zukünftige Stadtregierung mit einem Visionskatalog für ein kinderfreundliches und kindergerechtes Graz.

Fünf ExpertInnen,
Gerhard H.J. Fruhmann, Vorsitzender Kinderbüro Steiermark, Präsident der Österreichischen Bildungsallianz Steirischer Landesverband der Elternvereine
Ernst Muhr, Kinderbüro, GF Fratz Graz (Abenteuerspielplätze, Spielmobil, Kulturaktivitäten, Ferienspaß, Beteiligungsprojekte, Jugendräume)
Mag.a Monika Zachhuber, Projektmanagement Kinderbüro: Wohnen/Verkehr
Peter Schwarz, Kinderbüro, GF WIKI (altersgerechte Förderung in vielen verschiedenen Kinderbetreuungseinrichtungen in Graz und in steirischen Gemeinden; offene Jugendarbeit)
Mag. Bernhard Seidler, GF Kinderbüro
präsentietren ihre lösungsorientierten Ansätze, der Zeitpunkt ist gut gewählt, für uns stehen die Themen und nicht die Personen im Vordergrund!Ausführung der 10 Statements

1.KINDER UND JUGENDLICHE GENIEßEN EINE QUALITÄTSVOLLE NACHMITTAGSBETREUUNG!

* Evaluation
Wir wissen, dass der/die zuständige Stadtrat/-in nur für einen Teil der "Nachmittagsbetreuung" im Rahmen der Tagesschule (= ganztägige Schulform) zuständig ist, wir wünschen uns aber, dass er/sie eine Evaluation startet.
Denn wir haben nunmehr alle "schulischen Modelle" umgestellt, das heißt, die LehrerInnen machen je 1 Stunde pro Tag GLZ (gegenstandsbezogene Lernzeit), was eine Bezahlung von je 1 vollen Lehrerwochenstunde bringt. Der Rest ist (abgesehen vom Mittagessen) laut Gesetz FREIZEIT und wird nur halb abgegolten bzw. von "ErzieherInnen" geleistet.
Daher die Evaluation: In welchem Ausmaß werden die Aufgaben (einschließlich Lernen...) in der Freizeit gemacht oder mit den Eltern zu Hause?
Wie viel müssen sich Eltern von Kindern, die an der Nachmittagsbetreuung teilnehmen, um das "Schulische" kümmern? - Und wie ist dies im Vergleich zu der Betreuung im Hort?
à Ausbau der Horte
Die Horte müssen bedarfsgerecht ausgebaut werden; Eltern dürfen nicht in die Tagesschule abgedrängt werden.
In diesem Zusammenhang muss auch die Bedarfserhebung neu geregelt werden.
Die Vorteile des Horts sind z.B.:
· Längere Öffnungszeiten (als die Schulen) je Tag,
· auch offen, wenn die Schule "autonom" zu macht (schulautonome Tage, ...)
· für Eltern gibt es für ihre Kinder zusätzliche Förderung vom Land, die ihnen aber nur bei Besuch einer Kinderbetreuungseinrichtung zusteht.

* SPF und Nachmittagsbetreuung
Auch für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf muss ein geeignetes Angebot an Nachmittagsbetreuung vorhanden sein.

* Ferienangebote
Wünschenswert sind leistbare Ferienangebote am Ort der Schule, wie z.B. in Kanada

* Fixe Beratungsteams
· mobile bzw. stationäre Beratungsteams (SozialarbeiterInnen, PsychologInnen, ...) an jeder Schule verfügbar.
· Lernhilfe (Nachhilfe) an der Schule bzw. im Hort

* Kurse für Erwachsene
Fremdsprachenkurse für Erwachsene, einerseits Deutsch, andererseits Sprachen der Herkunftsländer

* Mehrfachnutzung
Von Schulen und anderen städtischen Anlagen (in den Ferien)

2. KINDER UND JUGENDLICHE HABEN EIN RECHT DARAUF, GESUND AUFZUWACHSEN!
* Elektrosmog, Licht, Baubiologie
Messung und Bewusstmachung der Elektrosmogbelastung, in Schulräumen, Horten, Kindergärten der Stadt Graz durch kompetente Institute (z.B. Institut für Raumklimaforschung Graz)

* Feinstaub
· Ausbau des öffentlichen Verkehrs
· Staffelung der Beginnzeiten der Schulen am Morgen, um die Verkehrs-Spitzen zu entlasten und dadurch auch
· die Busse und Straßenbahnen besser auszulasten.

3. GRAZ – DIE BESPIELBARE STADT

Wir verstehen darunter, dass die gesamte Stadt für Kinder bespielbar sein sollte. Das fängt damit an, dass Kinder auf der Straße spielen dürfen, dass öffentliche Räume neben der Regelung von Verkehrsflüssen vor allem Räume der Begegnung sein sollten, Orte an denen Menschen miteinander in Kontakt kommen, dass öffentliche Bereiche von Kindern zum Spielen genutzt werden können oder dass es neben Spielplätzen auch verschiedene andere Spielmöglichkeiten (z.B. im Wohnumfeld, auf dem Schulhof, etc.) gibt, wo sie sich sicher und ohne Verbote aufhalten können.

Um dies zu ermöglichen, ist es notwendig, bei Entscheidungen im öffentlichen aber auch im privaten Bereich auf die Interessen und Bedürfnisse der Kinder einzugehen.
Ziel ist es, dass Kinder sich die Stadt zurückerobern und ihre Interessen gleichberechtigt in die Stadtplanung einfließen.

Konkrete Ideen und Maßnahmen:

· Tür auf, raus und spielen (Schaffung von hausnahen Spielplätzen und Spielräumen)
· Flächen verwenden, statt verschwenden (Mehrfachnutzung)
· Kinder und Jugendliche an Planung und Bau beteiligen (Partizipation)
· Bündelung der Kräfte (Die Bespielbare Stadt – eine nachhaltige Querschnittsaufgabe)
· Flächen verwenden, statt verschwenden Einfach – Mehrfachnutzung

Einen unkonventionellen Lösungsansatz, um die Raumnot zu mindern, kann die Stadt Graz beschreiten, indem sie Voraussetzungen schafft, vorhandene Räume intensiver zu nutzen und einer breiteren Öffentlichkeit, insbesondere Kindern und Jugendlichen, aber auch älteren Menschen, zugänglich zu machen.
Brachliegende Wiesen, die nicht betreten werden dürfen oder Schulhöfe, die toll ausgestattet sind, aber während der Nachmittage, Wochenenden oder Ferien nicht benutzt werden, sind nur einige Flächen, die genutzt werden könnten.

4. PARTIZIPA(KT)ION

Kinder und Jugendliche haben ein Recht auf Anhörung, Mitsprache und Mitbestimmung in Angelegenheiten, die sie und ihre Lebenswelt betreffen!

Bei der aktiven Beteiligung an Planungs- und Entscheidungsprozessen machen Kinder und Jugendliche Erfahrungen, die für die Persönlichkeitsentwicklung und den Erwerb von sozialen Kompetenzen immens wichtig sind. Indem Kinder und Jugendliche schon früh an alltäglichen wie auch an politischen Planungen und Entscheidungen beteiligt werden, können sie sich demokratische Regeln aneignen und schrittweise mehr Verantwortung übernehmen.

Sie erleben, wie ihre Bedürfnisse als wichtig erkannt werden und erleben die Welt als veränderbar. Dadurch werden ihre Identifikation mit der räumlichen und sozialen Umwelt und ihre Bereitschaft, sich politisch und sozial zu engagieren, gefördert.

5. GRAZ BAUT EINE WOHNSIEDLUNG, DIE DEN BEDÜRFNISSEN DER MÄDCHEN UND BUBEN UND IHREN FAMILIEN GERECHT WIRD!

Besonders im urbanen Raum wird das Leben von Kindern und Jugendlichen maßgeblich von der baulichen Umwelt geprägt. Dort wo Grundbedürfnisse von Mädchen und Buben nach Bewegung, Naturerfahrung, Spiel und Erholung, bei der Planung von Wohnbauten mit bedacht werden, kommt es unweigerlich zu einer größeren Wohnzufriedenheit aller BewohnerInnen.

Um von einem kindgerechten Wohnbau sprechen zu können, sollte eine Auseinandersetzung mit den nachstehenden vier Fragen passieren. Diese werden in der Broschüre „Kindergerechter Wohnbau. Ein Leitfaden für die Planung.“ (Hrsg. Kinderbüro Steiermark 2007) näher erläutert.

· Haben Kinder Raum sich zu entfalten?
· Können Kinder Spuren hinterlassen?
· Werden Kinder in ihrer Selbständigkeit unterstützt?
· Wird Familien das tägliche Leben erleichtert?

Die Vision:
Eine kindergerechte Mustersiedlung in Graz, bei deren Planung und Ausführung die Bedürfnisse von Mädchen und Buben und ihren Familien im Mittelpunkt stehen.

6. GRAZ HAT EIN KINDER- UND JUGENDGERECHTES WEGENETZ!

Mit zunehmendem Alter vergrößert sich der Aktionsradius von Kindern und Jugendlichen. Sie bewegen sich von ihrem Wohnort weg, machen sich auf den Weg.
Spätestens mit Eintritt in die Schule wird daher ein attraktives Wegenetz für Mädchen und Buben notwendig.

Wegenetze, speziell Kinderwegenetze, ermöglichen Kindern, aber auch älteren Menschen, sich gefahrlos innerhalb ihres Stadtteils zu bewegen.

Dadurch:
· können Kinder selbständig mobil sein
· wird dem Bewegungsmangel gegengesteuert
· können Kinder soziale Kompetenzen (beim gemeinsamen Schulweg) entwickeln und üben
· habe Kinder ein Stück mehr unbeobachtete Kindheit
· werden Eltern entlastet
· wird die Gesundheit gefördert
· wird die Umwelt geschont

Für die Umsetzung von Kinderwegenetzen werden folgende Maßnahmen empfohlen:
· Flächendeckend Tempo 30 (Kontrollen)
· Querungshilfen an stark befahrenen Straßen
· Längere Intervalle bei Ampelschaltungen
· Einrichtung verkehrsberuhigter Bereiche (Wohnstraßen, temporäre Verkehrsberuhigungsmaßnahmen)
· Kindgerechte Kennzeichnung und Beschilderung des Wegenetzes
· Gestaltungsmaßnahmen
· Wegenetz sollte mit Rad und trendigen Fortbewegungsmitteln wie Scootern und Inlineskatern befahrbar sein

Nähere Informationen sind ab März 2008 in der Broschüre „Kindergerechter Verkehr. Ein Leitfaden für Planung und Praxis“ (Hrsg. Kinderbüro Steiermark) nachzulesen.

Die Vision:
Graz hat ein Kinder- und Jugendgerechtes Wegenetz, welches so attraktiv ist,
dass die Lust auf das zu Fuß gehen und auf das Rad fahren wieder steigt!

7. KINDER HABEN EIN RECHT AUF EINEN KINDERBETREUUNGSPLATZ

Der Ausbau einer funktionierenden Kinderbetreuung bedarf einer mehrjährigen, verbindlichen Planung. Konkret wünschenswert ist ein 7-Jahresplan VISION Graz 2015 dessen Ziel ein Rechtsanspruch auf einen geeigneten Kinderbetreuungsplatz in der Stadt Graz sein muss.

Heute in sieben Jahren - Graz 2015 eine kinderfreundliche Stadt

· Die Politik fühlt sich der Familie verpflichtet und arbeitet einem Bedarfs- und Entwicklungsplan entsprechend zielorientiert daran, die Lebenswelten der Kinder und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern.
· Es ist in der Stadtregierung außer Streit gestellt, dass Kinderbetreuung einen wirtschaftlich langfristigen Nutzen darstellt.
· Kinder mit Migrationshintergrund werden anhand ihrer Potentiale und aufgrund ihrer interkulturellen Kompetenz bewertet, geachtet und gezielt gefördert.
· Die Barcelonaziele der Europäischen Union im Bereich der Kinderbetreuung sind längst erfüllt.
· Die Wirtschaft boomt und blüht in und um Graz aufgrund des guten Angebotes an qualifizierten Mitarbeiterinnen, die auf den Arbeitsmarkt drängen.

Die Ziele:
· Ein massiv stärkerer Ausbau der Angebote für unter 3-jährige Kinder.
· Der stärkere Ausbau der qualitätsvollen Betreuung von Schulkindern am Nachmittag und in Ferienzeiten.
· Die Förderung von verhaltenskreativen Kindern durch mobile Dienste.
· Der Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungsplatz für Grazer Kinder.

Die Sofortmaßnahmen:
· Öffnung des Zuganges zum Tarifsystem und Budgetmittel für neue Einrichtungen.
· Massiver Ausbau für die Gruppe der 0-3 Jährigen.
· Ausreichende Hort- bzw. SchülerInnennachmittagsbetreuungsangebote mit Ferienöffnung.
· Evaluierung und Optimierung bestehender Angebote.
· Intensive Bemühungen zur Schaffung eines Kindergartenverbundes Großraum Graz.
· Einrichtung eines mobilen, sonderpädagogischen Teams zur Kleinkindförderung.

8. KONTINUITÄT UND INNOVATION IN DER OFFENEN JUGENDARBEIT

Heute in sieben Jahren - Graz 2015 eine jugendfreundliche Stadt

· In Graz ist das gute Einvernehmen zwischen Jugendlichen und Erwachsenen spürbar.
· Bereits bei der Planung von Siedlungen und Stadtteilen werden die Bedürfnisse von Jugendlichen bedacht. Jugendräume und Freizeitmöglichkeiten für Jugendliche werden generell mitgeplant.
· In Ballungszentren bestehen ausreichende Jugendangebote.
· Die Bezirkssportplätze sind attraktiviert und bieten ein Mindestportfolio an Ausstattung.
· Es gibt kostengünstige und kostenfreie Angebote an Freizeiteinrichtungen, die die kreative, geistige und körperliche Entfaltung von Jugendlichen fördern.
2015 können Jugendliche ihre Freizeit somit ohne Konsumzwang in der Gemeinschaft von Gleichaltrigen positiv gestalten und sich ihren Bedürfnissen und Fähigkeiten entsprechend ausleben.

Die Ziele:
· Ein umfassendes Grazer Jugendinfoportal
· Die Installierung von Jugendcoachs in Stadtteilen
· Die interkulturelle Vernetzung von Jugendgruppen
· Vielfältige Alternativangebote wie z.B. „Walloffers“ und Bandräume….
· Elternbildung und Sensibilisierung im Pubertätsbereich

Die Sofortmaßnahmen
· Nutzung des Landesfördermodells zur Schaffung neuer Jugendzentren
· 6 konkrete Jugendmaßnahmen
o St. Peter (nähe Schulzentrum)
o Andritz
o Gösting (Augasse – Wienerstraße)
o Wetzelsdorf (Schererstraße Umgebung)
o Straßgang (Metro-Gegend)
o Triestersiedlung

9. UMSETZUNG BEREITS BESCHLOSSENER PROJEKTE

Eine weitere Vision ist für uns, bereits beschlossene Projekte und Sachprogramme umzusetzen. In den letzten 10 Jahren hat die Stadt zahlreiche Sachprogramme, Leitlinien, … beschlossen, die jedoch alle keinen Verordnungsrang haben, sondern lediglich Empfehlungscharakter haben.
Unsere Erfahrungen zeigen, dass Graz eine noch kinder- und jugendfreundlichere Stadt sein könnte, wenn bereits folgende, vom Gemeinderat beschlossene Projekte umgesetzt werden würden (lediglich Auszug!):
· Leitlinien für eine kinderfreundliche Stadt
· Sachprogramm Wohnen/Grünraum
· Zeit für Graz
· Grünes Netz
· Mehrfachnutzung
· …

10. EINFÜHRUNG EINER KINDER- UND JUGENDGERECHTIGKEITSPRÜFUNG

Eine Vision für ein kinder-, jugend- und familienfreundliches Graz ist die Einführung einer Kinder- und Jugendgerechtigkeitsprüfung.
Ähnlich wie bei einer Umweltverträglichkeitsprüfung werden in ihrem Rahmen Projekte hinsichtlich Auswirkungen auf die Kinder und Jugendlichen in dieser Stadt untersucht.

Diese Prüfung garantiert, dass bereits im Vorfeld einer Planung auf die Bedürfnisse der jüngsten Menschen eingegangen wird.
Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen, dass diese im Vorfeld durchgeführte „Präventionsmaßnahme“ auch konkret dabei hilft, Kosten zu sparen, weil – oft teure - „Feuerlösch-Aktionen“ im Nachhinein vermieden werden können.

Graz könnte darüber hinaus Österreichweit eine Vorreiterrolle einnehmen!

Verfasser/in:
Das Kinderbüro Steiermark
Netzwerktreffen
16. + 17.11.2023
 
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