11/10/2003
11/10/2003

Wie man zeitgenössische Architektur mitten in eine traditionelle Dorfstruktur setzt; und wie man kreativ die Schulbauverordnung unterläuft: ein Lehrbeispiel aus Vorarlberg von Cukrowicz.Nachbaur.

Kompaktes Raumprogramm: Volksschule mit Kindergarten von Cukrowicz.Nachbaur in Doren, Bregenzerwald | (c) Hanspeter Schiess

Moderne, zeitgenössische Architektur mitten in eine traditionelle Dorfstruktur zu setzen ist ein Problem. Oft eine Frage des Maßstabs, immer eine Frage des architektonischen Ausdrucks. In der kleinen Gemeinde Doren (1000 Einwohner) im Vorderen Bregenzerwald lässt sich dieses Thema wieder einmal studieren: am Beispiel einer Volksschule mit Kindergarten und Turnhalle, die, von "Cukrowicz.Nachbaur Architekten" geplant, im "Herzen" des Dorfes, gleich neben Kirche und Friedhof, realisiert wurde.

Man muss vielleicht vorweg sagen, dass das landschaftliche Umfeld einfach spektakulär ist. Die Schule ist auf einem Hang errichtet, der vom tiefsten Punkt an der Straße bis hinauf zum Kinderspielplatz immerhin ein Gefälle von 20 Metern hat. Aber wenn man da oben, sozusagen auf dem höchsten Punkt des Schulgeländes, nur ein paar Schritte weitergeht, übrigens vorbei an Roland Gnaigers Kinderspielhaus, dann kommt da ein Wasserfall von den Bergen herunter, und man steht wirklich vor einem beeindruckend malerischen "Natur-Bild". Noch viel eindrucksvoller ist aber der Fernblick: An schönen Tagen sieht man da fünf Bergrücken hintereinander gestaffelt!

Den Architekten war das natürlich bewusst. Es wird einem sofort klar, wenn man durch ihr Gebäude geht. Die geschoßweise unterschiedliche Orientierung hat auch mit diesem Fernblick zu tun: Man steht immer wieder vor einem anderen durch die Öffnungen in der Fassade quasi gerahmten Landschaftsbild.

Aber das ist gewissermaßen nur ein angenehmer Nebenaspekt des Entwurfs von "Cukrowicz.Nachbaur Architekten". Was wirklich wichtig dabei ist, was auch über diesen speziellen Bau hinausweist, das ist einerseits die Frage des Umgangs mit der Kubatur, das ist andererseits die Art und Weise des Innenausbaus.

Man muss sich vorstellen, dass der Bauplatz ziemlich klein ist. Es stand dort eine Volksschule, die aber in so schlechtem Zustand war, dass sie auf jeden Fall abgerissen werden musste. Schwierig war allerdings das Programm: Turnhalle, Kindergarten, Räume für die Lehrer, Mehrzweckraum, vier Klassenzimmer, zwei Werkräume - das ist nicht ganz leicht unterzubringen, wenn man kaum Platz hat. Das Kinderhaus von Roland Gnaiger wurde daher auch für den Abbruch freigegeben. "Cukrowicz.Nachbaur Architekten" haben von dieser Möglichkeit - man möchte sagen "natürlich", denn es handelt sich um eine architektonische Ehrensache unter Kollegen - keinen Gebrauch gemacht. Sie haben vielmehr ein unheimlich kompaktes Gebäude entwickelt, das all die unterschiedlichen Funktionen auf fünf Geschoßen - im Dorf an sich eine unmögliche Gebäudehöhe - unterbringt, aber mit so viel Geschick, auch unter Ausnutzung der Hanglage, dass selbst vom tiefsten Punkt an der Straße nur vier Geschoße sichtbar sind.

Jedenfalls fiel die Entscheidung der Jury im Wettbewerb von 2001 auch auf Grund dieser Voraussetzungen klar und eindeutig aus. Alle anderen Projekte haben einfach viel mehr Platz beansprucht.

Das Gebäude ist aus Sichtbeton und hat ein Flachdach. Rundherum sind natürlich Satteldächer, Sichtbeton gibt es sowieso keinen. Letzterer ist, man weiß es, das Lieblingsmaterial heutiger Architekten, der Großteil der Bevölkerung tut sich trotzdem schwer damit. In Doren kann man aber studieren, was dieses Material auch in Bezug auf den architektonischen Ausdruck in einem traditionellen Umfeld leistet: Es drängt sich überhaupt nicht vor, es gebärdet sich geradezu bescheiden.

Dabei sind "Cukrowicz.Nachbaur Architekten" äußerst überlegt damit umgegangen. Es gibt ihn nur da, wo er tragend ist, also an den Fassaden und in Form raumüberspannender Träger, die über die gesamte Gebäudetiefe reichen und in die jeweils eine große Öffnung geschnitten ist - da liegt die Erschließung. Hinzugefügt werden muss unbedingt: Die Qualität des Sichtbetons ist sensationell, da stimmt jede Kante. Und selbst ein winziges Detail wie die bündig in der Wand des Stiegenhauses sitzenden Handläufe - 20 Zentimeter Einsparung bei der Gebäudetiefe, aber wie kompliziert für die Schalung! - wurde perfekt umgesetzt.

Straßenseitig betritt man das Gebäude, kommt in einen Windfang und danach in ein Foyer. Zuvor sieht man schon von außen, links vom Eingang durch große Verglasungen in den eingegrabenen Turnsaal, eine Kleinturnhalle mit fünf Metern Raumhöhe bei zehn mal 18 Metern Grundfläche; das Foyer selbst hat übrigens nur eine Raumhöhe von 2,30 Metern. Das ist aber gar nicht unangenehm, und durch den Ausblick in den Turnsaal mit seiner großen Raumhöhe ist man schon darauf eingestimmt, dass dahinter andere, höhere Räume kommen.

Die Architekten haben da wirklich etwas geleistet. Denn sie haben die Vorarlberger Schulbauverordnung in zweierlei Hinsicht unterlaufen. Erstens haben sie - und das ist insofern überraschend, als es wirklich positiv verbucht werden muss - die Raumhöhen um zehn Prozent reduziert, also von 3,20 Metern auf 2,90. Und zweitens haben sie durchgesetzt, dass zum ersten Mal in Österreich in einer Schule unbehandelte Oberflächen - Holzoberflächen aus Weißtanne, auf dem Boden sogar sägerau - zugelassen wurden.

Zunächst zur Raumhöhe: Die Reduktion hat natürlich maßgeblich dazu beigetragen, dass der Baukörper so minimiert ist. Sie wurde allerdings nur möglich, weil die Architekten eine kontrollierte Be- und Entlüftung vorgeschlagen haben. Die bisherige, eigentlich zwingend vorgeschriebene Raumhöhe basiert auf der Voraussetzung einer Fensterlüftung. Heute gibt es dazu Alternativen. Und wenn man die in ihren Auswirkungen durchdenkt, dann stellt sich die Einsicht ein, dass man diese Raumhöhen gar nicht braucht. Volksschüler sind klein, und die Lehrer sind auch nicht so groß, dass sie über drei Meter hohe Räume zwingend brauchen würden. Für den Bau - und sein Verhältnis zur Umgebung - hat diese Maßnahme wirklich etwas gebracht. Ich frage mich, ob es in der Bundeshauptstadt auch so einsichtige Behörden und Bauherrn gibt . . .

Und dann dieser Innenausbau mit der Weißtanne! Die unbehandelten Oberflächen! Das ist ja die reinste Geruchsarchitektur! In diesen Räumen gibt es einen Duft, nicht aufdringlich, aber so wohltuend - die Kinder sind zu beneiden. Und man glaubt es nicht: Die Böden sind derartig sauber - die Architekten sagen, sie sind selbstreinigend -, dass man sich kaum vorstellen kann, dass die Schule längst in Betrieb ist.

Übrigens sind die Klassen ganz besonders schön: Die Kinder sitzen an Einzeltischen eines Schweizer Herstellers, die mit einem Handgriff höhenverstellbar und auch in der Tischplattenneigung verstellbar sind. Das ist natürlich viel teurer als ein herkömmliches Programm. Aber es ist halt auch viel besser. Und der Schuldirektor, der Bürgermeister, alle, die bei diesem Bau mitzureden hatten, haben eingesehen, dass damit etwas gewonnen ist: Wohlbefinden. Gerade für die Kleinsten.

Ich glaube nicht, dass man im Osten Österreichs derzeit ein solches Projekt - in dieser Qualität - umsetzen könnte. Vorarlberg ist wirklich, es gibt keinen Zweifel, ein gesegnetes Architektur-Land. [*]

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